Der Schauspieler Mario Adorf kommt Anfang Februar mit seiner Autobiografie “Schauen Sie mal böse!“ ins Hamburger St. Pauli Theater. Seine Karriere ist beispiellos unter den deutschen Mimen.
Hamburg. Mario Adorf, der seit den 50er-Jahren und bis heute vor der Kamera steht, kennt fast jeder. Gerade erst wurde er zum beliebtesten deutschsprachigen Schauspieler gewählt. Wenn ihm Menschen auf der Straße begegnen, so erzählt er, sprechen sie ihn manchmal an und fragen: „Hey, Mario, warum hast du Nscho-tschi erschossen?“. Das war 1963 in „Winnetou“. Oder sie rufen ihm mit rheinischem Akzent hinterher: „Ich scheiß dich so wat von zu mit meinem Jeld“, ein Zitat aus Helmut Dietls Serie „Kir Royal“, in der Adorf einen Millionär und Emporkömmling spielte. Das ist immerhin auch schon 28 Jahre her. Aber Adorf ist so präsent, dass er vielen Menschen vertraut erscheint. Sie sind mit ihm und seinen Filmen durchs Leben gegangen. Allein im letzten halben Jahr konnte man ihn wieder zweimal sehen, im Film „Der letzte Mentsch“ und im TV-Film „Altersglühen“, beim Speeddating mit Altersgenossen.
In rund 200 Filmen hat Mario Adorf gespielt, auf Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch. Seine Karriere ist unvergleichlich und beispiellos unter den deutschen Schauspielern. Die Liste der Regisseure, mit denen er Filme gedreht hat, liest sich wie ein Auszug aus der Hitliste des Weltkinos: Sam Peckinpah, Franco Rossi, Wolfgang Staudte, Edgar Reitz, Billy Wilder, Volker Schlöndorff, Helmut Dietl, Rainer Werner Fassbinder, Claude Chabrol und Sergio Corbucci, einer der Väter des Italo-Western. Aber vor allem ist Mario Adorf ein Theaterschauspieler, einer, der als junger Mann die Bühne erobert hat. Bereits für eine seiner ersten großen Filmrollen, als Massenmörder Bruno Lüdke in Robert Siodmaks vielfach preisgekrönten „Nachts, wenn der Teufel kam“, erhielt Adorf ein Filmband in Gold und einen Bundesfilmpreis. „Gucken Sie mal böse“, hatte Siodmak den jungen Adorf aufgefordert, bevor er ihn besetzte. Adorf versuchte es, sah aber nicht böse genug aus. Erst als Siodmak, der mit einem riesigen Koffer voller Arzneien aus den USA nach München angereist war, Adorfs auf der Bühne verletztes Bein mit Eisspray (damals hochmodern), Salbe und Verband zu heilen versuchte, engagierte er ihn. Denn Adorf humpelte nach dieser Behandlung nicht mehr. Dabei tat es immer noch höllisch weh. Aber Adorf hatte den richtigen Instinkt, Siodmak fühlte sich als Heiler und war stolz. „Da hatte ich Glück“, erzählt Adorf.
Mario Adorf, der in München auf die Schauspielschule ging, weil er bei einer Wohnungssuche zufällig an ihr vorbeikam, war schon bei der Aufnahmeprüfung so eifrig, dass er vorne von der Bühne stürzte. Er wurde dann aufgenommen, weil man seine „Naivität und Kraft“ bewunderte, wie man ihm sagte. „Ich war fern von allem Theater aufgewachsen, voller Optimismus und Selbstbewusstsein, aber ohne jeden Plan.“ Schon als Schauspielschüler spielte er kleine Rollen an den Münchner Kammerspielen. „Ich habe immer versucht, auf mich aufmerksam zu machen“, erzählt er, etwa, „indem ich mir einen Faden zwischen Mund und Nase steckte und so einen Sprachfehler bekam, über den man lachte. Oder ich klapperte vorne auf der Bühne so auf dem Diktiergerät, dass ich den Text des Hauptdarstellers kommentierte.“ Er ist sicher, „dass man ein bisschen was dazu tun kann, um eine Rolle zu bekommen. Ich hatte einen unglaublichen Spieldrang, eigentlich noch mehr als das. Ich wollte mir unbedingt für jede Rolle etwas Besonderes einfallen lassen. Wenn die Regisseure jemand suchten, der beispielsweise gut fallen konnte, wussten sie, der Adorf, der macht das“. Eines Tages sagte ihm der Regisseur Paul Verhoeven: „Mario, alles, was du machst, brauchst du nicht mehr zu machen. Lass es weg.“ Er sollte nicht mehr suchen, nichts mehr zu den Rollen dazu erfinden. Seine Darstellung allein genügte.
