Hamburg. Er ist nicht nur Buchhändler, sondern auch Veranstalter. Über einen Mann mit Einfluss – der selbst nichts mehr als Lesungen liebt.

Sophia Loren ist in der Stadt, und bei Heymann in Eppendorf ist eine Signierstunde anberaumt. Gerhard Heymann weiß, was sich gehört, aber zur Tat schreiten muss sein Sohn. Christian ist damals 14, wir schreiben das Jahr 1979. Er soll nun ins Vier Jahreszeiten, La Loren einen Blumenstrauß überreichen. Ein hanseatischer Willkommensgruß. Christian also ab zum Direktor, denn natürlich hat er Schule. Er bekommt die Erlaubnis – gegen das Versprechen, dem Direktor ein signiertes Buch zu besorgen.

Im Vier Jahreszeiten kommt er nicht rein, der Concierge ist streng, und dann läuft er der Managerin Lorens in die Arme. Wenig später steht er stotternd vor der Diva, die sich über die Blumen freut und über den Hamburger Jung’ amüsiert. Ein Abendblatt-Reporter führt gerade ein Interview mit der Schauspielerin, der Fotograf macht ein Foto von der Blumenübergabe. Am nächsten Tag ist der junge Kerl in der Zeitung. Hat sich doch gelohnt!

Das ist eine der Anekdoten, die Christian Heymann gern erzählt, der Christian Heymann von heute, der seit Langem Chef (zusammen mit seiner Schwester Heike) der Heymann-Buchhandlungen ist. Sie versorgen seit fast 90 Jahren Hamburg und Umgebung mit Literatur; seit Kurt Heymann, der Einwanderer aus dem Erzgebirge, 1928 die Buchhandlung E. & CH. Potthoff in Eppendorf übernahm und 1934 den ersten eigenen Laden aufmachte.

Die Heymanns sind eine Buchhändler-Dynastie, fest verwoben mit der Stadt, in der sie wirken, Christian Heymann sagt: „Es macht mich stolz, wenn ich höre, dass die Leute einfach nur von ,Heymann‘ sprechen und jeder weiß, was gemeint ist.“

Was wirklich so ist, jedoch auch für all die anderen inhabergeführten Buchhandlungen zutrifft (natürlich auch für Thalia, das Großunternehmen). Sie gehören zum Kiez oder Versorgungsbezirk des eigenen Stadtteils, im Falle Heymanns sind das übrigens 14: Von Ahrensburg bis Blankenese, von Bergedorf bis Wedel verdient das Familienunternehmen mit Büchern sein Geld. Heymann hat 250 Mitarbeiter und fast alle davon sind Buchhändler. Was die mittelständische Kette zu einem gewissen Machtfaktor in der Metropolregion macht, denn niemand hat so viel Einfluss auf das Leseprogramm der Menschen wie die Gilde der Buchhändler.

Heymann, braun gebrannt aus dem Ibiza-Urlaub heimgekehrt, hat sein Büro im Stammhaus am Eppendorfer Baum. Wenn er links aus dem Fenster schaut, sieht er auf der anderen Straßenseite das Haus, in dem früher Heymann residierte. Wenn er nach rechts oben auf den kleinen Bildschirm schaut, sieht er in krümeligem Schwarzweiß das Geschehen im Laden. Überwachung, na klar, aber nicht die der Mitarbeiterinnen (ja, fast nur Damen hier), sondern des freien Raumes zwischen den Regalen. „Wenn viel los ist und ein Kunde längere Zeit nicht bedient werden kann, gehe ich selbst runter“, sagt Heymann.

Und das ist natürlich ein sehr bodenständiger Satz, der seine Wirkung nicht verfehlt. Leider ist heute, an einem Wochentag in den Sommerferien, nicht so viel los – wir können Heymanns Arbeitsethos also nicht überprüfen. Andererseits würde der freundliche Herr Heymann seinen Gesprächspartner im Falle des Falles nicht hier einfach sitzen lassen.

