Hamburg. Isa Melsheimer zeigt im Ernst-Barlach-Haus ihre Ausstellung „Kontrastbedürfnis“ rund um die Geschichte des Gebäudes.

Es duftet nach Oleander und anderen mediterranen Blüten. Die Künstlerin Isa Melsheimer hat die eingetopften Großsträucher, die den Duft ausströmen, im Atrium des Ernst-Barlach-Hauses arrangiert und zwei spielzeugkleine Betonmodelle von wichtigen Hamburger Bauten des Architekten Werner Kallmorgen zwischen sie gesetzt. Auch das Barlach-Haus hat Kallmorgen gebaut, 1962, schön minimalistisch-skulptural. Mit Isa Melsheimer setzt Direktor Karsten Müller sein Engagement fort, in den Sommermonaten ausgewählte zeitgenössische Künstler einzuladen.

Bewusst suchte er in diesem Fall nicht nach Arbeiten, die mit denen Barlachs harmonieren, sondern er wollte „eine Kollision, damit die Funken fliegen“. Das ist ihm mit Isa Melsheimer gelungen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven und in vielerlei Materialien mit der Geschichte des Hauses und der Bauten Kallmorgens im Allgemeinen auseinandersetzt, und von der er wusste, dass sie sich häufig umfassend auf Architektur bezieht. Schön im gängigen Sinne sind ihre Arbeiten weniger, dafür umso anregender.

Ohne Erklärung ist das, was die Künstlerin hier erdacht hat, nur lückenhaft zu entschlüsseln. Deshalb wird jedem Besucher mit der Eintrittskarte auch ein ausführlicher Saalzettel überreicht. Das Atrium hatte Kallmorgen einst offen geplant. Seit 1995/96 ist es von einem Glasdach überwölbt, und im Sommer wird es dort tropisch heiß – weshalb Isa Melsheimer die Idee hatte, daraus eine Art Science-Fiction-Szenario zu zaubern: die Büsche monströs groß, jedenfalls im Vergleich mit den Architekturmodellen. Zusammengenommen gleicht die Ausstellung einem anspielungsreichen Parcours, dem eine Spurensuche vorausgegangen ist. Zwei Gebäude Kallmorgens sind heute in Hamburg zu heißen Eisen geworden, und eben die hat Melsheimer sich ausgesucht: Der Kaispeicher A, dessen leere Hülle heute die Elbphilharmonie trägt, und das Spiegel-Hochhaus, das jetzt zum Appartementhaus für betuchte Geschäftsleute umgebaut wird.

Gebäude, die ursprünglich für völlig andere Zwecke erdacht wurden, erhalten eine neue Funktion und werden umgebaut – Melsheimer bewertet diese Veränderungen nicht, aber sie macht sie zum Thema, schafft historische Dokumente herbei und fragt unverkrampft danach, was aus den einstigen Vorstellungen von Städtebau geworden ist. Zusätzlich kreiert sie eine lustige Vitrine über Zeitreisen im Allgemeinen, wie sie überhaupt die Werke Kallmorgens mit unterschiedlichen Theorien aus der (Populär-)Wissenschaft verknüpft. Hierfür spannt sie weiße Fäden strahlenförmig auf, deren Bedeutung sich nicht leicht erschließt, ebenso wenig wie die vielen genähten und gestickten Details auf einem großen Vorhang, die sich auf diverse Erkenntnisse wie die vom „Schmetterlings-Effekt“ aus der Chaos-Theorie beziehen.

Auch der Tabakproduzent und Mäzen Hermann F. Reemtsma kommt in Melsheimers Parcours vor, ebenso wie Barlach, der starker Raucher war: Auf einem der denkmalgeschützten Tische stehen drei Keramik-Aschenbecher der Künstlerin – Anspielungen an die 60er-Jahre, als Rauchen noch uneingeschränkt erlaubt war. Aber sie beziehen sich formal auch auf Barlachs Jugendstilzeit, die Fassade des Spiegel-Hochhauses und das gewellte Elbphilharmonie-Dach, das längst nicht mehr so steil ist wie einst geplant.

Isa Melsheimer: „Kontrastbedürfnis“. Ausstellung bis 4.10., Ernst-Barlach-Haus, Baron-Voght-Str. 50 a, Di–So 11–18 Uhr. S Klein Flottbek. Eintritt: 6, erm. 4 €. Künstlergespräch am Sonntag, 6.9., 12 Uhr