Hamburg. Ein Gespräch mit dem Leiter des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel über Geschmack, Kunst und Radikalität.

Der schottische Video- und Installationskünstler Douglas Gordon sorgte vor einigen Tagen für Schlagzeilen, als er nach mauen Kritiken zu seiner letzten Premiere in Manchester vor lauter Wut mit einer Axt auf eine nagelneue Theaterwand einhieb. Hinterher hat er – ganz Profikünstler eben – den Schaden nicht etwa repariert, sondern: signiert. Seine nächste Inszenierung feiert in der kommenden Woche auf Kampnagel Premiere, Gordon ist neben dem Star-Architekten Frank Gehry und der Bühnenkünstlerin Gisèle Vienne einer der Hauptakteure des Internationalen Sommerfestivals in Hamburg, das ­András Siebold in diesem Jahr zum dritten Mal verantwortet.

Hamburger Abendblatt: Douglas Gordon war nach seiner letzten Premiere nicht so glücklich über die Kritiken. Haben Sie bei Kampnagel vorsichtshalber schon das schwere Gerät weggeschlossen?

András Siebold: Bei den Reaktionen in Manchester hatte man das Gefühl, dass sich das ganze brave britische Theatersystem mit dem Stückchen herausgeschlagenem Mauerputz identifiziert hätte. Dabei liegt immer eine besondere Spannung in der Luft, wenn man viele Uraufführungen produziert. Und wenn ein extrem höflicher und intensiv arbeitender Mensch wie Gordon sich dann an einer Mauer entlädt, würde ich mich nicht, wie das Manchester Festival, von meinem Künstler distanzieren, sondern eher auf die Arbeit und den Prozess verweisen. Insofern können wir, glaube ich, gespannt auf seine Sommerfestival-Premiere sein, die hoffentlich so intensiv werden wird wie ein Axt-Schlag gegen eine Mauer.

Eine weitere Uraufführung ist „Das Bauchrednertreffen“ von Gisèle Vienne. Das war allerdings so gar nicht geplant...

Siebold: Die Uraufführung sollte in Halle stattfinden und wurde wegen einer Erkrankung im Ensemble abgesagt – jetzt wird die Vorstellung auf dem Sommerfestival gleichzeitig die Uraufführung sein. Für uns ist das total toll, für die Kollegen in Halle tut es mir leid. Die Puppenspieler dort haben ein Jahr eine Bauchredner-Ausbildung bekommen, weil Gisèle Vienne unbedingt mit ihnen arbeiten wollte. Die Idee kam ihr in Kentucky, dort gibt es einen Bauchrednerkongress und sogar ein Museum für die abgespielten Puppen der toten Bauchredner. Bei so was wird Vienne hellhörig. Mord und Tod sind ihre Lieblingsthemen. Es wird trotzdem ihre erste wirklich lustige Arbeit.

Gisèle Vienne ist auch anderswo eine Art Festival-Hit. Sind die Geschmäcker tatsächlich überall auf der Welt ähnlich?

Siebold: Na ja, überall auf der Welt gibt es Geschmack und einiges schmeckt eben vielen gut. Vienne gehört einfach zu den herausragenden Theatermacherinnen, ebenso wie Mathew Barneys Film „River of Fundament“ ein Jahrhundertkunstwerk ist, das vorher schon in der Bayerischen Staatsoper, in Toronto und bei den Wiener Festwochen lief. Problematisch wird es, wenn Festivals nur auf Stücke und Künstler setzen, die irgendwo schon erfolgreich waren. Dann entstehen Monokulturen, und die sind immer schlecht. Das kann uns aber mit sieben Uraufführungen und einer gesunden, Angst befreiten Lust auf Neues nicht passieren.

Was ist der rote Faden Ihres Sommerfestival-Programms?

Siebold: Ein Kunst-Verständnis, das ganz entscheidend von Popkultur beeinflusst ist. Unsere Tradition ist nicht das bürgerliche Theater, sondern die Avantgarde – die auch schon 120 Jahre alt ist. In der geht es darum, mit Konventionen zu brechen und etwas radikal Neues zu schaffen, wie es zum Beispiel Lucinda Childs gemacht hat, eine Choreografin, die das Ballett gewissermaßen hinter sich gelassen hat. Oder Cecilia Bengolea und François Chaignaud, die mit dem Ballet de Lorraine zu uns kommen und gerade auch als erste Choreografen für Pina Bauschs Tanztheater Wuppertal arbeiten. Die zitieren Ballett und Spitzentanz, aber sie kombinieren das mit Vogueing und Twerking, Stilen aus der Club-Kultur. Tolle Arschwackelgeschichten!

Wie wichtig ist „Radikalität“ als Wert an sich?

