Hamburg. Google lenkt, rankt und archiviert alles im Internet: Der Hamburger Medienrechtler Wolfgang Schulz über das „digitale Radiergummi“.

So kennt man die Konzerne der bisherigen Wirtschaftsordnung: Sie jammern neidisch, wenn sie auf Unternehmen wie Google blicken, die mit ein paar Servern, Programmierern und freiem Mittagessen für Mitarbeiter den Rest der Welt das Fürchten lehren. Die Lufthansa zum Beispiel hat sich nun entschlossen, auch mit Bits und Bytes Geld zu verdienen. Man wolle die Daten der Passagiere nicht verkaufen, hieß es im Vorstand. Aber die Börsen würden Firmen wie Google anders bewerten, weil sie auf Datenschätzen sitzen. Und die Airline generiere ebenfalls immense Datenmengen.

Der Kranich als Daten-Krake – da wird Google noch nicht zittern. Doch der Sammeltrend setzt sich fort. Apple verarbeitet Gesundheitsdaten mit der Apple-Watch und lässt sie von IBM aufbereiten. Auf dessen Plattform Watson Health sollen Ärzte, Forscher und Versicherungen zugreifen können – anonym versteht sich. Facebook, YouTube und Co. bergen gigantische Mengen an persönlichen Daten. Und das Beste: Die Nutzer geben sie freiwillig heraus.

Hinter allem lauert Google als Wegweiser zum Ziel im Internet. Die Suchmaschine lenkt und rankt und archiviert. Deshalb ist sie ein Fall für die Politik und höchste Gerichte geworden. Der Hamburger Medienrechtler Prof. Wolfgang Schulz, einer der beiden Direktoren des Hans-Bredow-Instituts, sagt: „Man sollte hier zwei Dinge unterscheiden, zum einen Datenspuren, die man bei der Nutzung von Diensten hinterlässt – da sind Suchdienste eigentlich nichts anderes als Online-Shops – und die Auffindbarkeit von Informationen, die es auf Webseiten über mich gibt.“ Diese würden unter dem Stichwort „Recht auf Vergessen“ diskutiert. „Der Europäische Gerichtshof hat eine weitreichende Entscheidung gefällt und aufgrund Europäischen Datenschutzrechts Bürgern das Recht zugesprochen, die Löschung von Verlinkungen auf solche Seiten bei Suchmaschinen wie Google zu verlangen.“

Schulz, der auch als unabhängiger Sachverständiger in der Enquete-Kommission des Bundestages zur digitalen Gesellschaft saß, erinnerte an einen der prominentesten Löschfälle. Der frühere Chef des Automobilweltverbandes, Max Mosley, hatte nach Berichten über eine Sex-Party unter anderem Google verklagt und Jahre später durchgesetzt, dass Links zu diesen Berichten verschwinden. Trotzdem sind einige Texte weiter verfügbar auf anderen Seiten als denen, die Mosley herausgefunden hat. Theoretisch müsste Mosley jetzt weiter juristisch gegen all diese Seiten vorgehen, sagt Medienrechtler Schulz. „Es gibt kein großes digitales Radiergummi, mit dem man alles, was einem nicht gefällt, auf einmal löschen kann. Der Europäische Gerichtshof geht schon sehr weit mit seiner Entscheidung, denn man kann die Löschung der Verlinkung bei der Suche auch dann erreichen, wenn die Seiten, um die es geht, ganz legal im Netz stehen.“

Man müsse bedenken, dass es nicht nur um Mosleys „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ gehe, sondern auch um den Zugang zu Informationen. „Dass etwa ein windiger Unternehmer nicht möchte, dass der Bericht über seinen letzten Konkurs leicht aufzufinden ist, leuchtet ein. Aber ist es wirklich richtig, ihm das Recht zu geben, das allein zu bestimmen?“

Schulz hält ein Recht auf Erinnern dagegen. Das Bundesverfassungsgericht habe das Grundgesetz gerade neu interpretiert. „Verfassungsrechtlich gibt es beispielsweise ein Recht darauf, nach Verbüßung der Strafe für eine Straftat ein neues Leben anzufangen. Dies bedeutet aber nicht, dass aus allen Archiven die Berichterstattung über die Straftat zu löschen wäre. Es gibt auch ein öffentliches Interesse daran, sich zu erinnern. Das muss im Einzelfall abgewogen werden.“

Die EU-Justizminister haben sich gerade auf eine Datenschutz-Grundverordnung verständigt, die noch mit dem Parlament ausgehandelt werden muss. Sie soll User davor schützen, dass etwa Facebook oder Amazon Daten an US-Behörden oder andere Firmen weitergeben. Bei Verstößen würden Bußgelder von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes fällig.

Schulz ist skeptisch: „Dass man in den USA klagen darf, kann nicht die EU bestimmen, aber europäisches Datenschutzrecht gilt auch für die US-Unternehmen, die in Europa sitzen und wirtschaften.“ Was als „Recht auf Vergessen“ dargestellt werde, sei ein Löschungsanspruch, „wie er schon immer im Datenschutzrecht bestand“.

Dass auch das Recht auf Erinnern eine heikle Angelegenheit ist, müssen Nutzer von Cloud-Diensten bisweilen erfahren, die sehr freizügige Privatfotos online speichern. Wie die Zeitschrift „Chip“ berichtet, scannen amerikanische Firmen – auch Google und Microsoft – die bei ihnen hochgeladenen Bilder. Verstoßen die Darstellungen gegen US-Regeln, werden die Nutzerkonten schnell gesperrt. Hier nehmen sich die Internetkonzerne das Recht auf Vergessen.