Hamburg. Ausverkaufte Lesung in Hamburg, eine weltweite Fangemeinde: Der Norweger Karl Ove Knausgård ist ein literarisches Ereignis.
Ein groß gewachsener Mann unweit des Michels, dessen Blick zur Elbphilharmonie schweift, mit NDR-Kamerateam im Schlepptau: Karl Ove Knausgård ist in der Stadt. Das ist durchaus ein Ereignis, denn der norwegische Schriftsteller ist gerade dabei, die Welt zu erobern. Der 46-Jährige hat in dem bemerkenswerten autobiografischen Zyklus „Min kamp“ auf radikale Weise sein Leben aufgeschrieben. Der fünfte Band „Träumen“ ist jetzt auf Deutsch erschienen. Gestern Abend las Knausgård im ausverkauften Rolf-Liebermann-Studio. Im Abendblatt-Interview im Madison Hotel verzichtete der starke Raucher Knausgård auf Zigaretten und erinnerte sich an seine Lesung in Hamburg 2007. Damals habe sich keiner für ihn interessiert, erzählt Knausgård, „das Publikum fand den dänischen Autor, der mit mir las, spannender“.
Hamburger Abendblatt: Welche Auswirkungen hat der große Erfolg auf Sie?
Karl Ove Knausgård: Ich habe mehr Möglichkeiten und Freiheiten. Und in gewisser Weise ist das Schreiben auch einfacher geworden. Ich sehe es jetzt nicht mehr als etwas Heiliges, eher als ein Handwerk. Aber ich muss mein Schreiben auch beschützen. Dafür muss ich den Ruhm von mir fernhalten.
In den Büchern, die auch Künstlerromane sind, schreiben Sie viel über Ihre Selbstzweifel.
Knausgård: Ich zweifle immer noch an mir, jeden Tag! Gestern erst habe ich meinem Lektor einen neuen Text geschickt – voller Angst, dass er den Ansprüchen nicht genügt. Ich weiß immer noch nicht, was Qualität ist und was nicht. Der letzte Roman von Houellebecq etwa war der erste, den ich überhaupt gelesen habe, weil ich ihn rezensieren sollte. Sonst lese ich andere Autoren nicht, weil ich angesichts ihrer Brillanz immer in die Gefahr gerate, mein Schreiben wertlos zu finden.
Ihre Fans sind zahlreich, angefangen bei Jeffrey Eugenides und Zadie Smith.
Knausgård: Was ich für die größte Ironie halte. Als erfolgreicher Autor bekomme ich überhaupt erst Gelegenheit, solch tolle Schriftsteller kennenzulernen. Das ist so, als würde ein Fünftligaspieler auf Schweinsteiger treffen.
Ihr ständige Bereitschaft, sich selbst kleinzumachen, ist nicht von der Hand zu weisen. Dabei werden Sie mit Proust verglichen und haben das mächtigste Erinnerungswerk der Gegenwart geschrieben. Welche Version von Karl Ove war Ihnen im Schreibprozess am nächsten?
Knausgård: Wahrscheinlich der Pubertierende. Die Bücher formen die Erinnerung, sie sind die Erinnerung. Sie fixieren das was war zu einem Gebilde.
Sie haben oft erklärt, es sei Ihnen immer schwer gefallen, in der Öffentlichkeit zu lächeln. Hat sich das mit dem Erfolg oder dem Gründen einer Familie verändert?
Knausgård: Das hat es. Der Ton all meiner Äußerungen ist leichter geworden. Ich habe trotzdem beim Aufstehen schlechte Laune – meine Kinder lassen die mich immer schnell vergessen.
Sie werden immer auf die Reaktionen Ihrer Familie angesprochen. Sie schreiben nicht nur über sich, sondern etwa auch über Ihre Frau sehr explizit. Nerven Sie die ständigen Fragen?
Knausgård: Ich würde manchmal gerne auf sie verzichten. Aber sie gehören zu diesem Werk dazu, sie bringen alles in eine Balance.
Erkennen sich viele Ihrer Leser in den Büchern wieder?
Knausgård: Darüber will ich nicht nachdenken – auch darüber nicht, dass Sie mich nun genau zu kennen glauben. Trotzdem mag ich es, auf Leser zu treffen. Wir sprechen allgemein über das Leben. Ich kann ihnen aber insgesamt nicht gerecht werden: Es ist schon mehr als einmal vorgekommen, dass einer von ihnen bei einer Lesung wegen einer bestimmten Stelle anfing zu weinen.
In einigen Kritiken konnte man lesen: Dieser Autor befreit uns alle, er zeigt uns seine Schwächen. Ist das ein Mittel gegen den Narzissmus von Facebook und die Selbstinszenierung im modernen Leben?
Knausgård: Als „Sterben“ herauskam, fragten die Leute: Ist das nicht wie „Big Brother“? Ich glaube, es ist das Gegenteil dieser Kultur. Es zeigt doch eher den Backstage-Bereich, das, was sich innen abspielt. Natürlich ist mein Werk narzisstisch, denn ich bin ja von mir besessen. Aber es ist eben Literatur. Das ist auch das Gute an Michel Houellebecqs neuem Buch „Unterwerfung“. Er schildert, was Literatur, was gutes Schreiben ist: die Gegenwart eines anderen. Die Philosophie sollte sich mehr um diese Gegenwart kümmern, nicht so viel um Qualität. Aber vielleicht ist Houellebecq auch ironisch.
Ist es Ihnen schwer gefallen, nach dem letzten Band der Autobiografie damit aufzuhören?
Knausgård: Es war eine sehr intensive Zeit. Dann merkte ich, dass ich wieder etwas anderes schreiben musste. Fertig zu werden war eine Erleichterung.
Wie wichtig ist Ihnen heute noch die Meinung Ihres älteren Bruders Yngve, um den es in „Träumen“ viel geht?
Knausgård: Er hat die Bücher mit als Erster gelesen. Er ist immer noch mein großer Bruder, dem entkommt man nicht. Dabei ist er nur vier Jahre älter als ich. Eigentlich ist das gar nichts.
Was brachte Ihren Vater, unter dem Sie sehr litten und über dessen Verfall Sie ebenfalls schreiben, so aus dem Gleichgewicht?
Knausgård: Er hatte das Gefühl, ein Leben zu führen, das er nicht wollte. Er wollte die Freiheit. Die fand er in der Geselligkeit und beim Alkohol. Dann konnte er nicht mehr aufhören zu trinken, gab auf und starb. Ich habe von ihm Tagebucheinträge gelesen. Er schreibt darin, dass er immer ein einsamer Mann gewesen ist. Er war sensibel, hatte aber auch einige psychopathische Charakterzüge. Vielleicht hatte er auch nicht die beste Kindheit. Mit 20 Jahren war er schon zerstört. Und trotzdem bekam ich Briefe von seinen Lehrerkollegen. Einen habe ich auch getroffen. Er wollte mir sagen, wie großartig er ihn fand. Das war schön für mich.
Von was handelt Ihr neues Projekt?
Knausgård: Es sind kurze Texte über jeweils ein Thema. 60 davon sind in einem Buch, vier Bücher sind es insgesamt. Es geht beispielsweise um Zahnbürsten, Dunkelheit, den Mond. Es ist für meine jüngste Tochter, die ist jetzt eineinhalb. Ich will ihr die Welt zeigen.
Aber wollen die Verleger von Ihnen nicht eigentlich etwas anderes?
Knausgård: Ja, einen Roman. Den wollen sie wirklich. Nächstes Mal.