Vor 60 Jahren übernahm Gustaf Gründgens als Intendant das Theater. Wie der Autokrat die Bühne zum Höhepunkt ihres Ruhmes brachte.

Seine Theaterkarriere begann in Hamburg, an den legendären Kammerspielen, zur Zeit der Weimarer Republik ein Zentrum des modernen Bühnenlebens. Und in Hamburg endete auch Gründgens’ Künstlerleben, die Summe einer 40 Jahre währenden Schauspielerkarriere und eines Vierteljahrhunderts Intendantenerfahrung.

Als Gustaf Gründgens am 1. August 1955 die Leitung des Deutschen Schauspielhauses Hamburg übernahm, begann für das Theater eine überaus glückhafte Zeit. Er gab ihm in den folgenden acht Jahren Konsolidierung, Klarheit, Bewusstheit zurück. Sein Mythos lebt bis heute. In seiner Antrittsrede appellierte Gründgens an die Mitglieder des Schauspielhauses: „Genieren Sie sich bitte nicht, einen Satz richtig zu betonen. Es ist nicht Formalismus! Genieren Sie sich nicht, eine Rolle sicher in den Griff zu bekommen und zu beherrschen. Es ist nicht Manierismus! Sie werden immer noch von der Vollendung weit genug entfernt sein, um sich weiterentwickeln zu können.“ Gründgens, der autokratische Theaterleiter, der auf Tradition und ein präzise beherrschtes Handwerk bestand, fand es „nicht so wichtig, ob gut oder schlecht Theater gespielt wird“. Viel wichtiger sei, „ob richtig oder falsch Theater gespielt wird“.

Gustaf Gründgens als Wallenstein in Schillers „Wallensteins Tod“ 1955
Gustaf Gründgens als Wallenstein in Schillers „Wallensteins Tod“ 1955 © ullstein bild

Als Intendant in Hamburg stützte er sich auf einen Kreis von Künstlern, die ihm seit Langem verbunden waren. Er holte Elisabeth Flickenschildt, Antje Weisgerber, Ullrich Haupt ins Ensemble, Joana Maria Gorvin, Heinz Reincke, Eduard Marcks, Uwe Friedrichsen und Hermann Schomberg. Als Schauspieler wechselte er tragische Rollen mit leichten ab. Er war der abgerissene Leiter eines Amüsierbetriebs in Osbornes „Entertainer“. Oder der eifersüchtige, isolierte König Philipp in Schillers „Don Carlos“. Er spielte Autoren, die ihm seit den 20er-Jahren vertraut waren: Zuckmayer, Jahnn, Goetz, ergänzt um Schiller, Goethe, Kleist, Büchner, Shakespeare, Molière. Als Regisseur bestand er auf „Werktreue“, einer ganz aus dem Wort und der Schauspielkunst entstehenden, überzeitlich-partiturtreuen Interpretation.

Den „Faust“ als Theater im Theater zu inszenieren zeigte seine Genialität

„Mephisto“ war die Rolle seines Lebens. Dreimal hatte er sie gespielt (1932, 1936, 1949), bevor er damit in Hamburg triumphierte. 1936 war auch Klaus Manns Roman „Mephisto“ erschienen, der „Roman einer Karriere“, wie es im Untertitel heißt. Darin wird die Karriere des Provinzschauspielers Hendrik Höfgen beschrieben, der es in der NS-Zeit zum preußischen Schauspielintendanten und Staatsrat bringt. Höfgen ist eine fiktive Figur, ähnelt aber in manchen Details seines Werdegangs und in seinem Äußeren bis zum Monokel und dem „aasigen“ Lächeln Gustaf Gründgens. Von Anfang an wurde „Mephisto“ darum als ein Roman über Gründgens aufgefasst.

Gründgens’ Stellung, seine Haltung während der NS-Herrschaft über Kunst und Kultur in Deutschland waren, sind und bleiben Gegenstand heftiger gegensätzlicher Wertungen. 1936 wurde er von Hermann Göring zum Preußischen Staatsrat ernannt. Gründgens war Herr über die Preußischen Staatstheater, spielte, inszenierte und wurde Ehemann des Bühnen- und Filmstars Marianne Hoppe. Als er in seiner ersten Inszenierung als Schauspielhaus-Intendant Schillers „Wallenstein“ auf die Bühne brachte und die Titelrolle spielte, wird vermutlich niemandem mehr als ihm selbst bewusst gewesen sein, wie sehr Schillers Satz aus dem Prolog auf sein Leben, seine ambivalente Nähe zu Nazi-Größen bei gleichzeitigem Schutz, den er den Kollegen gewährte, passt: „Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“

