Hamburg. Hamburg ist in Romanen so präsent wie lange nicht. Eine kleine und streng hanseatische Geschichte der Gegenwartsliteratur.
Hamburg, eine Literaturperle: Das kann man wohl sagen in einer Saison, in der sich gleich mehrere hochkarätige Bücher keine andere Stadt als die an der Elbe ausgesucht haben, in die sie ihre Handlung verlegen – in Karen Duves kontrovers diskutiertem Zukunftsroman „Macht“ ist sie ein grässlicher Ort, an dem Hanseaten und Hanseatinnen keinen Draht mehr zueinander haben. Es tobt ein übler Geschlechterkampf. In Heinz Strunks kollektiv bejubeltem Killerroman „Der goldene Handschuh“ ist Hamburg wiederum die Heimstatt gequälter Männer, die im eigenen Elend herumsumpfen und in einem Fall sogar zum Mörder werden.
In Maxim Billers völlig zu Unrecht von manchen Teilen der Kritik geschmähten Tragikomikroman „Biografie“ ist Hamburg wie ein permanentes bittersüßes Ziehen in den Eingeweiden: Heimat der geliebten Mischpoke, aber auch Ort früher Demütigungen, immer kühl, typisch ist: ein „Hamburger Selbstmordtag“.
Das Gegenteil ist Benjamin Stuckrad-Barres Memoir „Panikherz“. Hamburg als einzig mögliche Rettungsinsel eines biografisch auf hoher See mehrfach gekenterten Ex-Popliteraten? Es ist die schmeichelhafteste Rolle, die Hamburg derzeit zwischen zwei Buchdeckeln spielt.
Eine Hauptrolle hat die Literatur Hamburg derzeit ganz allgemein zugewiesen. Was namhafte und viel gelesene Autoren angeht, hat es nämlich personell ordentlich aufgestockt. „Die leben und schreiben alle in Berlin“ gilt jedenfalls nicht mehr. Mag auch der Arbeitsort für einen Schriftsteller mitunter vielleicht gar nicht so wichtig sein oder im Gegenteil absichtlich oft gewechselt werden, um schön kreativ zu bleiben, so ist doch festzuhalten: Hamburg bietet keinen schlechten Humus für Geschichten und Romane – auf dass die Literatur prächtig gedeihe.
Die Hamburger Off-Szene um Leute wie Sven Amtsberg und Alexander Posch, die immer auch von einem subversiven Gedanken geprägt war, hat sich längst als Kaderschmiede von Erzähltalenten herausgestellt – da muss man sich nicht nur die Gewinnerlisten der von der Kulturbehörde vergebenen Förderpreise ansehen, auf der zuverlässig Namen wie Tina Uebel und Benjamin Maack auftauchen.
Oder Neulinge wie Karen Köhler (ihr Debüt „Wir haben Raketen geangelt“ war vor zwei Jahren ein Überraschungshit) und – Saša Stanišić. Die Gewinner noch prestigeträchtigerer Preise (Leipzig!) werden durchaus auch in Hamburg noch mal ausgezeichnet, verdient ist verdient.
Mit dem Tod von Siegfried Lenz (1926–2014), der in diesem Jahr mit „Der Überläufer“ postum ein famoses Comeback hinlegte, mag Hamburg sein Literatur-Flaggschiff verloren haben, dafür sind in Hamburg und Umgebung beheimatete oder aus Hamburg stammende Autoren so präsent wie wohl noch nie auf Bestsellerlisten, Long- und Shortlists. Mirko Bonné, Monique Schwitter, Nino Haratischwili, Wolfgang Herrndorf (1965–2013) und Jan Wagner, die letzteren beiden wie Stanišić Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse – viel Buch, viel Ehr.
Und weil Lokalpatriotismus nicht der geringste aller Leseantriebe ist, freuten wir uns in der jüngeren Vergangenheit schon über Hamburg-Romane von Frank Schulz („Onno Viets und der Irre vom Kiez“), Sabine Peters („Narrengarten“) und Michael Kleeberg („Vaterjahre“), lasen verblüfft Dörte Hansens überragende Von-Ottensen-in-die-Natur-Revue „Altes Land“, die seit knapp einem Jahr auf der Bestsellerliste steht.
Die eine Grand Dame der Hamburger Literaturszene, Brigitte Kronauer, veröffentlicht ihren nächsten Roman übrigens im Herbst; die andere, Ulla Hahn, schreibt derweil munter weiter an ihrer literarisierten Lebensgeschichte, die ja irgendwann auch in Hamburg andocken muss – wir sind gespannt.