Hamburg . Ein Konzert wie ein Triumphmarsch: Stimmwunder Adele dehnt ihre Kunst ins Breitbandformat. Und lacht überraschend dreckig.

Man darf diese Stimme und diese Aura nicht für selbstverständlich nehmen. Und doch muss man sagen: Das Konzert in der Barclaycard Arena ist ein Triumphmarsch für Adele Adkins. Natürlich ein Triumphmarsch, denn Adele ist der derzeit größte weibliche Popsuperstar der Welt. Vielleicht kann man das „weiblich“ sogar weg lassen – wer soll größer sein als die Engländerin? Ein Bieber? Also bitte.

Zwei Konzerte in Hamburg, das erste am Dienstagabend, das zweite Mittwoch; insgesamt mehr als 23.000 Fans, die sich das Stimmwunder aus Großbritannien, das drei Alben veröffentlicht und 100 Millionen Tonträger verkauft hat, ansehen und anhören wollen.

Adele steht ungern vor großem Publikum

Und zuerst sieht man Augen, riesige Augen auf der Leinwand, es müssen die von Adele sein, sie sind geschlossen. Dann öffnen sie sich, und die Show beginnt. Ein weiterer Abend auf einer Welttournee durch große Arenen, aber es ist hier eben, Tatsache, gar nichts selbstverständlich. Schließlich ist bekannt, wie ungern die 28-Jährige vor großem Publikum auftritt. Warum eigentlich?

In Hamburg ist sie auf so souveräne Weise die allerorten bewunderte und verehrte Sangesheroine, dass man noch nicht einmal an Lampenfieber glauben mag, geschweige denn an eine Multifunktionshallenaversion. Eingerahmt wird der Songreigen – es sind 18, 19 Lieder, wenn man sich nicht verzählt hat – von den größten Hits: von „Hello“ und „Rolling in the Deep“. Und das ist ja auch mal gleich ein Statement, mit dem meistgehörten Stück der jüngsten Vergangenheit einzusteigen. So was muss man sich erst einmal leisten können. Andererseits: Viele freundliche Menschen grüßen, wenn sie einen Raum betreten. Hello Adele also, Willkommen.

Konzert ist ein einziges Liebesbeben

Sie trägt ein langes Kleid, seeeehr lange Fake-Fingernägel und ihr Herz auf der Zunge. Beziehungsweise unser aller Herz, denn die vielen Rührstücke und mit kräftiger, so wahnsinnig kräftiger Stimme vorgetragenen Balladen („When We Were Young“, „Set Fire To The Rain“) sind ja höchst anschlussfähig. Für alle Dramatik-Begabten zumindest, für die Liebe immer wieder auch Liebesleid ist.

Das Konzert ist, natürlich, wie die Alben der Sängerin ein einziges Liebesbeben, Schmachten, Schwelgen, es geht vor allem um: Volumen, Baby. Der Gesang geht, unterstützt von einer vielköpfigen Band mit Sängerinnen, Streichern und Bläsern, von der ersten bis zur letzten Reihe durch Mark und Bein. Apropos: Adele tanzt vor allem mit den Armen, mit den Händen.

Publikum in Hochstimmung

Und sie ist auf der Bühne, so richtig leibhaftig also, noch viel beeindruckender als auf Platte. Sie ist, wenn sie vom Lieben und vom Leben singt, die Frau, die eine statuenhafte Erhabenheit ausstrahlt, und die Gefühle und Empfindungen veredelt, die positiven und die negativen. Indem sie dies alles, den Schmerz, die Enttäuschung, das Sehnen ins Breitbandformat zieht, nimmt sie dem Leben jegliche Banalität. Und jeder fühlt sich, mehr oder weniger, angesprochen. Ein Kunststück.

Das Publikum ist das gesamte Konzert über jedenfalls hochgestimmt: eine fröhliche Mischung aus (beinah) allem, was die Gesellschaft so hergibt. Junge, Ältere, Tätowierte, Eitlere und weniger Eitle,Wassertrinker, Biertrinker. Adele ist deshalb ein Superstar, weil sie eine Volkssängerin ist. Es gibt kaum Längen in diesem Konzert, ein früher Höhepunkt: „Skyfall“, die James-Bond-Hymne. Hier ist sowieso alles Kino, was die Opulenz angeht, man wendet den Blick nie weg von ihr, obwohl sie doch eigentlich für fast keine Schauwerte sorgt. Die Diva da vorne, die optisch in jeder Epoche des vergangenen Jahrhunderts bestehen könnte, braucht keine Tricks technischer Art, keine Showeffekte und Bühnenathletik, um in ihren Bann zu schlagen. Die Stimme tut das ganz allein.

Hamburg-Aufnahmen auf der Leinwand

Wem das alles manchmal zu weihevoll ist, das ganze Pathos, der freut sich über Adeles Qualitäten als Conférencière: Die Frau ist selbstironisch ohne Ende, wenn sie nicht singt. Das ist ganz gut, dass launige Ansagen im Londoner Slang die gravitätischen Songs hin und wieder unterbrechen. Bei „Hometown Glory“ sind auf der Leinwand Hamburgaufnahmen zu sehen. Sie holt schon früh einen weiblichen Fan auf die Bühne, später noch ein kleines Mädchen, und ständig lacht sie ihr ziemliches dreckiges Lachen – und jeder lacht mit.

Die Perfektion Adeles, ihre pure Sing-Wucht, ist irgendwann trotzdem fast erschöpfend. Memo an mich – zu Hause unbedingt erst mal Punkrock hören.