Hamburg. Die wunderbare Tragikomödie „Der Sommer mit Mamã“ erzählt von familiären Irrungen und Wirrungen.

Anna Muylaert ist eine erfahrene Filmemacherin. Seit 20 Jahren ist die Brasilianerin im Geschäft, schreibt Drehbücher, inszeniert eigene Geschichten, arbeitet auch für das Fernsehen. Ihr neuer Film „Der Sommer mit Mamã“ wurde zum Sundance Festival und zur Berlinale eingeladen. Am Donnerstag kommt er bei uns in die Kinos. Weltweit erhielt sie für die sozialkritische Tragikomödie gute Kritiken. Trotzdem lässt sie gerade die Ohren hängen. „Dieser Film war der härteste. Ich bin immer noch ein bisschen traumatisiert“, stöhnt Anna Muylaert. Was ist da passiert?

Ihr Film kommt auf leisen Sohlen daher, beginnt unspektakulär, entwickelt dann aber eine starke Sogkraft. Sie erzählt von Val (Regina Casé) die in São Paulo bei einer großbürgerlichen Familie arbeitet. Sie kümmert sich aufopferungsvoll um den Haushalt und den Teenager-Sohn und wird mit freundlicher Herablassung behandelt. Sie scheint sich mit dieser Rolle abgefunden zu haben. Aber dann meldet sich ihre Tochter Jessica, die sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hat und als Kind bei ihrem Mann zurücklassen musste. Jessica will in São Paulo an einer Elite-Universität studieren und zieht bei ihrer Mutter ein. Aber sie hat so ganz andere Vorstellung vom Die-da-oben-wir-hier-unten und löst mit ihrer rebellischen Art in der Familie eine Kettenreaktion aus.

Natürlich ist der Film eine allgemeine Sozialkritik, aber Muylaert hatte ein ganz spezielles Anliegen. „Es geht mir vor allem auch um die Bedeutung der Mutterschaft. Die wird in Brasilien nicht ausreichend wertgeschätzt.“ Man könne sich für etwa 400 Euro ein Hausmädchen kaufen, die sich dann um den Haushalt und um die Kinder kümmere. Das machen viele Bürger in den höheren Einkommensklassen. „Es gilt als normal, als Gewohnheit. Als ich meinen Sohn bekommen habe, fand ich es wichtiger, Mutter zu sein als Filme zu machen. Ein Kind aufzuziehen war für mich etwas Heiliges.“

Es geht aber auch um Gerechtigkeit. Val sagt zu ihrer Tochter: „Sie wissen, dass wir, wenn sie uns etwas anbieten, nein sagen werden.“ Jessica akzeptiert gesellschaftliche Schranken nicht, denkt und handelt anders.

Noch ist der Film nicht in Brasilien gestartet, aber es hat schon zwei Extravorführungen gegeben, eine davon für Hausmädchen. „Für sie ist das fast schon ein Märchen. Hinterher haben sie mich gefragt: Wie konntest du all das erkennen?“ Die Regisseurin kam ihnen sogar verdächtig vor. Sie sagten: „Du kommst doch aus dem Wohnzimmer und nicht aus der Küche.“ Aber Muylaert kennt sich in dieser Welt aus und hat genau beobachtet. „Jeder weiß es, aber kaum jemand spricht oder schreibt darüber. „Vorführung zwei war für ein Publikum vom anderen Ende der sozialen Skala, für wohlhabende Mitglieder der Oberschicht. Natürlich fielen die Reaktionen anders aus. „Sie fanden ihn zwar wichtig, fühlten sich aber auch ein bisschen beschämt, denn sie kommen in einigen Szenen nicht gerade gut weg.“

Die internationalen Reaktionen zeigen, dass die Geschichte universell ist. Aber sie weist nach Meinung der Regisseurin auch auf speziell brasilianische Missstände hin. Sie war in letzter Zeit häufig in Europa und kann vergleichen. „Es lastet auf dem Land wie ein Fluch. Als die Portugiesen kamen, hatten sie nicht die Idee, eine Nation mit einer eigenen Identität zu bauen. Sie kamen wegen des Goldes und weil sie Sex mit der indigenen Bevölkerung haben wollten. Sie waren gewalttätig und haben viele Indianer getötet. Die Portugiesen haben ihre Verbrecher nicht ins Gefängnis gesteckt, sondern nach Brasilien geschickt. Es wurde zu einem Land, das keiner wollte. Das wurde zur Basis für unsere Kultur.“

Harte Worte. Die Auswirkung der Historie könne man noch heute spüren, sagt Muylaert. „Was fehlt, ist der common sense, der Sinn für das Gemeinwesen. Deshalb hat auch die Erziehung so einen geringen Stellenwert. Hier klafft eine riesige Lücke zwischen dem, was sich die Armen und die Reichen leisten können. In Europa denkt man doch, jeder sollte zumindest eine gute Schulausbildung bekommen.“

Immerhin habe Präsident Lula in seiner Amtszeit von 2003 bis 2011 das zu ändern versucht. Er war der erste brasilianische Präsident, der aus der Arbeiterklasse und nicht aus wohlhabenden Kreisen kam. „Er hat versucht, das Selbstbewusstsein der Leute zu ändern.“ Zurzeit erlebe das Land aber wieder einen politischen Rechtsruck.

In Brasilien werden etwa 100 Filme pro Jahr gedreht. Muylaert hatte mit massiven Finanzierungsplänen zu kämpfen. „Das ist mir in den 20 Jahren meiner Karriere noch nie passiert.“ In jeder Hinsicht: ein harter Film.