Hamburg. 20 Jahre nach der Eröffnung auf Kampnagel erinnert eine Konferenz an diese außerordentliche Schau.
Am 5. März 1995 öffnete eine Ausstellung ihre Tore, die wie kaum eine zweite in der Geschichte der Bundesrepublik die öffentliche Debatte befeuern sollte: Die sogenannte Wehrmachtsausstellung auf Kampnagel wollte aufräumen mit der kollektiv verfestigten Legende von der „sauberen“ deutschen Wehrmacht. Organisiert worden war die Schau „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ vom Hamburger Institut für Sozialforschung, Anlass war der 50. Jahrestag des Weltkriegsendes.
„Es sollte eine kleine Ausstellung in den Räumen des Instituts werden, die sich an ein wissenschaftliches Publikum wendet. So war die Vorgabe. Das ist dann gesprengt worden von der Fülle des Materials, das wir gefunden haben oder das bereits vorlag“, erzählt Hannes Heer, 74, dem damals die inhaltliche Gesamtleitung oblag. „Die riesige Resonanz hat uns absolut überrascht. Am Tag, als Jan Philipp Reemtsma die Endfassung der Texte gelesen und freigegeben hatte, traf ich ihn im Institut. Er sagte sinngemäß: „Das ist hochexplosiv, das wird etwas auslösen.“
Was klein gedacht war, entwickelte sich zu einer Wanderausstellung, die über vier Jahre hinweg bis 1999 in 34 deutschen und österreichischen Städten zu besichtigen war. Knapp eine Million Besucher sahen sich mit einem anderen Bild der Wehrmacht konfrontiert, die Diskussionen waren heftig, kontrovers, äußerst emotional, teils gewalttätig, viel zu selten sachlich. Die Ausstellung traf eine ganze Generation ins Mark. Und deren Nachfahren auch.
20 Jahre nach der Eröffnung auf Kampnagel erinnert dort am 10. Oktober eine Konferenz unter dem Titel „70 Jahre Kriegsende. 20 Jahre Wehrmachtsaustellung“ an diese außerordentliche Schau. Initiator Ulrich Hentschel von der Evangelischen Akademie ergänzt: „Zwar sind die Verbrechen der Wehrmacht im Prinzip anerkannt, der zweite Schritt aber steht aus: die Frage der Wiedergutmachung.“ Darum will sich die Konferenz am Beispiel Griechenlands und Italiens kümmern.
„Mich interessiert, wie das Thema heute übersetzt wird. Ist es Gegenstand wissenschaftlicher Geschichtsschreibung, oder wird es vor allem in Filmen wie ‘Unsere Mütter, unsere Väter’ verhandelt, mit massenhaften Einschaltquoten, aber um den Preis, dass Geschichte ohne Rücksicht auf die Fakten erfunden wird?“, fragt sich Heer.
Fragen standen auch am Ende der Wehrmachtsausstellung 1999. Einige der Fotos waren offenbar falsch beschriftet worden, sodass das Institut im November des Jahres die Ausstellung vorläufig zurückzog. Reemtsma als Institutsleiter beauftragte eine Historikerkommission mit der Prüfung. Ein Jahr später konstatierte die Kommission zwar einige sachliche Fehler und Ungenauigkeiten, bescheinigte aber, dass die „Grundaussagen der Ausstellung über die Wehrmacht (...) der Sache nach richtig“ seien. Da hatten sich Reemtsma und Heer bereits wegen unterschiedlicher Auffassung über den Fortbestand der Ausstellung getrennt. Die überarbeitete Version der Schau unter dem Titel „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944“ lief vom 27. November 2001 bis 28. März 2004 und wurde von rund 450.000 Menschen besucht.
Die Ausstellung machte das Thema zu einem der ganzen Gesellschaft
Rückblickend zieht Heer, bezogen auf die erste Ausstellung, vor allem als positiv, „dass nach 50 Jahren, in denen die Wehrmacht politisch, juristisch und von den Zeitzeugen selbst geschützt worden war, dieser Täterschutz auseinanderfiel und das Thema zu einem der ganzen Gesellschaft wurde“. Die Ausstellung habe einen großen Beitrag dazu geleistet, dass „die Moral wieder zum Maßstab der Geschichte, der kollektiven wie der individuellen, gemacht wurde“. So konnte „die Schuld erst erkannt und auch angenommen werden“.
Der Beginn der Wehrmachtsausstellung fiel in eine Zeit, die eine Reihe von Veröffentlichungen zum Thema hervorbrachte: Christopher Brownings Buch über das Hamburger Reserve-Polizeibataillon 101 „Ganz normale Männer“, Steven Spielbergs Kinofilm „Schindlers Liste“, Victor Klemperers Tagebücher. Den Veröffentlichungen war vor allem eines gemein: den Blick nicht mehr auf die politische Führungsebene zu richten, sondern auf die Ebene des alltäglichen Verbrechens. Eine neue, aufwühlende Perspektive.
Die Ausstellung, da sind Heer und Hentschel sich einig, hatte und hat in gewisser Weise eine singuläre Bedeutung. In ihrer politischen und emotionalen Wirkung ist sie mit keiner anderen Ausstellung vergleichbar. Auch das ein Grund für die Konferenz auf Kampnagel, dem Ort, an dem alles begann.
70 Jahre Kriegsende. 20 Jahre Wehrmachtsausstellung Konferenz, Sa 10.10., 10.00 bis ca. 21.00, Kampnagel, (Jarrestr.) Eintritt 15 Euro (inkl. Imbiss), erm. 7 Euro, Karten unter T. 27 09 49 49