Das neue Album „Nix ohne Grund“ des Hamburger Songschreibers Ingo Pohlmann überrascht mit ungewohnten Klängen, bleibt aber traditionell gefühlig.
Hamburg. Wenn Ingo Pohlmann ein Album veröffentlicht, legt man sich innerlich schon vor dem ersten Song in den Sand, pustet ein paar Körnchen vom Rand der Bierflasche und wirft mit scharrenden Füßen kleine Hügel auf. Mehr gibt es nicht zu tun, denn die Lieder von „Zwischen Heimweh und Fernsucht“ (2006), „Fliegende Fische“ und „König der Straßen“ (2010) sorgen – besonders bei seinen meist ausverkauften Hamburger Konzerten – für die gleichen Reaktionen. Pohlmann schwingt sanft die Matte und singt seine Weltenbummler- und Surfpop-Geschichten, von denen „Wenn jetzt Sommer wär“ nach fast sieben Jahren immer noch die bekannteste ist. Die Mädchen himmeln ihn an, die Jungs langweilen sich oder denken an ein ernstes Wörtchen mit Pohlmann in einer dunklen Ecke.
So stellt man sich beim ersten Durchlauf des vierten Albums „Nix ohne Grund“ auf eine weitere Variation des Altbekannten ein. Gemütliches Akustik-Gitarrenplätschern, das die Kinderwagen-Herden in Winterhude – dort wohnt der gebürtige Westfale – auf der Stampede zum nächsten Café begleitet. Doch kaum ist der erste Song „Köder oder Fang“ gehört, wird klar, dass der in wenigen Tagen 41 Jahre alt werdende Songschreiber doch nicht mehr so leicht auszurechnen ist. Artifizielle Beats und Bässe und Synthesizer-Effekte aus alten Prince-Zeiten klingen nach Remix-Kultur, „Single In The Rain“ macht danach den nächsten Schritt zum melancholischen Konsens-Pop in der Schnittmenge von Ich + Ich, Clueso und Xavier Naidoo. Nanu?
„Ich wollte nicht in einer Richtung stecken bleiben und mich von ‚Wenn jetzt Sommer wär‘ emanzipieren“, gibt Pohlmann unumwunden beim Gespräch in einem Winterhuder Café zu. „Und als großer Phoenix-Fan weiß ich, welche Möglichkeiten Elektronik bieten kann. Wobei ich selber erstaunt war, was bei den Aufnahmen mit mir passierte.“ Die Sessions mit Produzent Ralf Meyer (Clueso) auf einem Bauernhof in den Vogesen und in Malaga reduzierten die Auswahl von 36 neuen Songs auf elf Album-Beiträge.
Mancher war anfangs nur ein Experiment, so wie „Roy Batty“: Zu Beginn hört man nur an Glockenspiele erinnerndes Klingeln, das aus der von Brian Eno entwickelten Kompositions-App „Bloom“ stammt. Das klingt schon sehr nerdig, wie auch Titel und Lyrics, die sich vor Philip K. Dick, dem Schöpfer der Sci-Fi-Geschichten „Blade Runner“, „Total Recall“ oder „Minority Report“ verbeugen. Dabei bleibt „Roy Batty“ trotzdem leicht konsumierbar und könnte mit seinem Hall-Gesang und trockenen Drums auch von Lenny Kravitz stammen. „Ein ungewollter Zufall“, lacht Pohlmann, freut sich aber über das berechtigte Lob für das Lied.
Auch mit der Bezeichnung als Nerd kommt Pohlmann gut aus. Referenzen zu „Star Wars“ etwa treten im gleichnamigen Song, der im Radio bereits rauf und runter läuft, mehr als deutlich auf. „Train yourself to let go“, ein Zitat von Jedi-Meister Yoda, steht lyrisch im Mittelpunkt und wurde bei einem Showcase kürzlich im Knust bereits von den Fans mitgesungen. Und auch Pohlmann muss sich immer wieder darin üben, loszulassen. Und sei es den Controller beim Computerspiel. So einfach es ist, auf den geistigen und körperlichen Zustand einer Tapas-Vorspeise („Daddeln im Speckmantel“) zu sinken, so ist es doch besser, wenn das „Fenster zur Welt“ kein Bildschirm ist.
Mal hinausgehen und „atmen“, „unterwegs“ sein, die wirkliche Welt und ihre Menschen kennenlernen, das ist nicht nur Antrieb für eine sehr poppige Platte, sondern offenbar auch für Ingo Pohlmanns Lebenserfahrung. Wobei er mit seinen Erkenntnissen und Ansichten kaum hausieren geht. Plakative oder kritische Botschaften findet man auf „Nix ohne Grund“ nicht, mit der kleinen Ausnahme von „Von weit weit her“.
Inspiriert wurde der Song durch eine Dokumentation über die unmenschlichen Zustände in afrikanischen Coltan-Minen. Das Erz ist Nerds bekannt als Metall für den „Terminator“, die Allgemeinheit weiß aber kaum, dass es als Bestandteil elektronischer Bauteile wichtige Grundlage unserer modernen Kommunikation ist. „Das ist Kindersklaverei und Ausbeutung der Umwelt, und du kannst dem nicht aus dem Weg gehen, solange es keine Alternativen gibt“, ärgert sich Pohlmann. Allerdings wird das eines seiner wenigen veröffentlichten Lieder mit politischem Ansatz bleiben. Den Grund erklärt er ganz pragmatisch: „Ich habe viele politische Songs zu Hause, aber ich will mich nicht mit Menschen messen, die sich tagtäglich mit diesen Themen auseinandersetzen. In einer Talkrunde würde ich wohl total abkacken, weil ich das viel zu emotional sehe.“
So bleibt das vierte Album bei aller Weiterentwicklung und Spielerei mit ungewohnten Klängen ein Gefühlsalbum in der Tradition der drei Vorgänger. So ganz in neue Welten vorstoßen wollte Ingo Pohlmann dann nicht. „Dich darin üben, du musst loszulassen. Alle Dinge, von denen du fürchtest sie zu verlieren“, diese grammatikalisch wunderbar eigenwillige Mahnung von Meister Yoda beherzigt ja doch keiner. Aber das sorgt nicht nur bei den „Star Wars“-Filmen für nette Unterhaltung, sondern auch auf Pohlmanns bislang vielseitigstem Album.
Pohlmann: „Nix ohne Grund“ Album (Four Music) ab 10.5. im Handel; Konzert: So 29.9., Große Freiheit 36, Karten 25,65 im Vvk.; www.ingopohlmann.de