Hamburg. Bei Gründgens hat Mario Krüger volontiert. Heute sitzt der Theatermacher in der Jury der Privattheatertage.

Wenn heute die vierten Privattheatertage beginnen, die bis zum 28. Juni zwölf Inszenierungen von deutschen Privatbühnen an Hamburgs Theater bringen, dann hat für die Auswahl des Programms ehrenamtlich eine reisende Jury gesorgt, der Mario Krüger neben Leila Abdullah und Katrin Klamroth in der Sparte „zeitgenössisches Drama“ angehört. Krüger ist Hamburger, entstammt einer Musikerfamilie. Er hat sein Leben im Theater verbracht und studierte Schauspiel bei Eduard Marks.

Der allerdings hielt das Talent seines Schülers nur für mittelgroß. Krüger dachte ähnlich. Und so vermittelte Marks den jungen Mann für eine andere Aufgabe an die Bühne. Krüger wurde Volontär in der Dramaturgie des Schauspielhauses bei Gustaf Gründgens, ging dann als Regieassistent ans Thalia zu Willi Maertens und fand sich später an den Theatern in Bern, Heidelberg, Castrop-Rauxel, Bremen und Kiel wieder, wo er als Chefdramaturg arbeitete. Später wurde er Intendant an der Landesbühne in Wilhelms­haven, am Staatstheater Braunschweig, am Staatstheater Schwerin und letztlich noch einmal in Trier. Krüger hat Generationen von Schauspielern und Regisseuren erlebt. Er hat künstlerische Moden durchlebt und politische Entscheidungen. In drei Städten hat er bereits vor Jahrzehnten Kindertheater gegründet. Wir sprachen mit ihm.

Hamburger Abendblatt: Sie haben in den vergangenen Monaten mehr als 30 Inszenierungen an deutschen Privattheatern gesehen. Was ist Ihnen davon am stärksten in Erinnerung geblieben?

Mario Krüger: Wie vielseitig, modern und leistungsstark die Privattheater in Deutschland sind. Ich habe Stücke gesehen, die sich mit dem Thema Tod auseinandersetzen und der Frage, was das Leben ausmacht (die Eröffnungsproduktion „Willkommen in Deinem Leben“), mit dem Thema Flüchtlingspolitik, Asyl oder mit dem Konflikt zwischen Palästina und Israel. Und viele Inszenierungen sind künstlerisch sehr gelungen. Ich empfand die Fülle und Qualität sehr überzeugend. Trotz aller Anstrengung, in 32 verschiedenen Städten Inszenierungen anzuschauen, war es für mich eine große Freude, diese Leistungen der Privattheater zu sehen. Man ahnt gar nicht, was diese Bühnen alles anpacken, obwohl sie nur selten Unterstützung vom Staat bekommen. Und deshalb sind die Privattheatertage ja so eine überzeugende Initiative!

Was war das Schwierigste?

Krüger : Jemand hat ausgerechnet, dass die drei Jurys – „moderne Klassiker“, „Komödie“ und „Zeitgenössisches Drama“ – für die Auswahl insgesamt etwa 100.000 Kilometer zurückgelegt haben. Das Reisen war gelegentlich mühsam. Aber am schwierigsten war es, aus so vielen tollen Aufführungen eine Auswahl zu treffen. Ich hätte gerne noch mehr ausgewählt.

Ihre Karriere spricht für sich. Sie waren Schauspieler, Dramaturg, Intendant, bei Gustaf Gründgens Volontär. Wie war er?

Krüger : Ich war ein scheuer junger Mann damals. Ich war, wie so viele Menschen, sehr beeindruckt von ihm. Er war Ehrfurcht gebietend, unnahbar – für mich. Es war damals, im Jahr 1955, ja noch eine Zeit des Wiederfindens verlorener Traditionen. Der Begriff „Innovation“ war noch nicht im Schwange. Klassische Interpretationen galten. Gründgens wusste ganz genau um seine Wirkung auf der Bühne. Er hatte in seiner jungen Zeit ja sogar im Kabarett und in der Operette Erfahrungen gemacht.

Es gibt Fotos, auf denen stehen die Zuschauer einmal rund ums Schauspielhaus nach Karten an.

Krüger : Das Theater war nahezu jeden Abend voll besetzt.

Was war damals anders als heute?

Krüger : Es ging im Theater eher darum, eine Geschichte zu erzählen. Nicht um innovative neue Sichtweisen. Ich glaube, wenn Gründgens heute auf der Bühne stehen würde, wäre er noch genauso faszinierend. Er konnte sich sehr schnell auf neue Situationen einlassen. Er wüsste auch heute, wie man eine Geschichte fesselnd auf der Bühne darstellt. Aber wir haben auch heute sehr viele gute Schauspieler in Deutschland.

Und viele wichtige Theater.

Krüger : Ja. In den Großstädten herrscht kultureller Reichtum, aber abseits der Metropolen ist das Theater oft der einzige Ort, an dem Kultur stattfindet. Bei den Vorstellungen der Privattheater, die ich besucht habe, werden die Themen der Zeit meist als „Geschichten“ erzählt. „Ich werde nicht hassen“ ist ein beeindruckender Monolog eines palästinensischen Arztes, der vom tödlichen Anschlag auf seine Kinder erzählt und der dies nicht zum Anlass nehmen will, neuen Hass zu säen. In der kleinen Stadt Singen zeigt das Theater „Die Färbe“ seit 25 Jahren professionelles Theater. Dort ist das kulturelle Angebot nicht so vielfältig wie in der Großstadt, das Publikum braucht diese Geschichten vom Theater, das Zusammenkommen, den Austausch. Auf dem Hamburger Privattheaterfestival zeigt „Die Färbe“ Kleists „Der zerbrochene Krug“.

Sie waren als Dramaturg und Intendant erfolgreich, haben Kindertheater gegründet. Warum hat es als Schauspieler nicht geklappt?

Krüger : Ich war einfach nicht gut genug. Ich habe es früh aufgegeben. Einmal – in übermütigen jungen Bremer Jahren – bin ich bei einer Erkrankung noch eingesprungen und habe im Weihnachtsmärchen „Peterchens Mondfahrt“ die Rolle des Sumsemann übernommen, des Maikäfers, dem bekanntlich ein Bein fehlt. Ich hatte vor der Vorstellung bereits den runden Tisch in der Kantine reserviert, für die Feier danach. Da habe ich dann leider alleine gesessen. Aber diesen kleinen Umweg musste ich wohl gehen: Im Grunde genommen hatte ja schon Eduard Marks erkannt, dass meine Stärken am Theater auf einem anderen Gebiet lagen.

Infos: privattheatertage.de; 26. bis 28.6.