Hamburg. 5200 Zuschauer besuchen die 4. Privattheatertage. Die Zuschauer begeistern sich auch für Puppen und Masken.

Die vierten bundesweiten Privattheatertage endeten gestern mit der Verleihung der Monica-Bleibtreu-Preise. Eine Jury wählte die Sieger aus vier der zwölf Gastspielen, die aus ganz Deutschland eingeladen worden waren. „Man sah abstruse, virtuos gespielte und sehr, sehr komische Szenen, die an Monty Python und Kafka denken ließen, kontrastiert mit beeindruckendem Puppenspiel und Videosequenzen über das Schicksal von Flüchtlingen. Es war ein wirklich sehr ungewöhnlicher Abend, der Slapstick, Komödie, aber auch Ohnmächtigkeit und Verzweiflung zeigte“ erklärte Jurorin Dagmar Berghoff bei der Verleihung des Monica-Bleibtreu-Preises an ­„Haydi!“ in der Kategorie Komödie.

Geht der Trend auch bei den Erwachsenen nun zum Figurentheater? Denn präsentiert wurde das Stück von Familie Flöz, einer multinationalen Theatertruppe aus Berlin, deren Mitglieder hinter Masken Pantomime und Poesie als ewig gültige, menschliche Ausdrucksform vorführen. Hier, wie eigentlich bei jedem der Gastspiele der Privattheatertage, konnte man in ausverkauften Zuschauerräumen ein begeistertes Publikum erleben. In der Kategorie moderne Klassiker gewann „Maria Magdalena“ vom Studio Theater Stuttgart einen Bleibtreu-Preis. Beim zeitgenössischen Drama wurde „Ich werde nicht hassen“ mit dem Preis ausgezeichnet. Auch das Publikum liebte Puppen und wählte „Anton Tschechow: Einakter“, gespielt vom Bremer Figurentheater Mensch, Puppe! zu seinem ­Favoriten der Privattheatertage.

Ergreifend glaubhafter Humanist:
Mohammad-Ali
Behboudi in „Ich werde
nicht hassen“
Ergreifend glaubhafter Humanist: Mohammad-Ali Behboudi in „Ich werde nicht hassen“ © Regina Brocke

5200 Zuschauer besuchten das Festival. Die Spielstätten der vierten bundesdeutschen Privattheater waren zu 90 Prozent ausgebucht. Für die zwölf, teils sehr kleinen Bühnen, war es schon eine überraschende Auszeichnung, zur Leistungsschau der 280 deutschen Privattheater nach Hamburg eingeladen zu werden. Der Schauspieler Tommaso Cacciapuoti moderierte an allen Abenden je 30 Minuten vorher die Reihe „Theatermacher persönlich“. „Die Räume waren teilweise zu klein, weil so viele Menschen kommen wollten“, sagte er. Intendanten und Regisseure aus anderen Städten brachte er dem Hamburger Publikum näher, und die Zuschauer erfuhren aus erster Hand Details über bisher unbekannte Theater und Produktionen. „Das ist so, als würde man ein Hemd kaufen und vorher noch den Schneider kennenlernen“, zog Cacciapuoti einen Vergleich.

„Ich werde nicht hassen“, das zu recht ausgezeichnete Drama, ist dem Schauspieler Mohammad-Ali Behboudi offensichtlich zur Herzensangelegenheit geworden. Schon vor dem auf einer wahren Geschichte beruhenden Ein-Personen-Stück, in dem der gebürtige Perser dem palästinensischen Gynäkologen Izzeldin Abuelaish Gesicht, Seele und eine zutiefst humanistische Haltung gibt, machte der Darsteller das Publikum mit seiner (Friedens-)Mission vertraut. Anschließend wurden Behboudi und Regisseur Ernst Konarek vom Theaterhaus Stuttgart für den Monolog über „Dr. Gaza“, der 2009 bei einem israelischen Angriff auf sein Haus drei seiner Töchter und eine Nichte verlor, minutenlang gefeiert.

Ein anfangs heiter-berührender, am Ende zutiefst bewegender und unvergesslicher Abend war das. Und ein eindringlicher Appell an die Menschlichkeit, den Theaterabende nicht immer liefern können. Die Hamburger Kammerspiele wollen das Gastspiel nochmals einladen.

Ähnliches boten die weiteren Stücke der Sparte Drama. Bei „Willkommen in deinem Leben“, einem tragikomischen Stück des US-Autors Michael McKeever über den personifizierten Kampf zwischen Tod und Liebe, hatte das kleine Theater Ravensburg im großen Altonaer Theater den langen Applaus des Publikums zum Festival-Auftakt genießen dürfen. So erging es später im Ohnsorg auch dem Teamtheater Tankstelle aus München mit „Fast perfekt“, einem großteils spannenden, komplexen Spiel um die Suche nach der Wahrheit, zugleich aber einem Spiel um Macht und Manipulation bei Entführungen. Auch der Alpenkrimi „Der Weibsteufel“ vom bremer kriminaltheater begeisterte die Zuschauer.

Als Komödie war „D’r nackte Wahnsinn“, ein immer funktionierender, slapstickartiger Beitrag über das Theaterleben zu sehen. Das Theater Lindenhof aus der 900-Seelen-Gemeinde Melchingen auf der Schwäbischen Alb bot Volkstheater im besten Sinne – komisch, saukomisch, verrückt. „Mondlicht und Magnolien“ vom Alten Schauspiel Stuttgart warf einen Blick hinter die Kulissen der Filmindustrie, in der es offenbar ebenso chaotisch zugeht. Mit „Nicky und Willy“ präsentierte das Tübinger Zimmertheater eine Realsatire aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Die schwäbischen Privattheater waren beim Festival stark vertreten.

Hebbels „Maria Magdalena“ kam
zeitgemäß mit Musikeinspielungen aus
Stuttgart
Hebbels „Maria Magdalena“ kam zeitgemäß mit Musikeinspielungen aus Stuttgart © Daniela Aldinger

Einen hochaktuellen und politischen Beitrag lieferte zum Abschluss in den Kammerspielen auch der einzige Hamburger Beitrag: „Deportation Cast“, ein Stück von Björn Bicker, das bereits 2012 mit dem Deutschen Jugendtheaterpreis ausgezeichnet wurde. Die Produktion des kleinen Bahrenfelder Lichthofs ist ein eindringliches Drama um die Abschiebung einer Roma-Familie, das zwischen der kalten deutschen Behörden-Realität und einer Müllkippe im Kosovo spielt.

Was aber bleibt von den 4. Privattheatertagen? Nicht nur Hamburgs private Bühnen, die mit der Fabrik für Kleists „Der zerbrochene Krug“ vom Theater Färbe in Singen eine neue, die insgesamt neunte Spielstätte fanden, sind enger zusammengerückt, auch die Privattheater deutschlandweit. Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien unterstützte die Privattheatertage diesmal mit 500.000 Euro. Auch deshalb durfte der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse, neben Multi-Intendant Axel Schneider, dem Initiator der Privattheatertage, gestern den Publikumspreis an das Bremer Theater Mensch, Puppe! übergeben.

Obwohl eine Förderung durch den Bund 2016 sehr wahrscheinlich ist, muss Schneider mit seiner Firma ­Stäitsch Theaterbetriebs- und Theaterservice GmbH wieder finanziell in Vorleistung treten: Schon im Herbst wird eine neue Reisejury die ersten Bewerber für die 5. Privattheatertage im Juni 2016 sichten.