Hamburg. In der Laeiszhalle präsentierte ein britisch-amerikanisches Auktionshaus Streichinstrumente im Wert von bis zu 150.000 Pfund.

Tschaikowsky? Nein, Brahms. Nein, beide. Und das da ist doch die Einleitung zu Mozart A-Dur! Aus Richtung Fenster tönt es nach Bartók-Solosonate. In der halligen Akustik im Studio E der Laeiszhalle klingen die Allzeithits der Geigenliteratur in Endlosschleife durcheinander. Etwa 20 Menschen verteilen sich auf der kleinen Bühne und spielen, darunter zwei Konzertmeister eines hiesigen Sinfonieorchesters, Studenten, Hochschulabsolventen und begabte Schülerinnen. Daneben lauschen und schauen Väter, Ehefrauen, Geigenbauer. Mal überbieten die Künstler einander mit Kostproben ihrer Virtuosität, mal beugen sie sich über die Streichinstrumente auf den langen Tischen und betrachten eingehend Böden, Decken und Stege.

Jeder von ihnen setzt sich dem akustischen Knäuel bewusst aus. So kann eine Instrumentenausstellung klingen – so intensiv, dass die Ohren irgendwann abstumpfen wie die Nase bei zu vielen Parfüms. Dies ist eben keine Museumsausstellung, sondern eine Roadshow. Zwei Tage lang zeigt das Auktionshaus Tarisio, ansässig in London und New York, die Instrumente für seine nächste Auktion: 20 Geigen, fünf Bratschen und zwei Celli, außerdem Dutzende von Bögen. Es sind keine Superstars der Zunft dabei, keine Stradivari oder Guarneri, aber durchaus große Namen wie Vuillaume oder Goffriller.

Pauline Renk ist aus Neugierde gekommen. „Ich wollte mich davon inspirieren lassen, was es an Klangfarben gibt“, sagt die 27 Jahre alte, mehrfach preisgekrönte Geigerin. Orchestererfahrung hat sie nach ihrem Studium an der Hamburger Musikhochschule in der Akademie des Philharmonischen Staatsorchesters gesammelt, zurzeit studiert sie auf Master an der Lübecker Musikhochschule. Ihr nächstes Projekt: Barockvioline lernen. Von den Exponaten hat es ihr eine alte italienische Geige spontan angetan. „Sie hat einfach Charme“, sagt Renk, dann nimmt sie das nächste Instrument vom Tisch. Wie ihre Kollegen versucht sie den Umständen an Eindrücken abzutrotzen, was geht. Eine Ahnung bekommt man ja schon davon, ob eine Geige etwa eine silbrige Höhe hat oder einen obertonreichen, oboenartigen Ton.

„Etwa 60 Prozent der Leute, die zu uns kommen, sind Endverbraucher“, sagt Jason Price, der Gründer und Geschäftsführer von Tarisio. Damit meint er Musiker. Für die Geigen weist die Liste erwartete Preise zwischen 6000 und 150.000 Pfund aus. Im Vergleich zu dem, was für Stradivaris aufgerufen wird, liegt diese Spanne noch im Bereich des Finanzierbaren. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Der Markt für Streichinstrumente befindet sich in einer Aufwärtsspirale. Geigen, Bratschen und Celli taugen eben nicht nur zum Spielen, sondern auch als Wertanlage. Mit der Folge, dass diejenigen, für die sie gemacht sind, sich die teuersten Instrumente aus eigener Finanzkraft längst nicht mehr leisten können. Der Geiger Frank Peter Zimmermann hat die mehreren Millionen Euro für die Stradivari, die er jahrelang gespielt hatte, nicht aufgebracht, als seine Leihgeberin das Instrument versilbern wollte. Im Februar 2015 gab er sie zurück.

Selbst Weltstars sind mitunter darauf angewiesen, dass Stiftungen oder private Mäzene die Instrumente erwerben und ihnen zur Verfügung stellen. „Auch wenn ein Finanzier dahintersteht, treffen die Musiker die Auswahl natürlich selbst“, ist Prices Erfahrung. Deshalb die Ausstellung.

Price schickt seine kostbare Ware auf Tour, denn die Interessenten können die Instrumente nicht mehr im Auktionshaus begutachten. Price, Jahrgang 1976, gelernter Cellist, Geigenbauer und Literaturwissenschaftler, hält seine Auktionen nämlich im Internet ab. „Als ich zum ersten Mal von Ebay hörte, dachte ich, so etwas muss doch für Instrumente auch möglich sein“, erzählt er von seinen Anfängen.

Felix Schleiermacher, Geigenbauer aus Hamburg, findet den guten Zustand der Instrumente bemerkenswert. „Ich habe oft erlebt, dass die Instrumente vor einer Auktion so dalagen, wie sie auf Großmutters Dachboden gefunden wurden“, sagt er. „Manche hatte nicht einmal vier Saiten.“

Von großen Namen lässt sich Schleiermacher nicht beeindrucken – auch dann nicht, wenn die auf kleinen Zetteln im Inneren einer Geige stehen. Neben der Joseph Gagliano, der Favoritin von Renk, liegt eine Geige von den Brüdern Raffaele und Antonio Gagliano, die ist 50 Jahre jünger. „Die beiden haben in der Literatur keinen guten Ruf“, sagt Schleiermacher. „Aber italienische Geigen haben einen Nimbus, den man mitbezahlt. Da muss man schon genau hinhören, ob der Klang den Preis rechtfertigt.“

Aber was ist eigentlich guter Klang? Von dürren Indizien wie der Qualität der Verarbeitung oder der Wölbung von Decke und Boden abgesehen, liegt die Wahrheit hier im Ohr des Spielers – und des Hörers. Weshalb ein Besuch bei der Ausstellung von Tarisio sich als alleinige Entscheidungsgrundlage nicht eignet. Wer sich ein Streichinstrument aussuchen will, muss die eigene Wahrnehmung ähnlich differenziert befragen wie ein Weinkenner, nur sind die Folgen ungleich teurer. Manche Feinheiten der Ansprache, die letzten Reserven an Klangfarben gibt ein edles Instrument ohnehin erst nach Jahren preis. Aber Hinweise darauf kann ihm ein erfahrenes Ohr schon beim Kennenlernen ablauschen. Wie sprechen die Saiten an? Kann das Holz der Geige frei schwingen? Ist der Klang über alle Register hinweg homogen?

Pauline Renk hat mittlerweile alle Geigen angespielt und die paar Bratschen auch noch. Mit einigen Instrumenten hat sie mehr Zeit zugebracht. Es ist ruhiger geworden im Saal. Zum Abschied nimmt Renk noch einmal die Gagliano zur Hand, Neapel 1780, Schätzpreis 25.000 bis 40.000 Pfund. „Das Geld habe ich einfach nicht“, sagt sie. „Aber so vom Fleck weg würde ich sie auch nicht kaufen. Ich müsste sie in Ruhe mit meiner eigenen Geige vergleichen.“ Vielleicht findet Renk ja einen Finanzier. In der Welt der kostbaren Streichinstrumente ist vieles möglich.