Hamburg. Der in London lebende Fotograf Giacomo Brunelli war sechs Wochen als Flaneur im Winter in der Stadt unterwegs.

Dort, wo andere sich von der allgegenwärtigen Beschleunigung, vom Wettlauf erfassen lassen, schaltet Giacomo Brunelli lieber einen Gang zurück. Für sechs Wochen war der in London lebende Fotograf im vergangenen Winter und Frühjahr vom Kurator der Foto-Triennale, Krzystof Candrowicz, nach Hamburg eingeladen worden, um für ein Projekt namens „Flaneur“ zu fotografieren. Eine andere Serie, „Eternal London“, für die er zwei Jahre unterwegs war, wurde mit großem Erfolg ausgestellt und publiziert. Die „Flaneur“-Fotos waren auf dem Rathausmarkt präsentiert worden, wo sie im allgemeinen Triennale-Trubel etwas untergingen. Jetzt sind einige dieser eleganten, geheimnisumwitterten Aufnahmen, die häufig an die Bildsprache des Film Noir erinnern, bis zum 12. März in der Galerie Robert Morat zu sehen.

Durch die Augen von Giacomo Brunelli lernt man Hamburg von einer Seite lieben, die nur sieht, wer zu Fuß unterwegs ist und die Stimmung der Stadt in der so reizvollen, lichtarmen Jahreszeit auf sich wirken lässt. Brunelli ist jemand, der seine Wege wiederholt, sehr langsam und ziellos unterwegs ist, und der warten kann. „Für mich ist das die einzige Art, eine Aufgabe anzugehen. Es ist sehr wichtig, nicht zu hasten.“

Ohne Blitz, Filter oder andere Tricks nimmt er seine Miranda Sensomat 35-mm-Kamera aus den 60er-Jahren zur Hand, die sein Vater ihm geschenkt hat, und macht analoge Fotos, die er dann in der eigenen Dunkelkammer entwickelt.

Das Morgenlicht, den typisch hamburgischen wolkigen Himmel mag er am liebsten. Um 7 Uhr früh zog er also los, fotografierte die steil aufragende schwarze Silhouette eines leicht gebeugten Mannes mit hoher, eingesackter Mütze vor dem Kirchturm von St. Petri – und ihm gelang ein Bild von mittelalterlichem Pathos.

Der fortgehende Mann mit Hut und Mantel ist ja auch eine Art Klassiker des Genres Gangsterfilm, und an solche Motive erinnert man sich, wenn man sie bei Brunelli wieder antrifft. Allerdings wusste er auch das typisch Hamburgische besonders zu schätzen und zu betonen, zum Beispiel die vielen Kanäle, die das Wasser verfinstern, in dem sich meistens historische Fassaden spiegeln. Oder Brücken, deren Bögen oder Haltekonstruktionen er in eine dramatische Kulisse verwandelt.

„Diese gewisse Romantik“, die von den Alsterarkaden ausgeht, habe es ihm angetan, das Verwischte, wenn man dort ohne Blitz einen auffliegenden oder landenden Schwan fotografiert. Und das verwinkelte Blankeneser Treppenviertel. Aber vor allem die Kanäle, die großen alten Backsteinspeicher, Brücken, umschatteten Bögen, verwinkelten Durchblicke. Um solche ewigen Bilder hinzubekommen, müsse man aus seiner Komfortzone auftauchen, betont Brunelli. Bei jedem Wetter raus, auch früh morgens, auch, wenn es regnet.

Genau dann, wenn die meisten nur abwinken und drinnen bleiben, ist für Giacomo Brunelli die Zeit gekommen, „um die Schönheit dieser Stadt zu feiern“. Für die großen Meister der Fotografie wie Henri Cartier-Bresson, Jacques Henri Lartigue, Imre Kertesz oder Man Ray hegt er die größte Bewunderung. Das Wasser, findet Brunelli, „schafft in Hamburg eine schwebende Atmosphäre. Und es war für mich ein großes Glück, auch versteckte Plätze mit der Kamera aufzuspüren, dort, wo die Boote lautlos über das Wasser gleiten, und vor allem in der fantastischen Speicherstadt mit ihrer etwas surrealen Atmosphäre. Sehr befremdlich.“

Auch die Innen- und Außenalster mit ihrer schönen Bebauung ringsum liebt Brunelli, aber am meisten die Ufer, die das Verharren für Mensch und Tier erzwingen und dem Fotografen das nächste spannungsvolle, entschleunigte Motiv bescheren. Flanieren will eben gelernt sein.

Ausstellung bis 12.3. Galerie Robert Morat (U Messberg), Kl. Reichenstr. 1, Fr–Sa 12–18 Uhr oder nach Vereinbarung. Telefon: 32 87 08 90