Hamburg. Der gemeinnützige Fundus für kleine Privattheater verleiht günstig Bühnenequipment. Nun ist die Materialverwaltung in Geldnot.

Schon am Eingang der Hanseatischen Materialverwaltung (HMV) beginnt die Fantasiereise. Der hölzerne Bug des alten Schiffs erzählt die Geschichte eines Trips in die Südsee. Die kleine Lok daneben scheint direkt aus Lummerland von der Augsburger Puppenkiste gekommen zu sein. Und die hölzernen Schulbänke haben sicher schon einmal beim „Fliegenden Klassenzimmer“ mitgespielt.

Die Materialverwaltung dient als gemeinnütziger Fundus für kleine Privattheater. Er ist der einzige seiner Art in ganz Deutschland. Vor fast genau zwei Jahren gegründet, hat der Fundus Materialien im Wert von mehreren 100.000 Euro vor der Entsorgung bewahrt. Zugleich profitierten Tausende Nutzer von dem Lager, etwa Schul- und Jugendtheater, freie Künstler, soziale Projekte und Umweltaktionen.

Die HMV habe zwei riesige Hallen im Hafen in ein Warenhaus der kreativen Wiederverwertung verwandelt, lobte einst Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler. Die Anfragen von Leihkunden kommen täglich, und doch zeigen sich auf der Stirn von HMV-Gründer Jens Gottschaus Sorgenfalten, wenn er an die Zukunft denkt. Die Kulturbehörde und andere Initiatoren, auch Sponsoren aus der Wirtschaft wie die Gebr. Heinemann unterstützen das Projekt zwar. Doch nun läuft ein Großteil der Förderung aus. Es war schon bei der Gründung geplant, dass die gemeinnützige GmbH nach zwei Jahren auf eigenen Füßen stehen soll.

„Wir haben jetzt eine Finanzierungslücke von 35.000 Euro“, sagt Gottschau, der ohnehin schon sehr kostenbewusst mit einer weitgehend ehrenamtlichen Truppe arbeitet. Der studierte Designer und seine Mitgesellschafterin, die Werbefilmausstatterin Petra Sommer, wollen nun zu einem Mittel greifen, das der Öffentlichkeit auch aus der freien Wirtschaft bekannt ist. Die Kunstfreunde wollen ein Crowd­funding starten. „Wir müssen Geld einsammeln, sonst ist unsere weitere Existenz in Gefahr“, sagt er über die ungewisse Zukunft der HMV. Die Crowdfunding-Aktion soll am 23. Mai starten, dann lädt die HMV auch alle Interessierten zu einem großen Frühlingsfest ein. Bis dahin hat Gottschau auf der Internetseite schon einmal einen Spendenbutton eingerichtet, der unter Hanseatische.Materialverwaltung.de zu finden ist.

„Wir kennen ein ähnliches Konzept aus New York, das seit über 35 Jahren äußerst erfolgreich arbeitet“, sagt Gottschau, ein freier Künstler, der die Idee nach Hamburg brachte. Ein Beispiel für die Arbeit der HMV: Das Thalia Theater hat eine Sänfte für ein Stück verwendet, das nicht mehr gespielt wird. Statt das exotische Transportmittel zu entsorgen, wird die HMV angerufen. Die Mitarbeiter holen das Teil ab und lagern es ein. Als Interessent meldet sich ein Schultheater, das einen Pharaodarsteller in der Sänfte über die Bühne tragen will. Gegen eine kleine Gebühr können die Schüler die Trage ausleihen. Die Vermietung an nicht kommerzielle Kunden wird öffentlich gefördert. Will sich indes eine Werbeproduktion einen Kühlschrank aus den 60er-Jahren abholen, bestimmt der Aufwand den Preis.

Auch wenn es ein Geldproblem gibt, aus der kreativen Szene kommt viel Unterstützung für die HMV, und die Begeisterung für das Requisiten- und Kulissenrecycling ist groß. „Es ist unglaublich, was alles weggeschmissen wird. Material in Mengen, Container voll damit, es ist ein Wahnsinn und tut in der Seele weh“, sagt etwa Axel Werner, Szenenbildner beim „Notruf Hafenkante“ über die sonst übliche Wegwerfkultur in der Branche. Was in anderen Städten im Müll landet, sorgt in Hamburg für eine beeindruckende Vielfalt in der Halle einen Steinwurf von der Oberhafenkantine entfernt.

Für rund 50 Euro kann man sich zum Beispiel eine Rikscha ausleihen

Für rund 50 Euro können Schauspielgruppen eine Rikscha ausleihen, die auch schon bei der Langnese-Werbung eingesetzt wurde. Seile, Steuerräder und nautische Geräte sorgen für das richtige Ambiente bei maritimen Stücken. Die große Papierqualle an der Decke ist gerade angefragt für einen Kinofilm. Und die Lok Emma am Eingang sorgt im Kindertheater ganz von alleine für Begeisterung.

„Ein Besuch bei uns beflügelt gerade Kinder und Jugendliche unglaublich“, schwärmt Gottschau. Wenn Schultheater Dinge ausleihen, bekommen die Teile plötzlich eine ganz neue Bedeutung, ein zweites Leben. Immerhin mehr als die Hälfte der Nutzer kommen aus der Kinder- und Jugendkultur Hamburgs. „Allein schon dafür könnte es sich eine Stadt im Grunde gar nicht leisten, wenn die Materialien weggeworfen würden“, sagt Gottschau. Die HMV bietet ihre Dienste vornehmlich für nicht kommerzielle Projekte an, daneben arbeiten auch noch zwei große privatwirtschaftliche Fundus in Hamburg. Große Theater unterhalten zudem einen eigenen Fundus, können dort aber auch nicht alles einlagern, was je in den Stücken gebraucht wurde. So hat die HMV vom Schauspielhaus etwa die Kulissen für „Die kleine Meerjungfrau“ erhalten, ein antikes Sofa kam vom Thalia in den Oberhafen, der früher als Bahngelände diente.

Im vergangenen Jahr hat die HMV 90.000 Euro erlöst, ein Betrag, der weder die Lohnkosten noch die Miete deckt. „Alle, die hier arbeiten, müssen zusätzlich von ihren Partnern unterstützt werden“, sagt Gottschau. Der Gründer selbst ist auf die Idee der Materialverwaltung bei einem temporären Theaterprojekt gekommen. Es ging ihm dabei schon immer um den Gedanken, wo die Dinge landen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Der 33-Jährige gehört auch zu den Unterstützern des Gängeviertels. Für Gottschau sind solche Oasen der Kreativität in der Stadt ein wichtiger Teil der Gesellschaft, „schließlich gibt es ja nicht nur die Hochkultur“. Durch die starke Konzentration des Mäzenatentums auf die Elbphilharmonie seien etliche kleine Privatinitiativen ins Hintertreffen geraten, sorgt sich Gottschau, der sein Engagement bei der HMV wegen der Finanzierungsfragen allerdings nicht infrage stellen möchte.

Denn hier lebt der Hamburger für Augenblicke, die niemand für Geld kaufen kann: „Wenn Schulkinder zu uns kommen und sich mit Begeisterung in den Augen unsere fleischfressende Pflanze für ihr Theater ausleihen, dann hat sich unsere Arbeit gelohnt.“