Hamburg. Vom „Hundertjährigen“ aus Altona bis „Tratsch im Treppenhaus“ aus dem Ohnsorg – warum hanseatische Bühnen-Hits auch im Ausland touren.
Der Theaterbetrieb war und ist reich an Anekdoten. Das weiß auch Axel Schneider. Bevor er 1995 als 28-Jähriger das Altonaer Theater übernahm, erzählte ihm Intendanten-Vorgänger Hans Fitze, dass er im Jahr zuvor von 3,5 Millionen D-Mark an Subventionen der Kulturbehörde allein 800.000 Mark für die „Stadtrandbespielung“ zur Verfügung gehabt habe. Das umfasste damals etwa auch Stadtteile wie Hamburg-Berne.
Andere Zeiten, knappe Kassen: Heute verantwortet Multi-Intendant Schneider mit seinem Geschäftsführer Holger Zebu Kluth unter dem Dach der bereits vor 21 Jahren gegründeten Stäitsch Theaterbetriebs GmbH das Altonaer Theater, das Harburger Theater, die Hamburger Kammerspiele und ganzjährig auch den Spielbetrieb im Bergedorfer Haus im Park. Und der Gastspielbereich, anfangs nur im Hamburger Umland, wurde in den vergangenen zehn Jahren unter dem Leiter Peter Offergeld systematisch ausgebaut. Die Stäitsch Theaterbetriebs GmbH, laut eigenen Angaben inzwischen Marktführer in der bundesweiten Gastspielbranche, gibt von seinen 1350 Aufführungen pro Saison inzwischen 400 außerhalb Hamburgs.
Bei der Stäitsch GmbH machen Gastspiele fast 20 Prozent des Umsatzes aus
Während die Förderung von Seiten der Stadt seit dem Jahr 2006 nur um 74.500 Euro auf 1,4 Millionen Euro (für alle vier Theater) gestiegen sei, habe sich der Umsatz aus dem Gastspielbetrieb in zehn Jahren von knapp 300.000 auf mehr als 1,6 Millionen Euro erhöht, rechneten Schneider und Kluth vor. Er macht damit fast 20 Prozent des Gesamtumsatzes von 8,2 Millionen der Stäitsch GmbH aus.
Als Renner erwiesen sich die Produktionen „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ mit dem früheren „Tatort“-Star Jörg Schüttauf in der Titelrolle. Das Stück brachte es seit der Premiere 2013 in Altona auf 118 Gastspiele. Ähnlich erfolgreich waren „Der Ghetto Swinger“ mit 88 Gastspielen seit 2012 sowie „Pasta e Basta“ (jeweils Kammerspiele) mit 78 Gastspielen seit 2009.
Von den 500 Ohnsorg-Aufführungen sind heute etwa 150 Gastspiele
Für Geschäftsführer Kluth sind drei Aspekte am erweiterten Gastspielbetrieb wichtig: „Er dient dazu, die produzierenden Theater lebensfähig zu erhalten, die künstlerischen Erfolge wirtschaftlich voll zu nutzen und den Schauspielern längerfristige Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen.“
Noch länger im Geschäft der Gastspielbranche als die Stäitsch GmbH ist Christian Seeler. Schon einige Jahre bevor er 1996 Intendant des Ohnsorg Theaters wurde, hatte Seeler, nicht nur ausgebildeter Schauspieler, sondern auch gelernter Groß- und Außenhandelskaufmann, die in Elmshorn ansässige Nordtour Theater Medien GmbH gegründet. Er brachte auch die legendäre Volksschauspielerin Heidi Kabel mit dem fast ebenso legendären Stück „Tratsch im Treppenhaus“ insgesamt zweieinhalb Jahre auf Tournee sowie dazu, 400 Vorstellungen außerhalb Hamburgs zu spielen.
