Hamburg. Vor 60 Jahren wurde das neue Zuschauerhaus der Hamburgischen Staatsoper feierlich eröffnet. Für den Stil des Neubaus gab es auch Kritik

Schwimmbad oder Keksfabrik. Bei ihrem „Das sieht doch tatsächlich aus wie ...“-Gemaule waren die Kritiker des Hamburger Staatsopern-Neubaus in den 1950er-Jahren durchaus einfallsreich. Die schnörkellose Fassade, die Schubkastenlogen – das ganze Ding an sich hatte damals nicht nur Freunde. Doch als sich am 15. Oktober 1955 der Vorgang erstmals hob und Mozarts „Zauberflöte“ gegeben wurde, war die Opernwelt für die hiesigen Freunde des Musiktheaters schnell wieder in Ordnung. Man hatte sich wieder, die Oper und ihr Publikum. Als Papagena stand Anneliese Rothenberger auf der Bühne, Rudolf Schock sang den Tamino. Die Regie stammte vom Hausherrn, Intendant Günther Rennert, es dirigierte Generalmusikdirektor Leopold Ludwig. Protokollarisch ranghöchster Gast war Bundespräsident Theodor Heuss.

Ein Stück Normalität war zurückgekehrt in die prosperierende Metropole an der Elbe, ein wichtiges Stück Tradition, erst recht in jener Stadt, in der 1678 die Gänsemarkt-Oper als erstes bürgerliches Opernhaus auf deutschem Boden Kulturgeschichte geschrieben hatte. Man hätte womöglich auch ohne ein großes Musik-Theaterhaus weiter am Aufschwung feilen können. Doch dann hätte der Gesellschaft etwas gefehlt, das wertvoller ist als der Materialwert des Gebäudes oder die Gagen der Künstler.

Noch in den letzten Kriegsmonaten nahm man den Spielbetrieb wieder auf

Gut zwölf Jahre vor dieser „Zauberflöte“, in der Nacht vom 2./3. August 1943, war das Opernhaus nur noch Schutt und Asche gewesen. Nur durch eine Laune des Schicksals war das Bühnenhaus kein Opfer der Flammen geworden, weil der Eiserne Vorhang wie eine Brandschutzmauer stehenblieb.

So sah das Stadttheater von 1827 aus, das 1943 durch Bomben zerstört wurde
So sah das Stadttheater von 1827 aus, das 1943 durch Bomben zerstört wurde © Bildarchiv Hamburg 1860 bis 1955 | Bildarchiv Hamburg 1860 bis 1955

Die ersten, schweren Nachkriegsjahre waren vor allem mühsame Jahre des Irgendwie für die Staatsoper gewesen. Schon im Januar 1945 war der Spielbetrieb im umgebauten Bühnenhaus wieder aufgenommen worden, Mozart, „Figaro“, dirigiert von Eugen Jochum, allerdings mit aus anderen Opern zusammengestoppelten Requisiten und auf nur 7,5 mal 15 Meter Bühnenfläche. Als Make-up-Etikett für diese Behelfsmaßnahmen wurde der Begriff „Reliefstil“ verwendet. Not machte erfinderisch, wie überall in der verwüsteten Hansestadt. Wenig später übernahm Rennert die Intendanz des Hauses und brachte es in so ziemlich jeder Hinsicht wieder auf Vordermann.

Eine erste entscheidende Rolle dabei spielte der Hamburger Architekt Werner Kallmorgen, der sich in den Nachkriegsjahren zu einem Spezialisten für den Wiederaufbau zerstörter Theater entwickelt hatte, bevor er in den 60er-Jahren mit dem Kaispeicher A das Fundament für die sehr viel später darauf erbaute Elbphilharmonie legen sollte.

Kallmorgens Raum-Ideen belebten die Opernhäuser von Kiel und Hannover oder das von seinem Vater entworfene Thalia-Theater in Hamburg. Und er entwarf auch einen Erweiterungsbau für die Hamburger Oper. Dieser Bau nutzte die Ruine des Zuschauerhauses, ein cleverer Schachzug, durch den sich im Oktober 1949 die Zahl der Plätze von 600 auf etwa 1200 verdoppelt hatte. Mit dieser Zwischenlösung, die das Ende der Gast-Aufführungen im Schauspielhaus markierte, arrangierte man sich drei Jahre.

Doch Anfang der 50er-Jahre war das Ende der Geduld erreicht, und es kam, wieder einmal, zu einer Weichenstellung durch bürgerschaftliches Engagement. Wohlhabende Hamburger taten, was der Senat sich, einer dort liebgewordenen Tradition treu bleibend, ein weiteres Mal verkniff: Sie gingen für die Kultur in Vorkasse. Der Mäzen Alfred C. Toepfer war einer der wichtigsten in dieser Runde. Die ehrenamtliche Leitung der „Stiftung Wiederaufbau Hamburgische Staatsoper“ hatte Wilhelm Oberdörffer übernommen. Wenige Monate später war die für damalige Verhältnisse stolze Summe von 1,5 Millionen Mark da.

Toepfer und seine Freunde hatten Fakten geschaffen. Das Rathaus war in Zugzwang. Man beschloss, mit dem Rohbau des Zuschauerhauses zu starten. Voraussetzung: zwei Millionen gespendete Mark. Zur Finanzierung der Opern-Träume wurde damals auch eine Tombola veranstaltet, bei der Autos, Fernseher oder Motorroller als Preise lockten. So kamen 940.000 Mark zusammen. Die nächste kulturpolitische Grübelrunde konnte beginnen. Sollte man wieder aufbauen oder komplett neu? Sollte man gar an eine andere Adresse umziehen? Die bereits vorhandene Bausubstanz aus Bühnenhaus und Technik an der Dammtorstraße gab den Ausschlag: Was man dort hatte, musste man kein zweites Mal woanders bauen. Kallmorgen wollte ein eher traditionelles Rangtheater. Rennert war die Variante mit Logen lieber, aus akustischen Gründen. Den Neubau entwarf dann aber nicht Kallmorgen, sondern sein Kollege Gerhard Weber. Renner nannte das Design „eine sachlich-künstlerische Aussage zu den von der Zeit gestellten Aufgaben“. Kallmorgen durfte nur einen Nebenschauplatz gestalten, das Probengebäude hinter dem Bühnenhaus.

Es konnte gehandelt werden. Die Vorderhaus-Ruine wurde 1953 abgerissen, während der zwei Jahre dauernden Bauarbeiten quartierte sich die Oper mit ihren Aufführungen im Theater am Besenbinderhof ein. Wie es sich für prestigeträchtige Kultur-Neubauten gehört, fehlte am Ende der Bauphase dann doch noch das letzte bisschen Zeit. Angeblich sollen die Schreiner in der Nacht vor der Premiere noch schnell die letzten Sitzplätze montiert haben. Am Ende stand ein Gesamtpreis von 7,4 Millionen Mark. Die Hälfte dieser Summe hatte die Opernstiftung auf den Tisch des Hauses gelegt.

1959, vier Jahre nach dem historischen Neustart, übernahm der Leiter der NDR-Hauptabteilung Musik die Leitung der Hamburger Oper. Er kam aus der Schweiz, war Jurist und Komponist, und er war Großneffe eines berühmten Malers. Sein Name: Rolf Liebermann. Der Rest? Wurde Geschichte.