Die ARD startet wieder das „FilmDebüt im Ersten“. Den Auftakt macht „Oh Boy“, eine vielfach preisgekrönte Tragikomödie.
Die ARD zeigt, was deutsche Nachwuchsfilmer können. Am heutigen Dienstag beginnt mit „Oh Boy“ die Reihe „FilmDebüt im Ersten“. Anhand von neun Beispielen können die Zuschauer sich bis zum September ein Bild davon machen, wie Filmemacher – acht Männer und eine Frau – ticken, die zum ersten Mal im Regiestuhl sitzen. Mit dieser 15. Staffel möchte die ARD ihre Vielfalt unter Beweis stellen. Interessanterweise zieht sich ein roter Faden durch fast alle der neun Filme: Sie haben Protagonisten, die nach etwas oder jemand auf der Suche sind.
Niko (Tom Schilling) hätte so gern eine Tasse Kaffee. Ansonsten befindet er sich gerade in einer sonderbaren Situation. Er ist Ende 20 und hat gerade sein Jurastudium geschmissen. Ein neues Ziel hat er noch nicht. Wie ein Flaneur lässt er sich durch die Straßen Berlins treiben und beobachtet seine Mitmenschen. Alles erscheint ihm merkwürdig. Es dauert, bis er merkt, dass nicht alle anderen das Problem sind, sondern möglicherweise er selbst.
24 Stunden begleitet ihn die Kamera auf seinen Wegen. Es ist ein ereignisreicher Tag. Sein Vater will ihn nicht mehr finanziell unterstützen. Seine Freundin hat die Nase voll von ihm und macht Schluss. Die Lage wird auch nicht hoffnungsvoller, als er von einem Psychologen als „emotional unausgeglichen“ eingestuft wird. Der neue Nachbar erzählt ihm bei Schnaps und Frikadellen sein halbes Leben. Zusammen mit seinem Freund Matze trifft er eine Tänzerin, die sie zu ihrem Stück einlädt, sich allerdings als sehr sonderbar erweist. Und dann ist da noch Julika, mit der ihn eine schmerzensreiche Vergangenheit verbindet, was sie ihm jetzt vorwirft, sowie ein fieser Fahrkartenkontrolleur, der Niko beim Schwarzfahren erwischt.
Charmant und witzig erzählt dieser Film seine Coming-of-Age-Geschichte. Der Humor ist lakonisch, die Typen sind lässig. Die Schwarz-Weiß-Bilder sind von coolem Jazz untermalt. Tom Schilling spielt diesen Großstadtneurotiker großartig, aber auch Marc Hosemann, Frederike Kempter, Justus von Dohnanyi, Michael Gwisdek und Ulrich Noethen wissen zu gefallen.
Nur 375.000 Zuschauer sahen den Film im Kino. Im Gegensatz dazu steht ein wahrer Preisregen, der sich über diese stilvolle Tragikomödie ergoss. Darunter sind sechs Deutsche Filmpreise und der Europäische Filmpreis für den besten Nachwuchsfilm.
Regisseur Jan Ole Gerster, ausgebildeter Rettungssanitäter, war Assistent von Wolfgang Becker bei „Good Bye, Lenin!“ und koordinierte den Kompilationsfilm „Deutschland 09 – 13 kurze Filme zur Lage der Nation“, zu dem unter anderem Tom Tykwer, Dani Levy und Fatih Akin Beiträge beisteuerten. Herkömmliche Geschichten seien ihm häufig zu konstruiert erschienen, sagt Gerster. „Mir gefiel die Idee von einzelnen Episoden, die allein durch eine passive Figur miteinander verbunden sind.“ Das Porträt einer Generation wollte er mit seinem Film aber nicht zeichnen. „Vielleicht kommt jeder in seinem Leben an einen Punkt, an dem er sich ein bisschen verlaufen hat und rechts ranfahren muss.“
Am Mittwoch folgt schon der zweiter Film der Staffel. In „Halbschatten“ erzählt Nicolas Wackerbarth von Merle (Anne Ratte-Polle), die ihren Freund Romuald in Südfrankreich besuchen will. Aber nur seine Kinder sind da. Sie ist enttäuscht – und unerwünscht. Trotzdem bleibt sie, setzt sich an den Pool und schreibt weiter an ihrem schwierigen Roman. Als stilvoll und als „Liebesfilm ohne Liebe“ gilt Wackerbarths Werk, das man der „Berliner Schule“ zuordnet, die sich unter anderem durch eine ästhetisierte Ereignisarmut auszeichnet. Wer will, kann in dem Drama Spuren von Haneke, Wenders und Chabrol entdecken.
Die weiteren Filme: „Puppe“ von Sebastian Kutzli (11.8.), „Houston“ von Bastian Günther (12.8.), „Für Elise“ von Wolfgang Dinslage (19.8.), „Fünf Jahre Leben“ von Stefan Schaller (20.8.), „Mamarosh“ von Momcilo Mrdakovic (26.8.), „Freier Fall“ von Stephan Lacant (2.9.) und „Die Befreiung der Liebe“ von Lola Randl (9.9.).
„Oh Boy“ Di, 22.45 Uhr, ARD