Hamburg. Ingolf Lück überzeugt in den Kammerspielen als zynischer Boulevardjournalist. Am Ende wurde er frenetisch bejubelt.

Marko redet sich heiß. Er ist dran an einer Geschichte, einer Story, die morgen ganz groß auf die Seite eins kommen kann. „Hier ist alles drin, Liebe, Geld, Macht, Vaterland“, glaubt er und ist ein wenig von sich selbst besoffen. Schlagersternchen Lea Seeburg wird ein neues Album veröffentlichen, aber Marko interessiert sich mehr für Leas Beziehung zu Philipp, der anscheinend aus einer Industriellendynastie stammt. Ingolf Lück spielt in dem Einpersonenstück über die Mechanismen des Boulevard-Journalismus, „Seite eins“, das jetzt an den Hamburger Kammerspielen Station macht, einen aufgekratzten, abgebrühten, einfache Wahrheiten liebenden Journalisten, der stets Witterung aufnimmt, wenn er von etwas Wind bekommt, das sich zum Meinungsmachen eignet.

Also quatscht Marko Lea in eine „Medienpartnerschaft“. Da kann Lea ihr Album promoten. Und Marko exklusiv über das Pärchen berichten. Marko glüht. Sein Handy glüht. „Schätzchen“ soll ihm ein paar Bilder raussuchen, die Redaktion Platz auf Seite eins schaffen. Und wenn Marko mal nicht ins Handy brüllt, erzählt er dem Publikum, was eigentlich los ist. „Die seriösen Medien haben von dem, was wirklich passiert, keine Ahnung. Unsere Wahrheit ist die Wahrheit von Menschen, die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen.“ „Gutmenschen“, ruft er abfällig. Die seriösen Medien würden nichts wirklich beim Namen nennen. Leser und Zuschauer würden dies merken und sich mehr und mehr abwenden. In Zeiten, in denen Zuschauer behaupten, die „Tagesschau“ manipuliere und die Zeitungen wären nichts als „Lügenpresse“, trifft dies vielleicht einen wahren Kern.

Menschlicher Umgang ist das genaue Gegenteil von Zynismus

Leser und Zuschauer suchen zunehmend Ablenkung, Klatsch, Geschichten, in denen es menschelt. Was umso unglaublicher ist, da menschlicher Umgang eben genau das Gegenteil von Zynismus ist, mit dem der Boulevard arbeitet. Johannes Kram, Autor, Blogger und Marketingstratege, hat mit „Seite eins“ ein sehr wirklichkeitsnahes Stück über die Mechanismen des Boulevards geschrieben, in dem es Aasgeier und „Witwenschüttler“ gibt, aber auch Redakteure, die genau das richtige Thema zur richtigen Zeit aufgreifen.

Seit Andy Warhol Ende der 60er-Jahre Marshall McLuhans Ausspruch „In der Zukunft wird jeder für 15 Minuten berühmt sein“ unter die Leute brachte, hat sich in der Medienwelt vieles verändert. Waren früher Macht und Geld die Größen, die jeder erreichen wollte, so ist für viele Menschen Medienpräsenz zur wichtigsten Währung geworden. In der Zeit von Reality-Fernsehshows, Internet, Blogs, von Medien, die über Aufstieg und Absturz von D-Promis seiten- oder minutenweise berichten, möchten viele für mehr als nur 15 Minuten bekannt sein.

„Wer mit uns im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit uns wieder nach unten“, hat Springer-Chef Matthias Döpfner erklärt, als es um die Berichterstattung zum ehemaligen Bundespräsidenten Wulff ging. Ganz nach dieser Devise handelt auch Marko. Er erschrickt sein Opfer, umgarnt es, wiegt es in Sicherheit, seift es ein, triumphiert. Gut macht das der ehemalige TV-Star und Schauspieler Ingolf Lück. 100 Minuten abgründigen Realismus serviert er da. Manchmal ein bisschen zu wild und forsch, aber am Ende frenetisch bejubelt.

Weitere Vorstellungen ab 22.3., Karten unter T. 413 34 40