Hamburg. Der Autor hat sein drittes Buch geschrieben, es heißt „Fallensteller“. Zwei Lesungen in seiner Wahlheimat gab es bereits.

Fast das Beste an diesem Abend im Karoviertel ist die Freude des Autors selbst. Er liest sehr engagiert, er liest überzeugend und überzeugt vom eigenen Text. Manchmal umspielt ein Lächeln seine Lippen, denn es gibt in seinen Sätzen viele leise Pointen.

Zwei Jahre, sagt Saša Stanišić, 38, hat er mit seinem neuen Buch zugebracht. Zuletzt war er monatelang in Klausur, das heißt: keine Interviews oder Ähnliches. Keinerlei Ablenkungen, die helfen einfach nicht, wenn Erzählungen den letzten Schliff bekommen und der Erzählungsband als ganzer komponiert wird. Wahrscheinlich hat Stanišić, der mit seiner Familie in Altona lebende Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse im Jahr 2014, es nicht immer ganz so streng genommen: Er hat ja einen kleinen Sohn. Der wurde bestimmt nicht ausgesperrt.

Und so quäkt Stanišić Junior auch während der Lesung bei Cohen+Dobernigg hie und da lustig daher. Stört natürlich gar nicht, weder den Dichter noch die Anwesenden, im Gegenteil: ein unruhiges Kleinkind passt hervorragend zum Ton, den Stanišić setzt, er changiert zwischen tiefem Ernst und schwebender Heiterkeit.

Stanišić, 1978 im bosnischen Više-grad geboren, stellte seinen brandneuen Erzählungsband „Fallensteller“, in dem er sich, man darf das so sagen, selbst übertrifft, an zwei aufeinanderfolgenden Abenden vor. Zuerst bei Cohen+Dobernigg, dann in der Buchhandlung Lüders im Heußweg in Eimsbüttel, „meine zwei Lieblingsläden in Hamburg“, sagte Stanišić, er habe sich nicht entscheiden wollen. Beide Abende waren ausverkauft, und es gab auch Stanišić-Leser, die beide Male im Publikum saßen.

Auch Schriftsteller haben Fans, wer würde Gegenteiliges behaupten?

Stanišić, der mit dem leichten Akzent des Zugezogenen – er kam 14-jährig nach Deutschland, Jugoslawien war gerade dabei, auseinanderzufallen – spricht, las jeweils aus verschiedenen Erzählungen des Bandes. Doppeltes Kommen lohnte sich also, genauso, wie sich die Lektüre von „Fallensteller“ lohnt. Einem Werk, das von der Melancholie der Gewohnheit erzählt, vom Abschiednehmen und Erwachsenwerden, von Bosnien und von Deutschland, eigentlich von der ganzen Welt, in die gehört die Uckermark so gut wie der brasilianische Regenwald. Einem Werk, in dem Stanišić zwölf Erzählungen versammelt, vielleicht aber auch nur acht: Kommt drauf an, wie man die Stücke lesen will. Zwei Handlungsstränge hängen miteinander zusammen und werden in je drei Teilen erzählt. Zum einen ist da die Tour d’Europe des unterhaltsamen Gesetzesbrechers Mo und seines wohlstandstrübsinnigen Begleiters. Sie suchen eine Rebekka, sie finden eine syrische Surrealistin.

Einmal stoßen sie zu einer Party von Menschenrechtsaktivisten auf dem Rhein, es ist eine spezielle Ansammlung von Leuten. Gekonnt, wie Stanišić mit den Gutmenschen-Stereotypen spielt; überhaupt ist die Komik, die aus der genauen Beobachtung folgt, ein Stilmittel, das in den Erzählungen zum Tragen kommt.

Bloß kein Smalltalk, denkt sich die Erzählerinstanz also auf dem Schiff, weil Aktivisten einen Groll gegen Banalitäten hegen, „stelle ich mir vor, sonst wären sie nicht Aktivisten geworden“.