Adorf, der seit 1992 auch Bücher schreibt, mit wunderbaren Lebens- und Schauspieler-Anekdoten, von denen er inzwischen mehr als 600.000 verkauft hat, beginnt nun etwas Neues. Er liest und erzählt die schönsten Geschichten aus seinem Schauspielerleben auf der Bühne. Er fragt sich, warum er Schauspieler geworden ist. Was war entscheidend, Talent, Glück, Aussehen? Die Zuschauer können das fast von selbst beantworten. Denn Adorf spielt auch die Menschen, von denen er erzählt, den scheuen Heinz Rühmann, den nuschelnden Fritz Kortner oder den lauten Hans Albers. Man sieht sie vor sich, sieht Adorfs Schauspieltalent. Mario Adorf tourt damit nun durch Deutschland. Man sollte es sich ansehen. Denn jeder Mensch, der auch nur einen Monat am Theater gearbeitet hat, weiß, die Anekdoten sind sehr oft das Unterhaltsamste am Theater. All jene Geschichten, die man sonst nur in der Theaterkantine, der Theaterkneipe hört, hier kommen sie lebendig auf die Bühne.
Adorf hat in Mainz studiert und ist „zufällig“ mit dem Studententheater in Berührung gekommen, „zufällig“ ist er mit diesen Leuten nach Zürich gekommen und dann „zufällig“ mit der Truppe Komparse in München geworden, wo er „zufällig“ an der Schauspielschule vorbeiging, an der er aufgenommen wurde. „So viele Zufälle gibt es nicht“ hat ihm der Kollege Peter Lühr einst entgegnet, „das kann gar nicht sein. Bei Ihnen hat sich alles gefügt“.
„Ich bin Schauspieler geworden, weil ich Theater spielen wollte“, erzählt Mario Adorf. „Ich bin erst ziemlich spät drauf gekommen. Aber dann hab ich mich ins Theater verliebt. Das Theater war einmal mein Leben.“ Bald entdeckte er aber den Reiz des Films, „Reisen, andere Menschen kennenlernen, das wurde mir wichtig. Natürlich hat das Theater darunter gelitten, aber ich bin immer wieder dorthin zurückgegangen. Ich habe das auch als Exerzitium gesehen, eine Rolle entwickeln zu können und nicht alles nur zu improvisieren.“ Bis vor zehn Jahren stand er auf der Bühne. Aufgehört hat er, weil er nicht mehr jeden Abend spielen wollte. Nicht, weil er keine Texte mehr lernen wollte, was so viele Schauspieler als quälendsten Teil ihres Berufes bezeichnen. „Nein, das Textlernen fällt mir nicht schwer“, sagt Adorf. „Es wurde mir zu zeitraubend, die langen Proben, drei Monate denselben Text immer wieder spielen, das wurde mir zu anstrengend.“
Nun steht er ja wieder auf der Bühne. Und das auch noch mit eigenen Texten. Geschichten aus seinem Leben, seinem Schauspielerleben, setzt er lebhaft in Szene. „Es geht um Kindheit, Jugend, die Anfänge“, erklärt er, „Erfolgsgeschichten will doch keiner hören, die sind langweilig.“ Weiß heute noch jemand, wer Fritz Kortner war? Der ehemalige Schauspieler und Regisseur, der eine ganze Generation deutscher Regisseure mit seiner Akkuratesse prägte. Und sie ebenso beeindruckte mit seinen schneidenden Beobachtungen und Kritiken. Da ruft Kortner einen Schauspieler stets mit „Herr Nur“. Schließlich fasst sich sein Assistent ein Herz und sagt: „Herr Kortner, der Herr heißt nicht Nur, der Herr heißt Knur!“ Kortner: „Das K muss er sich erst verdienen.“ Zu einem Schauspieler sagte er: „Sie schwänzen einen anderen Beruf.“ Oder Adorf erzählt von Hans Albers, dem ein Kollege nachsagte, er habe einen Wortschatz von zehn Wörtern und zwei davon seien „Otto, Otto“, und dann fängt Adorf auch noch an zu singen wie Albers.
