Hamburg. In Hamburg sind jetzt Inszenierungen großer Romane von John Steinbeck zu sehen. Was haben seine Werke uns heute noch zu sagen?
Ist es Zufall oder steckt Planung dahinter, wenn innerhalb einer Woche Inszenierungen von zwei Romanen des US-Amerikaners John Steinbeck an zwei Hamburger Theatern Premiere feiern? Am Altonaer Theater kommt am 17. Januar „Jenseits von Eden“ heraus, Steinbecks Familiensaga, die den älteren von uns durch Elia Kazans Verfilmung mit James Dean in einer der Hauptrollen im Gedächtnis ist.
Und am Thalia Theater inszeniert Luk Perceval gerade „Früchte des Zorns“, Steinbecks Roman, der das Schicksal einer Familie von Farmern beschreibt, die in der großen Depression der 1930er-Jahre und der Dürrekatastrophe ihre Heimat verlassen müssen. Diese Heimat ist Oklahoma, das Ziel Kalifornien. Der Exodus hat kein glückliches Ende. Auch von diesem Stoff gibt es einen großartigen Film, in dem Henry Fonda eine Hauptrolle spielt. Perceval inszeniert den Stoff mit einem internationalen, mehrsprachigen Ensemble und erzählt eine Urgeschichte der Migration. Premiere ist am 23. Januar.
Mitverantwortlich für den Spielplan jedes Theaters sind die Dramaturgen. Anke Kell, am Altonaer Theater tätig, erklärt, dass die Spielplangestaltung mit einem Text von John Steinbeck eher dem Zufall zu verdanken ist: „Vor zwei Jahren stießen wir auf die Fassung, die Ulrike Syha von ‚Jenseits von Eden‘ gemacht hatte und waren sofort begeistert. Die Geschichte über die ungleichen Brüder Adam und Charles und deren „Nachfolger“ Aron und Caleb ist eine Parabel auf die biblische Kain-und-Abel-Geschichte und damit zeitlos.“
„Früchte des Zorns ist eine Urgeschichte der Migration“, sagt dagegen die Dramaturgin des Thalia Theaters, Julia Lochte, „und damit erklärt sich schon, dass es ein hochaktueller Stoff ist. Wir haben uns relativ kurzfristig entschlossen, diesen Roman auf die Bühne zu bringen. Auf der Route 66 waren damals eine halbe Million Farmer auf der Flucht, die nicht mehr weiter wussten, weil sie durch die Wirtschaftskrise und jahrelang anhaltende Dürre ihre Existenzgrundlage verloren hatten. Sie waren Wirtschaftsflüchtlinge, die aus Oklahoma nach Kalifornien ins gelobte Land zogen.“
Statt der versprochenen gut bezahlten Arbeit erwarten sie dort Ausbeutung, Hunger und Anfeindung. Um den Treck und die Auffanglager authentisch schildern zu können, begleitete Steinbeck selbst einen solchen Treck nach Westen und schrieb Reportagen über die miserablen Lebensbedingungen.
„Das alles ist in den Roman eingeflossen“, sagt Julia Lochte „ebenso die Exodus-Geschichte aus der Bibel. Gleichzeitig stehen wir in Distanz zu dieser Geschichte aus den 30er-Jahren. Aber man versteht auch, dass Migration die Menschheit seit ewigen Zeiten prägt.“ Das ist auch für Anke Kell ein entscheidender Punkt: „Momentan findet eine Zäsur statt. Es geht darum, wie Menschen eine neue Umgebung empfinden, wie sie einer alten Geschichte entfliehen.“
Das hat John Steinbeck in seinem Leben wie in seinem Werk, das stets einfache Menschen in den Mittelpunkt gestellt hat, bewegt. Im Jahre 1962 wurde Steinbecks realistische Erzählkunst mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.
„Früchte des Zorns“ erzählt den Abstieg kleiner Farmer ins Bettlertum ebenso wie die Geschichte des Fremdseins, auch wenn, wie Julia Lochte weiß, „es keine religiösen Unterschiede gab und auch die Kultur sich nicht sehr unterschied, aber die Oakies wurden in Kalifornien als Fremde wahrgenommen und nicht gerne gesehen.“
„Steinbeck erforscht die menschliche Seele, indem er einfache Menschen, die mit einfachen Wünschen ihr Leben aufbauen und stabilisieren wollen, realistisch beschreibt. Das war damals so zeitgemäß wie heute. Zwei Menschen, die einander begegnen, sind sich erst einmal fremd. Das ist universell. Davon erzählt das Theater immer wieder“, sagt Anke Kell. Möglich, dass Steinbeck ein wenig stark Schwarz und Weiß gezeichnet hat. Aber dadurch erreichen uns diese Schicksale auch unmissverständlich.
„Früchte des Zorns“ sei weniger schwarz-weiß gestaltet, sagt Julia Lochte. „Man schaut eher in die Menschen hinein, und dadurch lebt man mit dieser Familie mit.“
Und die Inszenierungen? Sind die nun mit sehr vielen Bezügen zu unserer derzeitigen Situation ausgestattet? Am Thalia, so erzählt Julia Lochte, sehen die Menschen aus, wie zur Zeit Steinbecks. „Wir ändern nichts am Text, aber der ist so stark, dass die Zuschauer sich ihre Bezüge selbst herleiten können.“ „Wir bleiben auch in der Zeit“, erklärt Anke Kell, „wir bewegen uns zwischen 1870 und 1917. Wir begleiten Adam von der Jugend bis zum Tod.“
John Steinbeck ist möglicherweise aktueller als Hauptmann und Brecht
John Steinbeck, so behaupten beide Dramaturginnen überzeugend, sei sehr modern. Er liefert „starke Stoffe und Welthaltigkeit“. Seine sozialkritischen Romane sind möglicherweise aktueller als Stücke von Hauptmann oder Brecht, die ja immer auch ein bisschen belehrend wirken. „Steinbecks Untersuchung des Menschen, seiner Träume, seiner Kämpfe zeigt uns, wo der Mensch steht. Das macht seine Texte so spannend.“
Dass John Steinbeck ein vergessener Autor war, würden weder Julia Lochte noch Anke Kell behaupten. „Dazu sind seine Werke zu zeitlos“. Aber dass man mit den beiden Bearbeitungen seiner großen Romane wichtige Stoffe fürs Theater entdeckt hat, da sind sie sicher. „Bei uns am Thalia ist die Familie transnational besetzt, die Schauspieler kommen aus vielen Ländern, sprechen verschiedene Sprachen,“ sagt Lochte. „Das ist eigentlich völlig unlogisch für eine Familie. Aber vielleicht ist es genau das, womit wir heute umgehen müssen, mit einem Zusammenleben, das Diversität akzeptiert und als Realität anerkennt.“
„Jenseits von Eden“, Altonaer Theater, Museumstraße 17, Premiere 17. Januar, 19 Uhr (ausverkauft), Vorstellungen bis 20. Februar, Karten 16-32 Euro,
T. 39 90 58 70
„Früchte des Zorns“, Thalia Theater, Alstertor, Premiere 23.1., 19.30 Uhr, weitere Vorstellungen 24.1., 5.2., 13.2., Karten: 7,50-38 Euro, T. 32 81 44 44