Um was es hier an einem der letzten ruhigen Tage vor dem heißen Literaturherbst gehen soll, der in Hamburg seit 2009 mit dem Harbour Front Literaturfestival beginnt, ist die Rolle des Buchhändlers als Literaturveranstalter. Die schöne, alte Kulturpraxis der Buchhandlungslesung wird auch von Heymann betrieben. 60 Veranstaltungen mache man im Jahr, erklärt Heymann.

Die meisten in den Filialen wie zum Beispiel die mit der Debütantenhoffnung Stefan Ferdinand Etgeton Ende des Monats auf der Langen Nacht der Literatur bei Heymann-Eimsbüttel. Und die größten im Rahmen des Harbour Front Festivals, wo Heymann unter anderem die Lesung mit der norddeutschen Bestsellerin Dörte Hansen („Altes Land“) in der Zentralbibliothek am Hühnerposten co-veranstaltet. „Wir nennen Harbour Front hier schon auch mal ,unser‘ Festival“ , sagt Heymann, was eine Menge aussagt über die Identifikation eines Unternehmens mit seiner Stadt als kulturellem Standort.

Geld verdienen die Heymanns mit den Festivalgastspielen eher nicht, wie überhaupt Lesungen eher im erweiterten Sinne geldwert sind. „Kundenbindung“ wäre vielleicht ein gutes Stichwort, und dann ist da ja auch noch ein ganz anderer Nutzwert. Der ganz weiche, der Spaß-Faktor, warum sich ein durchaus viel beschäftigter Mann wie Heymann, der jeden Morgen früh im Büro sein muss, in den Septemberwochen die Nächte um die Ohren schlägt.

Und zwar nicht nur bei den „eigenen“ Veranstaltungen, „ich bin beim Festival jeden Abend unterwegs“, sagt er und schiebt Geschichten über T.C. Boyle, Jussi Adler-Olsen und John Grisham hinterher, die er allesamt in Hamburg kennenlernen durfte.

Schöne Sache, denkt man im Büro dieses Mittelständlers, der auch von den Schlachten mit Thalia erzählt, von beinharten Unternehmensentscheidungen und vielleicht existenziellen Zwangslagen – dass so einer logischerweise auch den Gegenstand seines Geschäftstätigkeit liebt. Bücher sind keine Backsteine oder Schraubverschlüsse.

Bücher haben eine Aura, und Bücher haben Verfasser, die sich – wie aufregend auch immer das ist – auf Lesungen zeigen können. Und Heymann, der gelernte Buchhändler und Grossist, lebt auf, wenn er der Inszenierung von Literatur beiwohnen kann. Er ist jetzt seit fast 30 Jahren im Laden, er berichtet so vom Werdegang („Unser Vater übte keinen Zwang auf uns aus“) und dem täglichen Geschäft, dass man nie auf die Idee kommt, er hätte die Entscheidung mal bereut.

Sicher, zuletzt erst mussten sie die gar nicht alte Filiale am Eppendorfer Weg dicht machen. Rechnete sich nicht. Aber gehört dazu. Wie die ganz besondere Öffentlichkeitsarbeit, die Heymann unlängst vor einer Delegation japanischer Branchenmenschen verrichtete. Da erklärte er den Gästen, wie man sich mit einer E-Reader-Allianz und hauseigenen Online-Shops gegen die Konkurrenz aus dem Internet behauptet. Er reagierte auch auf überraschende Fragen souverän – etwa das Interesse eines Japaners an der Preisgestaltung bei Pornos. „Spätestens da waren sie alle wach“, sagt Heymann, der übrigens keine Pornos verkauft.

Draußen hängt ein Plakat im Schaufenster: Wir zahlen unsere Steuern in Hamburg, steht da drauf. Nie verkehrt, auf Regionalisierung zu setzen. Aber die schöne und oft erzählte Geschichte von der Buchhandlung als vertrauensbildendem Ort und der Zuneigung, die die Kunden ihrem Buchhändler entgegenbringen, ist eigentlich stark genug. Bücher und Lesungen: Heymann weiß, was gut ist.

Lange Nacht der Literatur 29.8., 17-24 Uhr, Infos unter www.langenachtderliteratur.de, Harbour Front Festival 9.9. bis 10.10., Infos unter www.harbourfront-hamburg.com