Hamburg. Der amtierende Leiter der Londoner Wallace Collection, Christoph Vogtherr, wird zum 1. Oktober neuer Direktor des Museums.

Die Kunsthalle bekommt einen neuen Direktor: Am 1. Oktober wird Christoph Martin Vogtherr, 50, der bisherige Chef der Londoner Wallace Collection, die Nachfolge von Hubertus Gaßner übernehmen, der dann in den Ruhestand tritt. „Mit Christoph Vogtherr geben wir die Leitung der Hamburger Kunsthalle in die Hände eines ebenso erfahrenen wie innovativen Museumsdirektors“, sagte Kultursenatorin Barbara Kisseler, die den gebürtigen Niedersachsen gestern in der Kunsthalle vorstellte. Mit ihm habe man eine Persönlichkeit gefunden, „die dem Rang der Hamburger Kunsthalle gerecht wird und neue internationale Impulse setzen wird“. Vogtherr hat in Berlin, Heidelberg und Cambridge Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie studiert und in Potsdam sowie bei der Getty-Stiftung gearbeitet, bevor er 2007 an die renommierte Wallace Collection kam, deren Leitung er 2011 übernahm. Im Abendblatt äußert er sich erstmals ausführlich über seine künftige Aufgabe.

Hamburger Abendblatt: Herr Vogtherr, wie beurteilen Sie den Rang der Kunsthalle im nationalen und im internationalen Vergleich?

Christoph Vogtherr: Für den Bereich der Zeichnungen und der Kunst vom 18. bis zum 21. Jahrhundert gehört Hamburg in Deutschland zu den Top Five. International ist es auch eines der großen Museen ...

Kennt man in London die Hamburger Kunsthalle?

Vogtherr : Nicht so, wie man sie kennen sollte. Ich sehe es daher auch als große Aufgabe, die Kunsthalle international noch stärker präsent zu machen. Allerdings ist sie bei Spezialisten in bestimmten Bereichen sehr bekannt. Wer sich zum Beispiel mit Manet, mit der Romantik oder der „Brücke“ beschäftigt, der kennt die Kunsthalle natürlich. Unter Zeichnungs-Experten ist sie ohnehin eine feste Größe, aber insgesamt ist da noch etwas zu tun.

Sie kommen zu einem sehr günstigen Zeitpunkt, übernehmen ein „grund­saniertes“ Museum, das außerdem in diesem Jahr ein sehr attraktives Ausstellungsprogramm bietet. Wann kann man eigene Akzente von Ihnen erwarten?

Vogtherr : Ich bin natürlich sehr froh, dass ich das Haus „grundsaniert“ übernehmen kann, und habe großen Respekt vor dem, was Herr Gaßner, Herr Brandt und die Kollegen da geleistet haben. Ich habe ein großes Bauprojekt an der Wallace Collection geleitet und weiß daher, was das bedeutet. Kleine eigene Akzente wird man schon 2017 sehen können, weil ich mich sehr dafür interessiere, wie die ständige eigene Sammlung künftig präsentiert wird.

Wie ständig kann eine ständige Präsentation heute noch sein?

Vogtherr : Ich finde eine Kombination aus Beständigkeit und Veränderung interessant. Etwa wie man es in der neuen Tate Britain sehen kann, die in einem äußeren Kranz von Galerien eine Chronologie der britischen Geschichte in einem sehr stabilen Rahmen zeigt, und einen inneren Kranz von Räumen hat, in dem sich das sehr häufig ändert. Die Kunsthalle hat die Verpflichtung, einer größeren Region auch eine klassische Kunstgeschichte zu präsentieren, aber sie darf gleichzeitig nicht statisch sein, sondern muss sich wandeln, um zu Diskussionen anregen zu können.

Zurzeit läuft mit „Spot On“ noch eine Präsentation, durch die die Hamburger ihre ständige Sammlung quasi neu entdeckt haben. Wie wollen Sie mit dem Bestand arbeiten?

Vogtherr : Die Wiederentdeckung der eigenen Sammlung ist in jedem Fall gut. Aber danach beginnt die eigentliche Arbeit, denn was man in „Spot On“ sehen kann, ist ja nur eine schmale Auswahl eines viel größeren Bestandes, den die Kunsthalle in der gleichen Qualität zu bieten hat. Wir müssen erreichen, dass das Publikum sich für die ganze Breite der Sammlung interessiert und diese immer wieder neu entdeckt.

Anders als die meisten anderen Museen hat die Kunsthalle eine Doppelspitze. Sie leiten das Museum gemeinsam mit Stefan Brandt, dem kaufmännischen Geschäftsführer, der sich nicht nur für Zahlen, sondern durchaus auch für Inhalte interessiert. Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit mit ihm vor?

