Hamburg. Hamburger Experten sehen das Urteil des EuGH kritisch. Beim Löschen aus Google muss auch das Recht auf Erinnern beachtet werden.
In der Geschichte des Internets ist Mario Costeja Gonzalez einer der bekanntesten Menschen. Denn er zwang den Suchmaschinen-Giganten Google in die Knie. Über ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem vergangenen Jahr erwirkte der Spanier, dass ein Google-Link zu einer Internetseite mit amtlichen Bekanntmachungen gelöscht wird, auf der steht, dass bei ihm einmal gepfändet wurde. Seitdem ist das „Recht auf Vergessen“ in aller Munde – und zu einem der meistdiskutierten Themen von Internetnutzern, Google, Unternehmen und Top-Juristen geworden.
Beim Mediensymposion der Hamburger Handelskammer, der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein und des Hans-Bredow-Instituts (HBI) drehte sich am Mittwoch nahezu jeder Referent, jeder Beitrag um Mario Costeja Gonzalez.
"Wir haben uns angewöhnt, eine Person zu ergoogeln"
Denn die Folgen aus dem Grundsatzurteil des EuGH sind gravierend. HBI-Direktor Prof. Wolfgang Schulz führte aus, dass natürlich die Suchmaschinenbetreiber wie Google mitverantwortlich seien. Aber kurioserweise sei es so, dass eine Internetseite rechtlich unantastbar sein kann, aber der Link zu ihr rechtswidrig. „Wir haben uns angewöhnt, eine Person zu ergoogeln“, sagte Schulz. Das sei „soziale Praxis“ geworden.
Doch Schulz kritisierte, dass der EuGH eine Lücke in seinem Urteil gelassen habe. Denn auch die Öffentlichkeit habe ein Interesse daran, auch etwas über eine Person zu erfahren, das dieser nicht angenehm sei. Das deutsche Bundesverfassungsgericht habe trotz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung klargemacht: Niemand habe das Recht, nur so dargestellt zu werden, wie er selbst will.
Recht auf Vergessen vs. Recht auf Erinnern
Dem Abendblatt sagte Schulz: „Es gibt kein großes digitales Radiergummi, mit dem man alles, was einem nicht gefällt, auf einmal löschen kann. Dass etwa ein windiger Unternehmer nicht möchte, dass der Bericht über seinen letzten Konkurs leicht aufzufinden ist, leuchtet ein. Aber ist es wirklich richtig, ihm das Recht zu geben, das allein zu bestimmen?“ Es geht also auch um, das Recht auf das Erinnern.
Die renommierte Erinnerungsforscherin Prof. Aleida Assmann hatte zuvor davon gesprochen, dass die Vergangenheit „auf Knopfdruck Gegenwart werden kann“. Es gehe, sagte Adrian Ulrich von der Handelskammer, im Internet um „Kommunikation ohne Verfallsdatum“. Das sei „eine Errungenschaft, mit der wir lernen müssen umzugehen“. Schließlich habe das Internet einen großen Raum in unserem Leben eingenommen. „Das müssen wir aktiv gestalten.“
Der Beirat bei Google kritisiert die Löschpraxis
Dass Google beim „Recht auf Vergessen“ nur den Link löscht, nicht die jeweilige Seite (die ja rechtmäßig sein kann), darauf machte auch der Direktor der Medienanstalt aufmerksam, Thomas Fuchs. Nach dem EuGH-Urteil habe sich bei Google ein Beirat gebildet. Und sehr schnell hat dieser Beirat sich bei Google beschwert, dass die Suchmaschine weitaus weniger Links löscht, als vom Beirat vorgeschlagen wurde. Fuchs machte buchstäblich und explizit ausgesprochen „Werbung“ für die Landesmedienanstalten. Sie könnten Schlichtungen zwischen Suchmaschinen und Internetnutzern in Zukunft organisieren. „Aber das lässt sich nur bundesweit organisieren."