Julia Fischer verzaubert Acht- und Zehntklässler auf der Geige und auf dem Klavier und steht ihnen Rede und Antwort.
Hamburg. Wie sie da so vor dem Schulgebäude steht, eher klein gewachsen, in schwarzen, engen Jeans, einen schlichten Pullover drüber und die Haare mit einer breiten, weißen Spange zusammengebunden, da könnte Julia Fischer fast noch selbst als eine der Schülerinnen der Sophie-Barat-Schule durchgehen. Na gut, aus dem Abiturjahrgang. Am gestrigen regnerisch-sonnigen Montagmorgen in diesem Aprilnovember steht sie vor der unansehnlichen Fassade des katholischen Gymnasiums an der Alster und wartet auf ihren Auftritt. Ihr Publikum: „Schülerinnen und Schüler der Klassen acht und zehn und einige, die in diesem Schuljahr zum Abitur geführt werden“, wie es Bernd Achilles, der Musiklehrer, ihr und den Gästen von der Presse erläutert.
Julia Fischer macht so was schon seit Jahren immer mal wieder. Abends Konzert, und am nächsten Morgen noch in einer Schule vorbeischauen. Oder auch umgekehrt. „Rhapsody in School“ nennt sich diese Variante des Schulunterrichts mit Klassik-Stars zum Anfassen und Ausfragen. Der Pianist Lars Vogt hat irgendwann mit dem Projekt angefangen, viele seiner Freunde und Kollegen machen inzwischen auch solche Schulhausbesuche.
Einerseits hat Frau Fischer Glück, denn alle Anwesenden spielen selbst ein Instrument. So sagt es jedenfalls Herr Achilles. Als sie zum Warmwerden das Präludium aus Bachs E-Dur-Partita aus ihrer Geige streicht, hören die Schüler mucksmäuschenstill zu. Manche schließen die Augen, anderen bleibt der Mund offen stehen. Die Magie der Bachschen Strenge nimmt sie gefangen, das Exerzitium des Übens scheint ihnen vertraut. „Mit Bach fängt mein Tag an“, sagt die Geigerin hinterher. „Zur Reinigung der Seele, zur Ordnung im Kopf.“ Und dann fragt sie ziemlich forsch in die Runde: „Wer weiß was über Bach?“
Da hat Frau Fischer nicht so viel Glück. Obschon der musische Zweig, ist es mit Breitenwissen über die Musik nicht allzu weit her. „Bach hat seine Kinder gezwungen, Musik zu machen“, behauptet eine Schülerin mit feuerroten Locken. Das will die Virtuosin so nicht stehen lassen. Sie vergleicht das Musikmachen mit dem Lesenlernen und hält das erste für so unverzichtbar wie das zweite. „Ihr könnt nicht durchs Leben gehen, ohne ein Instrument zu spielen“, verfügt sie. Allenfalls dazu hätte Bach seine Kinder angehalten. „Zwang würde ich das nicht nennen.“ Das klingt aus ihrem Mund so selbstverständlich, dass man unwillkürlich denkt: Gut, dass immer mal wieder jemand laut sagt, wie fundamental die Beschäftigung mit einem Musikinstrument für die Menschwerdung ist.
Später kommt Paganini dran, der Teufelsgeiger. Julia Fischer führt vor, was er alles für die Geige an Techniken erfunden hat und was davon sauschwer klingt, aber kinderleicht ist (Pizzicato mit beiden Händen), beziehungsweise hundsgemein zu spielen und undankbar zu hören (Dezimenläufe). Die Schülerinnen und Schüler hängen an ihren Lippen. Und dann, in der Fragerunde, erzählt sie von ihrem ungewöhnlichen Werdegang. Wie sie mit der Suzuki-Methode angefangen hat, ohne Noten, und dadurch ihr Gehör von klein auf trainierte. Dass der Musikunterricht in der Schule sie eher genervt hat: „Was ich hätte lernen können, das wusste ich schon.“ Aber auch, wie entgegenkommend der Kollegstufenbetreuer auf ihrem Gymnasium Klausuren und Karriere der Julia Fischer zu harmonisieren verstand: „Ich hab ihm meinen Konzertkalender vorgelegt, und er hat sich bei den Terminen für die Klausuren danach gerichtet.“
An der Musikhochschule in München ging das nicht mehr. Sie wurde sogar rausgeschmissen, weil sie wegen Konzertverpflichtungen an „vier oder fünf Prüfungen gefehlt“ hatte. Inzwischen ist Julia Fischer wieder dort, als ordentliche Professorin für Violine.
Einer fragt: „Spielen Sie uns auch auf dem Klavier was vor?“ Sie setzt sich für ein Prelude von Liszt an den Flügel. „Ich hab ewig nicht gespielt“, behauptet sie vorsorglich. Man hört es kaum.
Wie viele Stunden am Tag sie übt, will nun die Direktorin wissen. „Zuhause hab ich zwei kleine Kinder, da kommt man nicht zum Üben“, sagt die Künstlerin vergnügt. Das kann man kaum glauben. Am Abend zuvor hat sie ein hinreißend genaues, bei aller Blitzsauberkeit der Technik tief empfundenes Schumann-Konzert gespielt und als Zugabe einen Hindemith-Sonatensatz voll musikalischem Virtuosenglanz, der den Saal mit sehr feinem Licht erhellte.
Man könnte es eigentlich so langsam lernen, wie phänomenal normal sie oft sind, die in ihrem Feld so Außergewöhnlichen. Aber es haut einen doch immer noch um, jedes Mal wieder.