Hamburg. Am Sonnabend wagt sich mit den Kammerspielen erstmals ein Hamburger Theater an eine Neuinszenierung des Wittenbrink-Liederabends.

Richtig ein bisschen nervös sei sie vor der Begegnung mit Franz Wittenbrink, gesteht die Regisseurin Ulrike Arnold und pustet sich auf reizend mädchenhafte Art den Pony aus dem Gesicht. Sie ist von den Hamburger Kammerspielen, wo sie mit sechs Schauspielerinnen und einem Schauspieler den Wittenbrink-Kult­abend „Sekretärinnen“ probt, zum Interview ins Café Leonar herübergekommen. Am 25. Juli, diesem Sonnabend, ist Premiere, es wird die erste Hamburger Inszenierung sein nach der legendären Uraufführung am Schauspielhaus 1995. Franz Wittenbrink – ein grundsympathischer, jovialer Kerl, der während des Gespräch viel und laut und rauchig lacht – nimmt Ulrike Arnold schon mit der Begrüßung jede Befangenheit. „Tach! Ich bin der Franz!“

Hamburger Abendblatt: „Sekretärinnen“ ist wahrscheinlich einer der meistgespielten Theaterabende der Gegenwart. Als das Stück 1995 im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg Uraufführung feierte, war diese Erfolgsgeschichte zunächst nicht abzusehen – Intendant Frank Baumbauer war skeptisch und verbannte die Premiere in die Late-Night-Vorstellung ...

Franz Wittenbrink: Skeptisch ist noch nett gesagt. Nicht nur das. Der Dramaturg, der das betreut hat – übrigens Wilfried Schulz, der heute Intendant in Dresden ist –, kam drei Tage vor der Premiere und meinte: „Franz, ich glaub, diesmal hast du dich verhoben.“

Das macht ja Mut.

Wittenbrink: Ich wollte mit dem Theater aufhören! Ich hab gedacht, ich muss das hier ja nicht machen. Ich kann Klavier spielen, ich kann auch irgendwo als Musiker arbeiten. Als dann bei der Premiere im Publikum gleich die Feuerzeuge angingen und der Applaus von Beginn an riesig war, da war ich natürlich auch perplex. Irgendwann rutschte der Abend dann in die Hauptvorstellung, der Kartenandrang war enorm. Tja, ein bisschen Sturheit schadet nie.

Inzwischen sind an die 200 „Sekretärinnen“-Neuinszenierungen weltweit über die Bühne gegangen in vielen, vielen, vielen Vorstellungen ...

Wittenbrink: ... Helsinki, Bratislava, Sydney! Ich wunder mich auch immer, ich seh ja nur die Abrechnungen ...

Große Fußstapfen, Frau Arnold, oder?

Ulrike Arnold: Allerdings. Ganz schlimm. Als die Anfrage kam, hab ich gedacht: Nee. Das mach ich nicht. Nicht in Hamburg. Ich fand es einfach keine kluge Idee! Man kann sich das Leben auch schwermachen.

Und warum haben Sie sich das Leben dann doch schwergemacht?

Arnold: Ich hab gedacht, wenn man es macht, dann ganz anders. Damit war das Theater einverstanden.

Wittenbrink: Gut so! Ich habe mir vor Jahren mal die Bratislava-Inszenierung angesehen und fand die tatsächlich besser als meine eigene! Den ersten Teil haben sie im Kommunismus spielen lassen, den zweiten im Kapitalismus. Die Klamotten waren andere, sonst blieb alles gleich. Ein herrliche Systemkritik!

Arnold: Ich habe es mit älteren Damen besetzt. Das Stück ist 20 Jahre älter und die Sekretärinnen sind auch 20 Jahre älter, meine Schauspielerinnen sind so zwischen Ende 50 und Richtung 70. Am liebsten wäre es mir noch älter gewesen, das wurde allerdings schwierig in der Besetzung. Aber so vermeiden wir es, zu sehr mit damals verglichen zu werden, denke ich. Diese direkte Gegenüberstellung mit der Originalinszenierung hätte ich schwierig gefunden für mich und für die Schauspielerinnen.

Wittenbrink: Vernünftig. Ich bin eh der Meinung, dass man mit dem Urheberrecht spielerisch umgehen muss! Es muss natürlich in sich stimmen. Singt der einzige Mann in der Konstellation denn noch Eros Ramazotti?

Arnold: Nee.

Wittenbrink: Nee?!

Arnold: Nee.

Wittenbrink: Was denn dann?

Arnold: Verrat ich noch nicht.

Wittenbrink: Ich bin gespannt! Hoffentlich haben Sie einen guten Pianisten. Wenn Monica Bleibtreu die Tonart mal nicht gefunden hat, hab ich immer die gespielt, die sie gerade gesungen hat ... (lacht dröhnend) Ich hab damals jede einzelne Vorstellung selbst begleitet. Alle 138 oder wie viele es waren. Viele.