Später dann aber einer von vielen schönen Sätzen, eigentlich sind es zwei: „Es ist so viel einfacher, jemanden zu mögen, als jemanden nicht zu mögen. Man muss es nur wollen.“

Zum andern ist da der Bremer Geschäftsmann und Gesandte einer großen Brauerei Georg Horvath, dem Stanišić drei Erzählungen widmet. Der Handlungsreisende Horvath lässt sich in Rio am Flughafen gerne verwechseln und in die Wildnis fahren: Wir lesen eine wunderbare Version der Aussteigergeschichte, in der in jeder Betrachtung die Absurdität des Berufslebens im Speziellen und der auf Wiederholung beruhenden menschlichen Existenz im Allgemeinen aufscheint. Horvath hat auch eine musische Ader, aus Liebeskummer schrieb er mal einen Gedichtband, eine „sehr alte Frau“ fungierte als Lektorin, sie „sprach beharrlich von seiner ,Kriegslyrik‘, und Georg Horvath hat sie nicht korrigiert“. Was interessant ist – „jedenfalls heißt der Gedichtband ,Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht‘, das war ihre Idee gewesen, und Georg Horvath sagte, dass er den Titel sehr, sehr gut fand“. Wie gesagt, es sind oft sehr komische Geschichten, deren Wirkung auf der Lakonie des Ausdrucks beruht.

Saša Stanišić:
„Fallensteller“.
Luchterhand, 277
Seiten, 19,99 Euro
Saša Stanišić: „Fallensteller“. Luchterhand, 277 Seiten, 19,99 Euro © Luchterhand

Oder von Stanišićs Fähigkeit zur Selbstironie her stammt. In der titelgebenden Erzählung „Fallensteller“, die mit 70 Seiten Länge die umfangreichste des Bandes ist, kehrt Stanišić nach Fürstenfelde zurück, an den brandenburgischen Ort also, den er in seinem 2014 erschienenen Roman „Vor dem Fest“ porträtierte. Man trifft die nicht anders als skurril zu nennenden Figuren des Romans in „Fallensteller“ wieder, und auch ein „Jugo-Schriftsteller“ taucht auf, genauer ein „verweichlichter Jugo, ganz ungewöhnlich“ – damit baut Stanišić die Entstehungsgeschichte seines Erfolgsbuchs in die „Vor dem Fest“-Fortsetzung mit ein. Samt augenzwinkerndem Seitenhieb auf radelnde Literatur-Touristen. Das reale Fürstenwerder, in dem der Schriftsteller einst recherchierte, wirbt stolz auf seiner Internetseite mit seinem literarischen Fürstenfelde-Zwilling.

Stanišićs Vergangenheit als Flüchtling, der im Jugoslawienkrieg mit seinen Eltern nach Heidelberg flüchtete, fand in den letzten Monaten einen besonders lauten Widerhall. In den Erzählungen nimmt er nun mehrmals Bezug auf die Flüchtlings- und Nahostkrise; öffentlich hat sich Stanišić nicht zur Thematik geäußert (schade eigentlich), nun tut er es künstlerisch. Auch in das literarische Fürstenfelde sind mittlerweile Syrer gezogen, sie werden dort, im tiefsten Osten, gut aufgenommen.

Das muss man mindestens auch von Stanišićs Erzählungen sagen. Das Publikum bei Cohen+Dobernigg etwa, es ist das erste, dem auf der Lesereise viele weitere folgen werden, schmunzelt öfter, und manchmal lacht es auch laut.

Lesungen, auf denen gelacht wird, sind meist die besten.

Saša Stanišić, der wunderbare Erzähler, der dem Deutschen die schönsten Laute ablauscht und der die weisesten Sätze („Mut kostet Kinderkraft, das weiß doch jeder“) schreibt, weiß jedenfalls nach der Hamburger Doppelpremiere, dass die Leute an den richtigen Stellen lachen. Seine Texte glänzen auf Papier, und sie funktionieren auch live.

Saša Stanišić liest heute in der Buchhandlung Felix Jud. Ulrich Greiner moderiert, Beginn 19 Uhr