Hamburg. Die Hamburger Off-Bühne will ihr Profil mit mehr Eigenproduktionen schärfen. Den Auftakt machen zwei Premieren im August.
Die Pause für Ines Nieri und Stephan Arweiler ist kurz. Schnell noch einen Kaffee im Vorraum des Sprechwerk-Theaters trinken und dann wieder auf die Bühne. „Wir proben gleich die Szenen fünf bis zehn“, ruft ihnen Regisseurin Friederike Barthel hinterher. In der in einem Hinterhof in Hamm gelegenen Off-Bühne herrscht Hochbetrieb, es laufen die Vorbereitungen für zwei kurz aufeinanderfolgende Premieren. „Wir haben uns damit ganz schön was vorgenommen“, sagt Konstanze Ullmer, Schauspielerin, Regisseurin und Leiterin des Hamburger Sprechwerks. Am 22. August bringt die Bühne als Uraufführung „Antarktis“ von Christina Kettering heraus, am 28. August folgt die Inszenierung der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie und von Oskar Panizzas „Liebeskonzil“. Ullmer probt vormittags zwischen 10 und 16 Uhr, Barthel anschließend bis tief in den Abend. Für die Schauspieler Nieri und Arweiler sind die Probentage besonders lang – sie sind in beiden Stücken besetzt.
„Wortgefechte“ heißt eine neue Reihe mit Eigenproduktionen, mit denen das Sprechwerk die nächste Saison beginnt. „Die Idee hinter diesem Begriff ist, sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Standpunkten zu beschäftigen, auf aktuelle Themen einzugehen und dialogstarke Stücke auf die Bühne zu bringen. Wir wollen das Wort als Waffe einsetzen“, sagt Ullmer. Das Sprechwerk möchte mit dieser eigenen Reihe wieder zu seiner ursprünglichen Ausrichtung zurückkehren, dem Sprechtheater. Zwar nimmt Schauspiel im Programm der Bühne in der Klaus-Groth-Straße breiten Raum ein, doch es ist auch ein Ort für Gastspiele, die vom Tanz- und Kindertheater über Kabarett und Performances bis zu Folklore-Abenden reichen.
Die Inszenierung von „Die Satanischen Verse/Das Liebeskonzil“ ist nur möglich durch eine Projektförderung der Kulturbehörde, die das Theater einmal im Jahr beantragen kann. Andreas Lübbers, mit Ullmer gemeinsam Leiter des Sprechwerks, hat eine Stückfassung aus Rushdies Roman und Panizzas Theaterstück erstellt, die Ullmer sich vorgenommen hat. „Der Text ist so komplex, dass wir aufpassen müssen, uns nicht zu verzetteln“, räumt sie ein. Beiden Werken gemeinsam ist Religionskritik, bei Panizza am Christentum, bei Rushdie an jeder Art von religiöser und politischer Bevormundung.
Obwohl Panizzas Stück bereits 120 Jahre alt ist und Rushdies Roman 1988 erschienen ist, sind die Themen darin von großer Aktualität und passen zu den „Wortgefechten“. Zum Auftakt der „Wortgefechte“ gibt es „Antarktis“ von Christina Kettering. Friederike Barthel beschreibt das Stück als „den Versuch, ein kollektives Gedächtnis durch das Internet zu sammeln“. Das Stück beschäftigt sich mit Themen wie Demenz und der Angst vor der Auflösung des eigenen Ich, aber auch mit dem Online-Dokumentationswahn, bei dem sinnliche Lebenserfahrungen mehr und mehr auf der Strecke bleiben.
Anfang kommenden Jahres soll es im Sprechwerk weitere Eigenproduktionen unter der Marke „Wortgefechte“ geben, durchaus ein Kraftakt für die private Bühne mit ihren 150 Plätzen. 80.000 Euro institutionelle Unterstützung erhält das Sprechwerk jährlich von der Kulturbehörde. Das Geld deckt ein Drittel der festen Kosten. Zwei Drittel muss das Sprechwerk durch Eintrittsgelder und durch Vermietungen erwirtschaften. Keine ganz einfache Aufgabe für Lübbers und Ullmer. Doch mit viel Engagement stellen sie monatlich ein Programm auf die Beine, das ein Überleben möglich macht. Gespielt wird fast das ganze Jahr. „Eigenproduktionen sind dennoch sehr wichtig für uns. Nicht nur, weil das Inszenieren Spaß macht, sondern weil sie das Profil des Sprechwerks schärfen“, sagt Konstanze Ullmer und trinkt ihren Kaffee aus. Sie hat Feierabend, für Friederike Barthel fängt der Arbeitstag am Nachmittag erst an.