Hamburg . In Yasmina Rezas „Bella Figura“ spielen Judith Rosmair und Stephan Schad ein heimliches Liebespaar. Premiere ist im St. Pauli Theater.
Die Französin Yasmina Reza gilt als erfolgreichste zeitgenössische Theaterautorin. Ihr Stück „Kunst“ wurde allein in Deutschland von weit mehr als einer Million Zuschauern gesehen. Rezas Stücke werden weltweit gespielt, Roman Polanski hat das Dialogfeuerwerk „Gott des Gemetzels“ mit Kate Winslet und Jodie Foster erfolgreich verfilmt. Rezas jüngstes Stück, „Bella Figura“, kommt nun am St. Pauli Theater heraus. Ulrich Waller inszeniert das Fünf-Personen-Stück, in dem unter anderem Judith Rosmair und Stephan Schad ein Liebespaar spielen, das seit vier Jahren eine Affäre hat, obwohl er verheiratet ist. Sie treffen sich zum Seitensprung, und vieles geht, wie immer in Rezas Stücken, schief. Ein Gespräch mit den beiden, die lange zum Ensemble des Thalia Theaters gehörten.
Hamburger Abendblatt: Andrea ist Apothekenhelferin mit leichter Tablettensucht, Boris möchte die Nacht mit ihr verbringen, weil seine Frau verreist ist. Er führt Andrea in ein Restaurant, das ihm seine Frau empfohlen hat. Damit beginnt die erste Krise.
Stephan Schad: Genau. Er macht den Fehler, ihr das zu erzählen.
Judith Rosmair: Boris hat kein Unrechtsbewusstsein. Er nimmt ihre Rolle als Geliebte als eine Selbstverständlichkeit. Das verletzt Andrea. Sie kontert seine Grobheiten mit Galgenhumor.
Hofft sie, dass er sich irgendwann für sie entscheiden wird?
Rosmair: Unbedingt. Das ist ein ganz starker Motor für meine Figur. Die beiden treffen im Restaurant auf ein Pärchen, von dem jeder vorher auch andere Partner hatte. Andrea möchte, dass Boris zu ihr steht, doch ihre Sehnsucht wird immer wieder gebrochen.
Und was möchte Boris?
Schad: Über diese Thematik sind Judith und ich uns völlig uneinig. Was aber der Sache bekommt.
Rosmair: Boris und Andrea haben völlig unterschiedliche Auffassungen, was diese Langzeit-Affäre für sie bedeutet. Und ich finde es wunderbar, dass seine Figur etwas total anderes erwartet, wünscht und denkt als meine Figur. Männer und Frauen, zwei Planeten.
Schad: So ist es ja geschrieben. Er lebt in einer halbwegs normalen Ehe, die schon lange besteht. Aber mit dieser Ehe ist die Verantwortung für die Kinder verbunden, für das Geschäft. Er liebt Andrea, aber die Socken waschen möchte er mit ihr nicht. Er sieht keine gemeinsame Zukunft mit ihr. Sein großes Problem ist die Insolvenz, von der er bedroht ist. Er hat Angst, dass ihm bald alles um die Ohren fliegt, und fragt sich, ob ihn Andrea auffangen würde, wenn er nichts mehr hat. Und er möchte sie natürlich trotzdem um alles in der Welt behalten. Die Treffen mit ihr sind Highlights für ihn.
Ist Boris ein typischer Mann?
Schad: Absolut. Er macht die klassischen Männerfehler. Und belastet die Affäre auch noch damit, dass er ihr von seiner drohenden Insolvenz erzählt.
Rosmair: Es beleidigt Andrea, dass er zwar nicht sein Leben, aber sein Selbstmitleid mir ihr teilen will. Reza lässt Andrea diesbezüglich den wunderbaren Satz sagen: „Ein Mann, der vor die Hunde geht, sollte das in aller Stille tun.“
Wahrscheinlich treffen sie sich immer am Dienstag.
Rosmair: Leider eben nicht immer dienstags. Er richtet sich total nach seiner Frau. Er lobt seine Frau auch noch als Kämpfernatur, sodass ihr die beiden als Pärchen, das gemeinsam durch dick und dünn geht, erscheinen.
