Hamburg . Seine autobiografischen Bücher sind eine Sensation. Jetzt erscheint der fünfte Band von Karl Ove Knausgård unter dem Titel „Träumen“ .
Die 450 Karten für die Lesung im Liebermann-Studio waren schnell weg. Und es ist auch davon auszugehen, dass es in Hamburg den ein oder anderen Knausgård-Fan gibt, der den fünften Band von dessen Radikal-lebensecht-Autobiografie schon vor Monaten beim Buchhändler vorbestellt hat. Man darf annehmen, dass es auch hierzulande Leser gibt, denen es wie Zadie Smith geht, die einmal sagte, sie brauche die Bücher Knausgårds „wie Crack“. Man wird süchtig nach den Büchern des Norwegers wie sonst vielleicht nur noch nach TV-Serien.
Karl Ove Knausgård ist die größte Sensation in der Literatur seit langer, langer Zeit. Sein Entblößungsschreiben betrifft ihn selbst und andere: seine Frau, seine Kinder, die gesamte Sippe. Es berichtet vom Leben eines Kindes, Jugendlichen, Mannes im letzten Drittel des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts, von seinen Schlüsselerlebnissen, seinem Alltag, von fast jeder Zigarette, die er raucht, und jedem Bier, das er trinkt. Auf 3600 Seiten und in sechs Bänden der „Min kamp“-Reihe, die im Original 2010 und 2011 erschienen ist, „Mein Kampf“ also.
Muss man erstmal drauf kommen. Hierzulande erscheinen die stoisch, mäandernd und ohne rechte Höhepunkte auskommenden, aber irrsinnig fesselnden Erinnerungsbücher unter anderen Titeln. Der erste Band hieß „Sterben“, dann folgten „Lieben“, „Spielen“, „Leben“, jetzt „Träumen“. Es sind kompromisslose Zeugnisse eines Egomanen, in dessen Schwäche, Größenwahn, Niederlagen und Triumphen wir uns wiedererkennen.
Karl Ove Knausgård ist mittlerweile ein literarischer Weltstar
Hat je jemand so präzise und penetrant darüber geschrieben, was es heißt, ein Ehemann, Vater, Sohn und Bruder zu sein? Was es heißt, etwas sein zu wollen oder jemand bestimmtes sein zu müssen? Wie es ist, Mensch zu sein, ein soziales Wesen und ein Wesen nur ganz für sich, ohne Publikum?
Publikum hat der 46-Jährige, der mit seiner Frau Linda Boström, die auch Schrifstellerin ist, und den vier Kindern seit Längerem in Schweden lebt, mittlerweile mehr als genug. In Skandinavien verkaufte sich sein Werk hunderttausendfach, ehe er auch in Deutschland eine treue Lesegemeinde fand. Im vergangenen Jahr schwoll die Knausgård-Mania in Amerika zu einem regelrechten Hype – natürlich immer innerhalb der Koordinaten der Literatur, und deren Bezugsgröße ist ja lediglich die gut besuchte Lesung oder eine gute Position auf der Bestsellerliste.
Im Falle Knausgårds ist es so, dass mit einem Male zum kulturbeflissenen Party-Talk über das neue Album von Arcade Fire oder die letzte Folge von „House of Cards“ auch Vorträge über die Bücher des verwegen aussehenden Norwegers kamen. Die äußerliche Verwegenheit Knausgårds ist charakterlich eher eine Verkniffenheit. Der jetzt ausgelieferte vorletzte Band „Träumen“ behandelt die Studentenzeit Karl Oves, eines jungen Mannes, der viel will, der vor allem unbedingt Schriftsteller sein möchte. Aber er hat keine Geschichten. In der Schreibakademie ist er der Jüngste und Schlechteste. Er lässt sich oft durch den Tag treiben, vertrinkt die Nächte, mit den Mädchen läuft es nicht so. Die, die er liebt, spannt ihm der ältere Bruder Yngve aus, der ältere Bruder, den Knausgård so zärtlich und umfassend beschreibt wie noch nie.
Die Frauengeschichte ist der Wendepunkt in der Beziehung der beiden. Karl Ove neigt dazu, bei Besäufnissen auszuticken und wirklich richtig, richtig betrunken zu sein – ein Umstand, den er in allen Büchern immer wieder anspricht. Im Bergen der Neunzigerjahre wirft er dem Bruder eine Flasche ins Gesicht, die dramatische Klimax eines Durchschnittslebens.
Heute führt Knausgård kein Durchschnittsleben mehr. Er wird überall gelesen und braucht einen Assistenten, der seinen Terminkalender managt. In Deutschland wird seine Popularität weiter wachsen.
Karl Ove Knausgård liest am 29.9. im Rolf-Liebermann-Studio. Die Lesung ist ausverkauft.