Naturgemäß handeln die Geschichten von Kollegen und von Schauspielern, die Adorf bewunderte. Kraftmenschen wie Heinrich George oder Walter Richter, Martin Held, Siegfried Lowitz. Es geht um Hänger und Versprecher, Missgeschicke mit Handschellen, die nicht auf- und Hosenschlitzen, die nicht zugehen. Adorf erzählt, wie er als junger Mann einmal aus Geldnot vormittags gegen einen Hünen boxen und abends Theater spielen musste, völlig blau gehauen. Oft spielt auch der Alkohol eine große Rolle. „Früher wurde am Theater unfassbar viel getrunken“, erzählt Adorf, „die konnten auch unglaublich viel vertragen. In den 50er-Jahren saß man jeden Abend nach der Vorstellung zusammen. Es wurde viel getrunken, es wurden Trinkspiele gemacht. Es nahm kein Ende. Niemand hatte damals ein Auto, man lief zu Fuß nach Hause, so gut man eben konnte. Dieses Leben im Ensemble hat heute völlig aufgehört“, sagt Mario Adorf. Vielleicht klingen seine Geschichten deshalb umso lustiger. Und dann macht er auch noch vor, wie Schauspieler lachen.
Mario Adorf drehte mehr und mehr Filme, zunächst in Frankreich, dann in Italien. „In den 60er-Jahren war Rom die Welthauptstadt des Films. Alle waren dort. Man begegnete sich auf der Straße, in Restaurants.“ Mario Adorf zog nach Rom und blieb viele Jahre dort. „Es kam nicht so darauf an, was man machte. Es wurde gelebt.“ Das ging so bis 1973, der ersten Energiekrise. Vorher ging man um halb neun ins Kino, um halb elf essen, und im Sommer fuhr man danach noch ans Meer zum Baden. Nach der Energiekrise machten die Lokale um Mitternacht zu. Man konnte also nur noch ins Kino oder früher ins Restaurant. Das Gesellschaftsleben starb. Die große Zeit des Genießens ging zu Ende.“ Bis 2004 lebte Mario Adorf in Rom, „zu lange“, wie er heute sagt. Heute hat er eine Wohnung in München und in Südfrankreich.
Zwei wichtige Rollen hat Mario Adorf abgelehnt. Francis Ford Coppola hatte ihn für „Der Pate“ im Blick. Adorf traf den Regisseur, der ihn fragte, ob er den Roman gelesen habe: „Ja“, antwortete Adorf wahrheitsgemäß „und auch das Drehbuch.“ Coppola war entsetzt. Das Drehbuch war höchst geheim. Er fragte: „Von wem haben Sie es?“ Adorf wollte es nicht verraten. Schon mal nicht gut. Dann fragte Coppola ihn noch, welche Rolle er für sich im Auge habe. „Ja, Sonny Corleone, den ältesten Sohn von Marlon Brando.“ „Den spielt James Caan“, antwortete Coppola. „Was?“ rief Adorf, „Der ist blond und sieht total unitalienisch aus.“ „Ja, aber er hat den richtigen Akzent“, antwortete Coppola. Die Chemie zwischen Adorf und Coppola stimmte einfach nicht. Auch mit Billy Wilder hatte Adorf kein Glück. Erst wollte er in „Eins, Zwei, Drei“ einen Russen spielen und erklärte: „Ich habe eine russische Pelzmütze. Jeder, der mich mit ihr sieht, hält mich für einen Russen.“ Aber Wilder sagte: „Der Film spielt im Sommer.“ Dann erfuhr Adorf, dass es nur der dritte Russe sein sollte, nicht der erste und sagte ab. „Alle sagten zu mir, bist du wahnsinnig! Bei Wilder trägt man ein Tablett durchs Bild. Umsonst.“ 16 Jahre später besetzte Billy Wilder ihn in „Fedora“. „Die Rolle war noch kleiner“, sagt er.
Jetzt, wo Adorf wieder auf der Bühne steht, wenn auch in einer privaten Rolle, sagt er, es sei „wunderbar“. Für ihn, aber auch für uns Zuschauer.
Mario Adorf liest „Schauen Sie mal böse!“ 2.–4. März, jeweils 20.00, St. Pauli Theater, Karten: T. 30 30 98 98