Schad: Ist doch toll, wenn man seiner Geliebten so etwas erzählen kann. Der Vögel-Vorschlag macht ihm Spaß. Er appelliert an den Humor, der die beiden verbindet.
Sie treffen im Restaurant auf die beste Freundin von Boris’ Frau, deren Partner und Schwiegermutter, die Boris beinahe überfahren hätte. Boris müsste das alles doch schrecklich unangenehm sein.
Schad: Er ist fassungslos. Die Begegnung mit der Freundin seiner Frau ist eine Katastrophe. Er will weg, aber die anderen wollen gemeinsam etwas trinken. Und er hat große Angst, dass seine Frau nun alles erfahren wird. Aber dann geht er mit dieser Freundin raus, und die Sache erledigt sich. Wahrscheinlich hatte er mit ihr auch mal was.
Rosmair: Andrea geht sehr offen, ja sehr offensiv mit der Situation um. Sie hat nichts zu verlieren. Sie fühlt sich gedemütigt, weil er so tut, als sei sie nur eine Geschäftspartnerin. Da packt sie ihre Waffen aus. Auch wenn sie ihn liebt. Man merkt, dass es sie Kraft kostet, Bella Figura zu wahren.
Herr Schad, Sie haben auch in Yasmina Rezas Stück „Kunst“ gespielt. Weiß die Autorin besonders gut, wie Männer und Frauen ticken?
Schad: Ja. Und ihre Texte sprechen sich sehr gut. Sie hat auch Lieblingsformulierungen, die sie immer wieder verwendet, beispielsweise: „ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen“. Das ist wie bei einem Maler, der eine bestimmte Farbe mag.
Das Schöne ist doch, dass man auch den Mann mit der langjährigen Geliebten, der in peinliche Situationen gerät, wiedererkennt.
Schad: Viele Autoren glauben, sie bräuchten einen tollen Plot für ein Stück. Yasmina Reza interessiert, wie die Figuren aufeinandertreffen, wie sich Koalitionen ändern, wie Menschen reagieren. Wie schön, wenn man im Theater sitzt und das Gefühl hat, die erzählen mir, wie ich bin. Im Kino dagegen fühlt man, wie man gerne wäre.
Sie gehörten beide einige Jahre zum Ensemble des Thalia Theaters, arbeiten seitdem frei. Was sind die Vor- und Nachteile, wenn man frei ist?
Schad: Wenn man zu einem Ensemble gehört, muss man die Rollen spielen, die einem angeboten werden. Viel Spielraum hat man nicht, was den persönlichen Weg angeht. Ich war irrsinnig gerne am Thalia und an anderen Theatern. Aber man ist auch ein wenig Leibeigener. Ich bin lieber frei. Ich kann drehen, arbeite gern als Sprecher, spiele an mehreren Theatern. So kann ich viel stärker Einfluss auf das nehmen, was ich gerne mache. Ich arbeite auch sehr gerne am St. Pauli Theater, weil hier ein toller Geist herrscht.
Aber die schönen Angebote muss man erst mal bekommen.
Schad: Natürlich. Das muss man sich über viele Jahre aufbauen. Und ich will auch nicht ganz ausschließen, noch mal in ein Ensemble zu gehen.
Rosmair: Es ist wahnsinnig schön, am St. Pauli Theater zu arbeiten. Uli Waller liebt seine Schauspieler, hier herrscht ein tolles Betriebsklima. Ich war auch sehr gerne im Ensemble. Ensembles sind etwas sehr Kostbares. Wenn man in andere Länder schaut, sieht man, wie privilegiert wir sind. Ich war glücklich als Ensemblemitglied, solange ich Raum bekommen habe, mitzugestalten. Ich würde gerne wieder in ein Ensemble gehen, aber nicht um jeden Preis.
Ist es denn schön, wieder in Hamburg zu spielen?
Rosmair: Es ist ein Traum!
„Bella Figura“, St. Pauli Theater, Spielbudenplatz, Premiere 20.1., 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen bis 8.2., Karten 17,70-43 Euro, T. 47 11 06 66