Siebold: Radikalität ist etwas, das eher vom Zuschauer empfunden wird, wenn Künstler Grenzen überschreiten. Das ist aber immer der Moment, wenn es spannend wird auf der Bühne. So wie bei dem Choreografen-Duo Florentina Holzinger und Vincent Riebeek aus Amsterdam. Die eignen sich klassisches Ballett an und verbinden es mit Ekstase-Formen ihrer Generation YouTube. Das ist manchmal sehr explizit, beim letzten Mal gab es eine Dildo-Nummer. Da fließen Porno, Pop und Politik zusammen. Aber formal und ästhetisch extrem aufregend.

Ist es eigentlich noch möglich, das Publikum zu provozieren? Oder funktioniert das gar nicht mehr?

Siebold: Die Publikumsprovokation war lustigerweise ein viel größeres Thema, als ich noch an der Staatsoper in Berlin gearbeitet habe. Das konnte man richtig kalkulieren. Wenn du einen nackt auf die Bühne stelltest, kam auf jeden Fall ein Buh, weil die Opernkonvention halt noch so stark ist. Aber ehrlich gesagt: Das arbeitet so gegen das Publikum. Man wusste, da kommen Leute, die kann man gut ärgern. Ich will die Leute, die zum Sommerfestival kommen, nicht ärgern. Ganz im Gegenteil, ich möchte sie überreden, sich auf Neues einzulassen und ihren Blick erweitern. Das Interessante ist ja, dass dieses Festival so ein heterogenes Publikum hat. Kamp­nagel ist generell zu einem Freiraum geworden, in dem das Publikum auch ­erwartet herausgefordert zu werden. Wir wollen jedenfalls alle mitnehmen, machen Einführungen, Publikums­gespräche, verkaufen Alkohol – immerhin stehen im Programm eine Menge Namen, mit denen nicht jeder etwas anfangen kann.

Eigentlich ist doch der frühere Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg der heimliche Star des Festivals! Seit Jahren dabei, immer ausverkauft.

Siebold: Ja, klar! Und warum passt das? Weil Tom Stromberg der Typ ist, der als Erster das deutsche Theater internationalisiert hat. Er war ein Wegbereiter, als er Intendant am TAT in Frankfurt war. Seine Abende mit Jan Plewka von Selig sind wieder die ersten, die ausverkauft sind. Aber ich hoffe, dass in Hamburg nach dem Festival genauso viele Menschen den Namen Douglas Gordon kennen – auch außerhalb der Kunstszene, wo er zu den Top Ten weltweit gehört. Naja, nach seiner Axteinlage von Manchester sind es ja schon ein paar mehr.

Was ist die beste Einstiegsdroge? Wo sollte jemand hingehen, der noch nie auf dem Sommerfestival war?

Siebold: Auf jeden Fall zur Eröffnungsproduktion „Available Light“ von ­Lucinda Childs und dem Star-Architekten Frank Gehry. Das ist ein Tanz-Klassiker zum Mitschweben, der im Juni in Gehrys Walt Disney Concert Hall in Los Angeles Premiere hatte und bei uns als Europapremiere läuft. Dauert nur 55 Minuten! Wer es poppiger mag, sollte sich Bianca Casadys Konzert-Inszenierung ab dem 6.8. anschauen. Die hat mit ihrer Band CocoRosie schon viele Herzen und Ohren verzaubert. Ansonsten: Einfach vorbeikommen, wir haben einen riesigen Biergarten am Kanal und es gibt sehr viel auf dem Gelände auch ohne Eintrittskarte zu entdecken.

Ist es eigentlich gut oder schlecht für das Sommerfestival, dass auch das Festival Theater der Welt 2017 in Hamburg stattfinden wird?

Siebold: Ich würde sagen, für mich ist es gut, dass ich involviert bin. Ich habe damit die Möglichkeit, beiden Festivals ein Profil zu geben, sodass sie sich bestenfalls ergänzen. Und für unser Publikum ist es die tolle Möglichkeit, noch mehr internationale Kunst zu sehen.

Im Angebot für dieses Jahr ist auch ein Supporters Festival-Pass zum Preis von 500 Euro, der eine 24-Stunden-Hotline zur Festivalleitung beinhaltet. Darf man damit dann nachts um vier Uhr bei Ihnen anrufen, um einen Insider-Tipp vom Chef zu bekommen?

Siebold: Im Prinzip ja, das Festival würde es ohne zusätzliche Unterstützung nicht geben. Aber ehrlich gesagt hoffe ich darauf, dass niemand um vier Uhr nachts anruft. Ich muss ja auch mal schlafen.

Internationales Sommerfestival auf Kampnagel 5.-23. August, Karten unter Tel. 27 09 49 49