Die großartige Inszenierung „Glückliche Tage“ im Malersaal des Schauspielhauses besticht auch durch ihr Bühnenbild. Wenn der Vorhang aufgeht, ist man perplex.

Hamburg. Wenn der Vorhang aufgeht, ist man perplex. Ein ganz normales Zimmer, mit Sofa, Tisch, Stühlen, Radio, der Küchenzeile im Hintergrund, ist vollständig von einer braunen Brühe überflutet. Winnie, die Bewohnerin, steckt bis zur Brust darin fest. Ihr Mann, Willie, liegt mit Schrunden und einem lahmen linken Arm auf dem Tisch der Küchenzeile. Hinter ihm ein großes Loch, in das er sich von Zeit zu Zeit wie ein Tier verkriecht. Der Blick aus den Fenstern zeigt blauen Himmel mit Schäfchenwolken, allerdings stehen kahle Bäume darunter. Draußen herrscht Leere, drinnen eine verheerende Überschwemmung. Es gibt keine Gemeinschaft, keine Bindungen, kein Ziel. Nur noch das nackte Leben von Winnie und Willie. Der Weltuntergang findet zu Hause statt.

Regisseurin Katie Mitchell und ihr Bühnen- und Kostümbildner Alex Eales haben für Samuel Becketts Endzeitdrama „Glückliche Tage“, das jetzt im Malersaal Premiere hatte, dieses umwerfende Bild vom unausweichlichen Ende gefunden, das eigentlich schon stattgefunden hat. Wir saufen ab. Jeder für sich allein. Aber alle sind dran. Um nicht dauernd darüber nachzudenken, machen wir weiter. Unsere Rituale helfen uns ebenso wie unsere Erinnerungen, das Leben zu bewältigen.

Wie weit kann man sich anpassen, wenn einem das Wasser bis zum Halse steht – wie Winnie im zweiten Teil, der die Brühe wortwörtlich bis zum Hals steht? Entkommt man dem Chaos durch feststehende Gewohnheiten? Trösten Worte über Klage, Liebe, Hoffnung gegen die Angst? All diese Fragen stellt Mitchell auch mit ihrer bannenden Inszenierung. Und Julia Wieninger als Winnie, mit dem weitgehend stummen Paul Herwig als ihr rest-munterer Gefährte Willie geben uns durch ihr großartiges Spiel eine Antwort: Weiter machen. Immer weiter und sei die Situation auch noch so ausweglos.

Beckett sah in seinen Regieanweisungen vor: „Weite, versengte Grasebene, die sich nach der Mitte zu einem Hügel erhebt ... Grelles Licht ... In der Mitte des Hügels ist Winnie bis zur Taille eingebettet“. Und Änderungen an seinen Stücken mochte er gar nicht. Aber wie hier Sand durch Wasser ersetzt wird, wie Plätschergeräusche und Bassklänge aus dem Hintergrund die apokalyptische Atmosphäre spürbar machen, das hätte diesem Künstler des Essenziellen gefallen können.

Auch in Mitchells Inszenierung herrscht grelles Licht. Willie, der sich, anders als Winnie, noch langsam bewegen kann, kriecht einmal durch das offene Küchenfenster und Winnie erinnert ihn daran, sich einzucremen, damit er nicht von der Sonne verbrannt wird. Julia Wieninger ist keine aufgekratzte Winnie, die dem Chaos in der Welt, dem endlosen Tag – die Uhr an der Wand ist stehen geblieben – einen fröhlich plappernden Optimismus entgegensetzt. Sie ist eine rationale Frau, die sich mit Alltagsverrichtungen beschäftigt, bei denen sie sich immer wieder unterbricht und nachdenkt. Sie kramt in ihrer Tasche, dem letzten Überlebenskoffer, in dem sie ihre Besitztümer Spiegel, Zahnbürste, Pistole, Spieluhr, Lupe aufbewahrt. Sie betet und fragt sich ernsthaft: „Gibt es noch andere Möglichkeiten?“

Sie putzt sich die Zähne, setzt immer wieder die Brille auf und ab, versucht, die Schrift auf der Zahnbürste zu entziffern „voll garantierte ... echte, reine ... Barchborsten“– alles macht sie so normal wie möglich. Ihr Gesicht leuchtet nur auf, wenn sie an früher denkt, an den „guten, alten Stil“. Oder wenn sie Willie fragt, was ein Barch ist und er ausnahmsweise einmal antwortet „kas­triertes, männliches Schwein, zum Schlachten gemästet“. Wieningers Winnie, die sicher bereits Schreckliches durchgemacht hat, zeigt zunehmend Angst vor dem, was kommen wird. Ihr Kinn zittert. Aber sie reißt sich zusammen: „Wenn ich es nur ertragen könnte, allein zu sein.“ Und immer wieder verscheucht sie alles Dunkle mit ihrem Mantra: „Dies wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein.“

Warum auch nicht, schließlich leben Willie und Winnie noch. Wenn wohl auch als letzte Überlebende. Winnie erinnert sich an ein Paar, das bayerisch sprach. Damals hatte sie noch ihre Beine. Aus. Vorbei. Weiter geht’s.

Im zweiten Teil, als die Wohnung höher geflutet und schon ganz schräg ist, das Wasser vor dem Fenster vorbeirauscht und Winnie nur noch ihr Kopf und die Sprache bleibt, zeigt Wieninger zusehends Angst. Sie spricht schneller, abgehackt, verzweifelt. Die nächste Katastrophe kommt bestimmt.

Paul Herwigs Willie ist ein zwar meist abwesender, aber verlässlicher Partner. Am Ende trägt er Zylinder und Anzug. Wie zur Hochzeit von Winnie und Willie. Sie fragt: „Willst du mein Gesicht berühren?“ Er bleibt starr. Und sie singt aus Léhars „Lustiger Witwe“ „Lippen schweigen, ’s flüstern Geigen: Hab’ mich lieb.“

Ach, es wäre schön, wenn die Liebe unser aller Rettung wäre. Aber wir wollen den Abend nicht überinterpretieren. Er war schlicht großartig.

„Glückliche Tage“ im Malersaal, nächste Vorstellungen vom 14.–17.2. und 13.–15.3.; Karten: T. 24 87 13