Kann man sagen, dass „Sekretärinnen“ Ihr Leben verändert hat? Es war der Durchbruch, der eigentliche Beginn des Genres „Wittenbrink-Abend“.

Wittenbrink: Ja, das kann man sagen. Ich hatte vorher kleine Abende, die waren auch nicht schlecht. Aber „Sekretärinnen“ war trotzdem die erste Produktion für die große Bühne. Das fanden nicht alle Schauspielerinnen gut. Moni Bleibtreu, mit der ich später sehr befreundet war, hat anfangs – und zwar vor allen anderen! – zu mir gesagt: „Das hier ist die große Bühne. Ich bin hier seit 25 Jahren, und du hast einfach keine Ahnung.“ Und das, als ja sowieso keiner dieser Unternehmung getraut hat.

Lässt sich der Wandel des Theaters grundsätzlich vielleicht sogar an dieser Inszenierung festmachen? Der Trend zur leichteren Muse, zum unterhaltenden Liederabend im Hauptprogramm?

Wittenbrink: Ja, schon. Es gab ja diese Tucholsky-Brecht-Abende, die irgendwo zwischen politisch korrekt und Dessousshow waren. Da konnten der Handelsvertreter und der Oberstudienrat dann unter dem Vorwand der Kultur ein bisschen altväterlichen Sex angucken. Mich hat das total genervt. Das war so dumm und schöpfte überhaupt nicht aus, was die Schauspieler konnten. Damals war ich am Theater Basel und hab da vor allem mit Christoph Marthaler in der Kantine gesessen, gesoffen und gelästert. Der Intendant – Baumbauer, bevor er nach Hamburg ging – hat uns dann gezwungen, mal was zu tun. Das haben wir dann. So fing es an. Bei Marthaler und bei mir.

„Über die 122. ,Sekretärinnen‘-Bearbeitung rümpfen wir schon mal die Nase“, hat der anfangs so skeptische Wilfried Schulz später in einem Interview gesagt. Frau Arnold, kennen Sie die Originalinszenierung eigentlich?

Arnold: Nur auf DVD. Vielleicht ganz gut so! Ich habe auch auf YouTube einige Ausschnitte aus anderen „Sekretärinnen“-Inszenierungen gesehen und muss Wilfried Schulz recht geben. Manche sind regelrecht denunziativ gegenüber den Frauen, als seien Sekretärinnen doof und gar nichts wert.

Wittenbrink: Die Produktion im Berliner Schillertheater, die nach unserer damals als nächste herauskam, war so, dass ich am liebsten unerkannt weggehen wollte, damit ich niemandem sagen muss, was ich davon halte. Das war so oberflächlich klamaukig. Ich versuche ja viel mit Humor zu arbeiten, weil ich glaube, das befreit das Gehirn beim Denken. Aber im Kern sind meine Stücke traurige Stücke mit traurigen, verzweifelten Existenzen. Immer.

Was muss man in einer neuen Inszenierung unbedingt ändern, was darf man auf keinen Fall ändern, um den Charme nicht zu beschädigen?

Arnold: Bei mir arbeiten die Sekretärinnen nicht mit Schreibmaschinen zum Beispiel, das fanden wir doch etwas nostalgisch. Deshalb ist der Schauspieler Tim Grobe bei uns auch nicht Bürobote wie damals Michael Wittenborn am Schauspielhaus, sondern IT-Mann. Ich glaube, man muss vor allem eines erwischen, was das Original ausmacht: Persönlichkeiten erzählen. Nicht krampfhaft nachmachen, nicht krampfhaft distanzieren. Das ist nicht leicht. Manchmal hab ich gedacht, ein neues Stück zu schreiben wäre weniger Arbeit gewesen. Ich kenne nur Schauspielerinnen, die einen verklärten Blick bekommen, wenn sie „Wittenbrink“ hören!

Wittenbrink: Ach was!

Herr Wittenbrink, kann man mit einem Bühnenschlager wie „Sekretärinnen“ eigentlich reich werden?

Wittenbrink: Reich werden nicht, aber man kann angenehm leben. Ich hatte bei „Comedian Harmonists“ und „Sekretärinnen“ einfach Glück, dass das auch im Ausland gut gespielt werden kann. Ich staune da immer wieder. In Bratislava haben sie auf Slowakisch gerappt! Eine sehr konsonantenhaltige Sprache. Das hat schon was.

Werden Sie Ulrike Arnolds Premiere an den Kammerspielen sehen?

Wittenbrink: Die Premiere leider nicht, da bin ich in meinem Haus in Italien.

Arnold: Ha! (lacht) Und weißt du was? Jetzt bin ich erleichtert!