Hamburg. Neue Technik, mehr Beinfreiheit: Das Traditionshaus bekommt im Sommer 2016 ein 1,83 Millionen Euro teures Lifting.

Spätestens, wenn Kollegen aus anderen Häusern bei ihren Besuchen entgeistert die ziemlich antike Bühnentechnik bestaunen, sollten Intendanten ins Grübeln kommen. Dass Ulrich Waller und Thomas Collien diesen bedenklichen Status des St. Pauli Theaters bald zu den Akten legen können, ist nun beschlossene Sache: Während der nächsten Sommerpause (ein Jahr später als ursprünglich geplant) soll das älteste deutsche Privattheater grundlegend saniert werden.

Insgesamt 1,83 Millionen Euro sind dafür veranschlagt. 880.000 Euro hat das Theater selbst aufgetrieben, der Bundestag – zum lokalen Mithelfen inspiriert von der Hamburger Zwei-Mann-Kultur-GroKo Johannes Kahrs (SPD) und Rüdiger Kruse (CDU) – legte 650.000 Euro dazu. Die noch fehlenden 300.000 Euro stammen aus dem Sanierungsfonds des Hamburger Senats.

Sanierungsbedarf bei Treppenhäuser, Zuschauerraum, Bühne

Auf dem Bauplan steht neben der Sanierung von Bühnenbereich, Treppenhäusern und Zuschauerraum inklusive der denkmalgeschützten Ausstattung auch die Schaffung barrierefreier Sitzplätze und die Instandsetzung des Hinterbühnenbereichs. Während der geplanten zehnwöchigen Schließung des Hauses soll in allen Bereichen gleichzeitig gearbeitet werden, erklärte Architektin Stephanie König.

Ulrich Waller (l.), Isabella Vèrtes-Schütter und René Gögge vor den Handzügen im St. Pauli Theater
Ulrich Waller (l.), Isabella Vèrtes-Schütter und René Gögge vor den Handzügen im St. Pauli Theater © HA | Joachim Mischke

Zur finanziellen Beteiligung der Stadt durch Mittel aus dem Sanierungsfonds 2020 sagte Isabella Vèrtes-Schütter, als Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters vom Fach und nebenberuflich Kultursprecherin der SPD: „Das ist ein Zeichen der großen Wertschätzung, die wir dem Haus für seine Arbeit entgegenbringen.“ Ihr Grünen-Kollege René Gögge betonte, dass die 175 Jahre (Über-)Lebensalter des Hauses die Stadt auch verpflichten würden, er würdigte das Selbstverständnis als modernes Volkstheater.

Wie umfassend der Sanierungsbedarf ist, wurde beim gestrigen Presse-Rundgang im Backstagebereich schnell klar: Die Stufen in einem der drei Fluchttreppenhäuser sind derart durchgetreten, dass eine Journalistin im zu schlechten Licht leicht strauchelte. Als König den Putz vorführte, löste sich prompt, als hätte er nur auf Publikum gewartet, ein größerer Brocken direkt neben einem klaffenden Riss von der Wand.

Vieles kann aus Sicherheitsgründen nicht mehr genutzt werden

Im Allerheiligsten ging das Dilemma weiter: Die hölzernen Arbeitsgalerien oberhalb des Bühnchens sehen von unten aus wie verlebte Lattenroste aus Übergröße-Betten, auf denen man lieber nicht arbeiten möchte, sehr viel kann hier aus Sicherheitsgründen längst nicht mehr für den Spielbetrieb genutzt werden. „Stolperfallen“, nannte König den Zustand einiger Bühnenregionen, und das klingt so unschön, wie es ist.

Am rechten Bühnenrand sieht es aus wie auf einem Windjammer, weil dort die Seile der Handzüge festgezurrt sind, mit denen Kulissenteile per Muskelkraft in den Bühnenhimmel gehievt werden. Vorkriegsware, „fragt sich nur, von vor welchem Krieg“, frotzelte Waller. „Im Laufe der Jahre wurden uns bestimmte Dinge verboten“, erklärte er zur Problematik, in einem Theater-Museum Theater spielen zu sollen.

Ein wichtiger Bauabschnitt der Sanierung: der Zuschauerraum, der prinzipiell noch so ist wie anno 1841. Als wäre man bei einer Pharaonengrab-Expedition im Tal der Könige, erkunden Restauratoren dort, welche und wie viele Dekorationsfassungen auf den Balkonen aufgetragen sind. Die ursprünglichste Fassung soll definiert werden, um anschließend eine historisch informierte Dekorationsvariante Baujahr 2016 aufzubringen. „Die jetzige ist eine Zwischenfassung“, so König, „wir können nicht genau sagen, von wann sie ist.“

Letzte Sanierung liegt über 50 Jahre zurück

Das für seine Thrombose-Maße berüchtigte Gestühl wird entschärft, denn zwei Reihen werden im Parkett entfernt, um mehr Beinfreiheit zu erhalten. Die historischen Sitze selbst werden komplett aufgearbeitet. Waller hatte dafür die nächste Langzeit-­betroffenen-Pointe parat: Bislang seien sie hier die absolute Holzklasse unter den Hamburger Theatern gewesen. Jetzt wollen sie sich immerhin in die Economy-Klasse verbessern.

Natürlich kann man auch mit dem siebenstelligen Investitionsbetrag aus einem 175 Jahre alten Theater keine State-of-the-Art-Bühne machen. Geplant ist eine Sanierung, um mit den vorhandenen Gegebenheiten in einem komplett funktionsfähigen Haus optimal arbeiten zu können. Andernorts, in normaleren Theatern, eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Doch genau daran war bislang hier, seit dem letzten Rundum-Angang Ende der 1960er-Jahre, mehr und mehr nicht zu denken gewesen.