Von den 500 Ohnsorg-Aufführungen pro Saison sind heute etwa 150 Gastspiele. „Das ist uns von der Stadt auferlegt worden“, sagt Seeler, dessen Haus bei einem 6,8-Millionen-Etat in dieser Spielzeit 1,9 Millionen Euro Förderung von der Kulturbehörde erhält. Die Pläne hat Seeler jeweils dem Ohnsorg-Aufsichtsrat vorzustellen, der auch darüber wachen soll, dass es keine Verquickung zwischen seiner Intendanten-Tätigkeit und der des Nordtour-Geschäftsführers gibt.
„Die Gastspielbranche ist ein sehr hartes Geschäft“
Ohnsorg-Klassiker, aber auch modernere Stücke seien außer in Norddeutschland besonders in Nordrhein-Westfalen und Ost-Hessen gefragt, jeweils auf Hochdeutsch. Sogar in Basel (Schweiz) wurde „Tratsch im Treppenhaus“ schon 40-mal gespielt, freut sich Seeler. Natürlich ist das Ohnsorg Hamburgs populärster Bühnen-Botschafter, mit seiner Nordtour hat Seeler aber auch andere Hamburger Theater und Stücke bundesweit unters schauspielinteressierte Volk gebracht.
Dazu zählten etwa der Krimi „Polizeirevier Davidwache“ und die Schlager-Revue „Hossa“ aus dem Imperial Theater mit jeweils gut 50 Vorstellungen, aber auch dramatische Stoffe wie „Gift. Eine Ehegeschichte“ (Ernst Deutsch Theater), „Der Wind macht das Fähnchen“ aus dem kleinen Theater Kontraste oder jüngst die musikalische Komödie „Oh, Alpenglühn!“ aus dem Schmidt Theater.
„Die Gastspielbranche ist ein sehr hartes Geschäft“, sagt Christian Seeler. Sowohl für Schauspieler als auch für Veranstalter. Heute gebe es etwa nur noch halb so viele Unternehmen wie vor 25 Jahren, als er mit Nordtour anfing. Ein Grund: Vielen örtliche Kulturvereinen und Kulturämtern wurde das Geld für Gastspiele gestrichen.
Und was ist mit Hamburgs Staatstheater?
Für das Image Hamburgs als Kulturstadt bringen die Privattheater, die auch in kleinen oder mittelgroßen Städten gastieren, jedoch eine ganze Menge, da sind sich Seeler und Schneider einig. Als Säule ist der Gastspielbereich für das Überleben der Stäitsch-Theater sogar überlebenswichtig, damit am Ende zumindest eine schwarze Null steht. Der erwirtschaftete Umsatz decke lediglich ein Defizit ab, welches durch die Untersubventionierung der Theater entsteht, meint Schneider.
Auch die sind öfter auf Tournee, als gemeinhin bekannt, vor allem im Ausland. So gastiert das Deutsche Schauspielhaus mit Intendantin Karin Beier von diesem Freitag an auf seinem eigenem Festival „Brandhaarden“ in Amsterdam. Auf dem Programm stehen etwa „Effi Briest“ oder John Osbornes „Der Entertainer“.
Das Thalia Theater geht im März auf Europatournee mit dem Steinbeck-Stück „Früchte des Zorns“, wie immer zu solchen Anlässen nur auf Einladung. Für fünf Vorstellungen gastierte es erst im Januar mit „Woyzeck“ beim Sydney Festival in Australien; im Vorjahr führte das Ensemble von Intendant Joachim Lux die Reise mit den „Nibelungen“ sogar nach Wuzhen in China.
Zwar werden in der Zielvereinbarung der Kulturbehörde Auslandsgastspiele aus wirtschaftlichen Gründen nicht ausdrücklich gefordert, dennoch weiß Lux: „Die Gastspiele in aller Welt sind ein wirtschaftlich wesentliches Standbein des Thalia Theaters. Darüber hinaus aber sind wir damit ein wichtiger Kulturbotschafter Hamburgs. Kostengünstiger kann sich eine Stadt gar nicht vermarkten.“