Hamburg. Die Schriftstellerin stellte im Rolf-Liebermann-Studio ihren neuen Gesellschaftsroman „Unterleuten“ vor und bewies dabei auch Selbstironie

So ganz ungern berichtete sie dann doch nicht vom Brief einer Leserin, obwohl Juli Zeh, 41, den Moderator Joachim Dicks erst ein wenig schalt ob seiner Redseligkeit; die warmen Worten eines Fans waren eigentlich nicht fürs Publikum bestimmt. Gut, also: „Unterleuten“, der neue und derzeit in der Bestsellerliste weit oben stehende Roman Zehs, beschreibe eine Epochenwende, findet die Leserin – „so wie ,Buddenbrooks‘ von Thomas Mann“.

Kann eine deutschsprachige Autorin mehr Lob erfahren? Es wird jedenfalls dem Selbstbewusstsein Juli Zehs, jener vielseitigen und scharfsichtigen Erfolgsautorin, durchaus entsprochen haben, mit dem großen Gegenwartsdiagnostiker verglichen zu werden.

Das war ja ihr Ziel mit dem neuen Buch: etwas über die deutsche Realität zu erzählen. So etwas machen ambitionierte Autoren im Genre des Gesellschaftsromans. „Unterleuten“ spielt im Jahr 2010, als, wie Moderator Dicks zu Recht erwähnte, das Land noch ein anderes war, eines ohne Flüchtlinge und Zugezogene nämlich. Das fiktive Unterleuten liegt in Brandenburg.

Es leben dort maximal die Hälfte der Menschen, die an diesem Abend zur Lesung Juli Zehs ins mit 420 Gästen ausverkaufte Rolf-Liebermann-Studio kamen. Unterleuten ist also überschaubar; ein perfektes Setting für eine Schriftstellerin, die von rabiat unterschiedlichen und doch ähnlichen Charakteren, ihren neuen und alten Konflikten; die von den unterschiedlichen Egoismen; die vom Land und auch von der Stadt erzählen will.

Weil Zeh zu den Autoren gehört, die auch gerne über ihre literarische Produktion erzählen, wurde es ein kurzweiliger Abend, ebenso wenig zäh wie Zehs 650-Seiten-Schwarte. Apropos: Den Liedermacher Rainald Grebe hält Zeh für einen der großen Philosophen der Gegenwart; er brauche statt 650 Seiten nur dreieinhalb Minuten, so Zeh – zum Beispiel, um Brandenburg zu porträtieren.

Juli Zeh, vielen im Publikum als Polit-Talkshow-Gast („Ich bin eine politisch engagierte Autorin, schreibe aber keine politischen Romane“) bekannt, kann Selbstironie. Und doch will sie die Deutungshoheit über das eigene Werk (keine Seltenheit bei Autoren) und stets die Kontrolle über die Gesprächssituation, was zu einigen zumindest den Anfangsverdacht des Schnippischseins rechtfertigenden Dialogen führte. Es war eine unterhaltsame Veranstaltung, in der Zeh die interessante Einsicht formulierte, dass es Scheuklappen brauche, um eine klare Haltung zu haben, ihr sei das beim Thema Datenschutz gelungen: Wer aber anders als schwarz-weiß denke, der verfalle leicht in eine Art Handlungsstarre. Zeh sprach außerdem über unsichere Geschlechterrollen, die Wonnen der selbstreferenziellen Intertextualität und den Rasentraktor ihres Ehemannes. Letzterer ist Zehs erster Leser, und er streicht dabei stets die ersten und letzten Sätze eines Kapitels weg, „deswegen habe ich gute Cliffhanger“.

Es machte Spaß, der eloquenten Rednerin Zeh zuzuhören. Sie sprach druckreife Sätze. Fast war man froh, dass ihr gegen Ende eine Schriftsteller-Plattitüde unterlief: Ihre Figuren seien alle „wie Kinder von mir“.