Gerade von Konzerten in Brasilien zurückgekehrt, präsentiert der Hamburger Popmusiker die neuen Songs seines Mini-Albums „Zurück zu von selbst“. Der frisch gebackene Vater klingt anders als zuvor.
Hamburg. Da hat sich etwas geändert bei Ingo Pohlmann, der als Musiker knackig und kumpelhaft nur seinen Nachnamen nutzt. Den offensichtlichsten Grund, warum nun einiges anders ist, bringt der 42-Jährige direkt mit zum Interview ins Café Panter im Karoviertel: Mina, ein knappes Jahr alt und äußerst entdeckungsfreudig. Immer wieder schnappt sich Pohlmann die Dame, die mit beachtlicher Geschwindigkeit über den Parkettboden krabbelt, und trägt sie hin und her, während er erzählt. Denn neue Geschichten gibt es genug. Pohlmann lebt nicht nur anders, ist „ganz Daddy“, wie er sagt. Er klingt auch anders.
Für seine Unplugged-Tour diesen Winter hat er mit Produzent Philipp Schwär das Mini-Album „Zurück zu von selbst“ mit fünf Songs aufgenommen. Eingespielt bei Kerzen und Bier, mit ein paar Kumpeln als Zuhörern. Die Auftaktnummer „Geplatzter Knoten“ ist symptomatisch. Pohlmanns Stimme scheint näher an den Hörer heranzurücken, sie ertönt erdiger, direkter. Eingebettet in einen reduzierten und zugleich akzentuiert groovenden Sound aus Gitarre, Cello und Schlagzeug.
Pohlmann hatte mit seinen langen blonden Haaren und dem weiten Lächeln stets ein gewisses Surferboy- und Schanzentyp-Image. Doch da schwingt nun mehr mit. Weniger Pop, mehr Blues. „Auf meiner letzten Platte ‚Nix ohne Grund‘ sind bereits einige Songs, die in diese Richtung gehen“, sagt er. „Roy Batty“ etwa. Oder „Unterwegs“.
Pohlmann ist einer, der mit Leib und Seele Musik macht. Um das neue Material zu schreiben, zog er sich zehn Tage auf einen Hof im Wendland zurück. „Die ersten drei Tage habe ich nix gebacken bekommen. Ich war richtig wütend darüber“, erzählt Pohlmann. Aus Frust, später vor Freude schlug er gegen den immer gleichen alten Holzbalken. Die Idee zu dem Song „Getrennte Scheiben“ löste die Schreibblockade. Eine ruhiges, ja reifes Liebeslied über ein Paar, das über den Kiez zieht. Und darüber, dem anderen etwas mitzugeben für Momente ohneeinander.
Das Gefühl, als sich die künstlerische Inspiration wieder einstellte, verhandelte Pohlmann in der Nummer „Geplatzter Knoten“, die die Platte eröffnet. „Hör auf dich abzuklopfen, / bis von dir nichts mehr übrig ist“, singt er da mit reichlich Soul. „Es schwingt Schmerz mit. Aber grundsätzlich habe ich eine positive Lebenseinstellung. Das kommt von meiner Mutter. Die ist ein sehr lustiger Vogel“, sagt Pohlmann. Beim Songwriting stelle er sich stets vor, wie er die Lieder vor Publikum spielt. „Ich will beim Konzert keine Atmosphäre auf negativen Gefühlen aufbauen“, erklärt der Sänger und Gitarrist. Ein offener Gesprächspartner ist er. Und ganz bei der Sache zwischen Latte Macchiatto und Babyfläschchen. Selbst wenn er Sätze sagt, die sich auf Yogi-Tee-Anhänger drucken ließen, klingt das bei ihm überzeugend, von seiner Persönlichkeit ausgefüllt: „Ich kämpfe für das Licht am Ende des Tunnels. Leben heißt, Probleme zu lösen.“ Diese Philosophie transportiert auch „Steine im Weg“, ein Mutmach-Song mit Handclap-Appeal.
Letztlich ist der reduziertere Weg, den der gebürtige Westfale nun eingeschlagen hat, auch eine Anlehnung an seine Hamburger Anfänge Mitte der Nuller-Jahre. Als Tresenkraft in der BP1-Bar auf dem Schulterblatt lud er montagabends bei „Rocker vom Hocker“ Musiker, die spontan Lust hatten, auf die Bühne. Immer wieder griff er auch selbst zur Gitarre. „Da kommt jetzt ein Schuhladen rein, hat man mir erzählt. Die Schanze verändert sich Richtung langweilig. Wir haben ja selbst damit angefangen“, erklärt er selbstkritisch. Doch bevor das BP1 Ende des Jahres nach 16 Jahren schließen muss, weil der Mietvertrag gekündigt worden ist, hat Pohlmann seinem Lieblingsladen mit dem lässigen Song „Bordsteinbar“ noch ein kleines feines Denkmal gesetzt.
„Die Musik übernehmen lassen.“ So umschreibt Pohlmann den Zustand, wenn die Kunst nicht zu durchgeplant ist, sondern eine Eigendynamik entwickeln darf. „Dann wird’s magic.“ Eine Haltung, die auch Maria Gadú lebe. Die brasilianische Popmusikerin und Pohlmann haben sich auf Einladung der Kofferfirma Rimowa gegenseitig in ihren Heimatländern besucht und gemeinsame Konzerte gegeben. In Hamburg, Berlin und Köln sowie in São Paulo und Rio. „Die Brasilianer in Deutschland waren viel brasilianischer, haben getanzt. In Brasilien selbst waren das Sitzkonzerte, bei denen die Leute eher zugehört haben“, erzählt Pohlmann.
Wie bei dem Hamburger ist der Sound der 28-jährigen Gadú von Gitarre und Gesang geprägt. Ihre Stimme klingt dunkel, rau, eine Spur melancholischer. „Eine starke Frau. Sie ist lesbisch und thematisiert das sehr offen. In Brasilien braucht es dafür Durchsetzungskraft“, erzählt Pohlmann, der in Zukunft gerne weiter mit Gadú zusammenarbeiten möchte. „Sie hat den gleichen Spirit, die Musik sich selbst erfinden zu lassen“, sagt er. „Wir sind beide nicht die Typen, die ihre Songs überproben. Auf der Bühne wird dann ohnehin von selbst alles richtig.“ Ein Grundvertrauen in die Kraft der Musik.
Pohlmann Mi 17.12., 21.00, Fabrik, Barnerstr. 36 (ausverkauft); „Zurück zu von selbst“ wird während der Tour verkauft und ist ab Januar im Handel erhältlich; www.facebook.com/IngoPohlmann