Vogtherr : Gut, harmonisch und produktiv. Wie werden uns schon in nächster Zeit über die zukünftige Zusammenarbeit verständigen. Ich denke, dass die Doppelspitze eine große Chance und auch ein gewisses Risiko hat. Die Chance ist die Tatsache, dass wir uns beide in jeweils einem Bereich besser auskennen und daher entlasten können. Ein Risiko würde es nur dann geben, wenn es uns nicht gelänge, uns gegenseitig gut abzustimmen und nach außen sozusagen nahtlos zu wirken. Aber nach meinem ersten Eindruck wird das kein Problem sein.

Welche Bedeutung messen Sie großen Sonderausstellungen bei? Das Publikum erwartet so etwas, werden Sie diese Erwartungen erfüllen?

Vogtherr : Generell denke ich, dass große Sonderausstellungen oft überschätzt werden. Trotzdem halte ich sie keineswegs für unnötig oder verzichtbar. Oft ist aber das, was in den Museen vorhanden ist, spannender als manche „spannende“ Sonderausstellung. Ich würde das Programm gern aus der ständigen Sammlung heraus entwickeln, sodass sich eine Sonderausstellung stets darauf bezieht und man genau weiß, warum sie hier passiert und nicht irgendwo anders. Außerdem kann eine Sonderausstellung die Chance bieten, einem Thema mal wirklich auf den Grund zu gehen, was natürlich sehr reizvoll ist. Es kann aber nicht darum gehen, die Attraktion der ständigen Sammlung zu ersetzen, sondern vielmehr darum, sie zu bereichern.

Sehen Sie Ihre Rolle eigentlich eher als „Intendant“ oder als Ausstellungsmacher?

Vogtherr : Ich bin kein Anhänger des Intendanten-Modells. Ein Museumsdirektor sollte in einem sehr engen persönlichen Kontakt zu seiner Sammlung stehen. Das heißt nicht, dass er die Diva ist, die ständig singt, aber dass er durchaus auch mal singen kann. Es kommt immer auf die Balance an.

Haben Sie ein Lieblingskunstwerk aus der Kunsthalle?

Vogtherr : Es sind natürlich mehrere. In Hinblick auf mein absolutes Lieblingskunstwerk bin ich mir aber mit Hubertus Gaßner einig: Die „Nana“ fasziniert mich, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Ich mag „Abschied von Aeneas und Dido“ von Lorrain sehr gern, aber danach wird die Liste schnell sehr lang.

Die deutsche Gesellschaft steht aktuell vor enormen Veränderungen. Wie kann und soll sich eine Institution wie die Kunsthalle daran beteiligen?

Vogtherr : Würde sich die Kunsthalle daran nicht beteiligen, hätte sie ihr Ziel verfehlt. Museen sind generell als politische Verständigungsorte für eine Gesellschaft gegründet worden. Die Grundlage sind hier nicht Texte und Überzeugungen, sondern Kunstwerke und ästhetische Eindrücke. Das ist ein ganz großer Vorteil, weil Bilder häufig einen viel besseren Einstieg bieten können als Texte. Auch bei Neuankömmlingen können Bilder der Verständigung dienen, gerade wenn sie die Sprache noch nicht beherrschen.

Auch wenn man in Rechnung stellt, dass andere Kulturen manchmal einen anderen Zugang zum Bild haben?

Christoph Vogtherr mit Kultursenatorin
Barbara Kisseler
Christoph Vogtherr mit Kultursenatorin Barbara Kisseler © HA | Klaus Bodig

Vogtherr : Das ist der Zweck der Sache, denn es geht ja gerade nicht darum, sich nur zu bestätigen. Es wäre falsch, wenn wir keine Überraschungen bieten würden. Wir brauchen aber moderierte Überraschungen. Das darf nicht bei Schock und Entsetzen oder bei Langeweile stehen bleiben, sondern wir müssen auch Menschen aus anderen Kulturen davon überzeugen, dass es sich lohnt, sich mit Kunstwerken aus unserer Kultur auseinanderzusetzen.

Haben Sie diesbezüglich in London Erfahrungen gemacht?

Vogtherr : In der Diskussion, ob man zum Beispiel muslimischen Besuchern Aktdarstellungen zumuten darf, habe ich immer die klare Position vertreten, dass es nach den Regeln des Ortes geht und dass solche Darstellungen dann selbstverständlich dazugehören. Hier müssen die Museen selbstbewusst auftreten, den Besuchern aber die Möglichkeit bieten, sich damit auseinanderzusetzen.

Welche Erfahrungen, die Sie in London gemacht haben, werden Ihnen in Hamburg nützlich sein?

Vogtherr : Es sind vor allem zwei Sachen: Das eine ist das, was Public engagement genannt wird, also das Verhältnis des Museums zu seinem Publikum. Das ist in England sehr systematisch und gut auf das ausgerichtet, was das Publikum wirklich vom Museum erwartet. Das andere ist die Bedeutung von Fundraising, der Unterstützung und gesellschaftlichen Verankerung des Museums. Da bin ich durch London sozusagen vorgeglüht, sehe aber, dass gerade dieser Bereich bei der Kunsthalle schon jetzt sehr stark ausgeprägt ist. Trotzdem bedarf das der ständigen Pflege, und vielleicht kann man hier bei mancher Veränderung von London lernen.