Generationen von Schülern haben Gründgens’ Mephisto neben Will Quadfliegs Faust in der legendären Schauspielhaus-Inszenierung von 1957 gesehen. Gründgens’ bannende Idee: Er inszenierte das Geschehen als Theater im Theater, setzte einen präzise organisierten Raum gegen eine chaotische Welt draußen. Die Aufführung gastierte in aller Welt mit ungeheurem Erfolg. Oskar Fritz Schuh, sein Nachfolger als Intendant des Schauspielhauses, schrieb ihm: „Es ist vielleicht einer der größten Triumphe Ihres Lebens, dass Sie aus Hamburg beinahe eine Theaterstadt gemacht haben.“

Eine Schlange von Theaterbesuchern am Schauspielhaus in Hamburg vor einer Aufführung von „Hamlet“ 1963
Eine Schlange von Theaterbesuchern am Schauspielhaus in Hamburg vor einer Aufführung von „Hamlet“ 1963 © picture alliance

Gründgens lebte viele Rollen und alle gleichzeitig: linker Dandy und Nutznießer der Nazis, hysterische Diva und kühler Rationalist. Er war ein Besessener, der ohne Applaus nicht leben konnte. Einer, der Männer liebte und Frauen heiratete. Ein Schöngeist, der durch Schlaflosigkeit und jahrelange Zahnschmerzen im Alter tablettenabhängig geworden war.

An der Theaterkasse bildeten sichregelmäßig lange Menschenschlangen

In seiner ersten Hamburger Zeit zwischen 1923 und 1928 hatte Gründgens an den Hamburger Kammerspielen mehr als 70 Rollen gespielt, in denen er sich als exzentrischer Star gab, als „Monokelprinz“ voller Bühnenhunger, als etwas dekadent. Er spielte draufgängerische Emporkömmlinge mit skrupellosem Lebensappetit, narzistisch frivole Prinzen, trat mit den Promi-Kindern Erika und Klaus Mann und Pamela Wedekind auf. Er war beim Publikum arriviert und – auch durch sein exaltiert zur Schau getragenes Bohèmeleben – stadtbekannt. An seine Eltern in Düsseldorf schrieb der damals 24-Jährige: „Ich lebe und muss leben in den Extremen. Die Mitte bietet keine Luft, in der ich atmen kann. Ich erlebe in einer Stunde mehr als mancher in seinem Leben“.

In Hamburg änderte er seinen Vornamen von Gustav in Gustaf. Hier heiratete der homosexuelle Gründgens die lesbische Künstlerin Erika Mann. Hier gelang ihm der Durchbruch, er galt als ein Schauspieler, „der zweifellos noch eine große Zukunft hat“, wie es im Bühnen-Almanach von 1926 hieß.

Gustaf Gründgens hat als Künstler alles erreicht, was er sich einst gewünscht hatte: Ruhm, Erfolg, große Rollen, Bedeutung, selbst für die Nachwelt, die ihn nie hat spielen sehen. Die Gestaltung seiner Rollen, das war sein Leben. Auch als Privatmann pflegte er einen Lebensstil, den man als ein wenig dekadent bezeichnen könnte, dabei streng ganz und gar der Kunst verpflichtet.

Gustaf Gründgens 1938 mit seiner zweiten Ehefrau Marianne Hoppe
Gustaf Gründgens 1938 mit seiner zweiten Ehefrau Marianne Hoppe © ullstein bild

Als er im Sommer 1963 seinen Abschied vom Schauspielhaus nahm und eine Weltreise machte, um „endlich leben zu lernen“, hatte er nur noch wenige Monate. Er hatte in seiner Zeit am Schauspielhaus 28 Inszenierungen gemacht und 15 Hauptrollen gespielt. Das Theater war an 400 Vorstellungen pro Jahr meist ausverkauft, hatte unvorstellbare 71 Prozent seiner Kosten eingespielt. So etwas ist heute unvorstellbar, wo schon 25 Prozent als herausragend gelten. Und auch das gibt es nicht mehr: Regelmäßig bildeten sich damals Menschenschlangen an der Kasse.

Am Ende hatte Gründgens zermürbt, dass seine Schauspieler sein hohes Berufsethos, seine Ehrfurcht vor dem Theater und seine bedingungslose Hingabe an die Bühne nicht mehr teilten. Auch, dass ihm die Presse seinen konservativen Spielplan vorgeworfen hatte, verstand er nicht. Dass Regisseure heute Stücke nur als Spielmaterial für ihre Fantasien ansehen, hätte er nicht gebilligt. Am 6. Oktober starb Gründgens 64-jährig in Manila an Magenbluten. Er ruht in Ohlsdorf.