So gefesselt und berührt von einem Theaterstück zu sein, dass man im Zuschauerraum fast weint, das passiert im Stück „Gift“ von Lot Vekemans mit Ulrich Matthes und Dagmar Manzel im St. Pauli Theater.

Hamburg. Man weiß ja, dass es eigentlich reicht, zwei wirklich großartige Schauspieler auf die Bühne zu stellen, um vom Theater so gefesselt und berührt zu sein, dass man im Zuschauerraum fast weint. Man weiß nicht warum, ist es vor Glück, vor Freude, vor Anteilnahme, vor Bewegung, Bewunderung für das Können zweier Menschen, die aus Worten alles an Gefühlen und Lebensmomenten herausholen können, das man wiedererkennt?

Aber es passiert eben nur noch sehr selten, dass Theater sich so vollkommen auf Text und Spiel verlässt, wie man es in „Gift“ vom Deutschen Theater sehen konnte, das aus Anlass des Hamburger Theaterfestivals im St. Pauli Theater gastierte und die Zuschauer mit Fußgetrampel ihre Begeisterung ausdrücken ließ.

Ulrich Matthes und Dagmar Manzel spielen in dem bis in letzte Verästelungen wahren und treffenden Text der Holländerin Lot Vekemans ein Paar, das sich zehn Jahre nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes auf dem Friedhof wiedertrifft. „Erst verloren wir unser Kind, danach uns selbst und dann einander“, so fasst der Mann ihre Vergangenheit zusammen. Beide sind mit ihrer Trauer um das tote Kind unterschiedlich umgegangen.

Die Frau verbeißt sich in ihr Unglück, kann keinen Tag vergessen, was passiert ist. Der Mann, Ulrich Matthes, gibt sich anfangs charmant, souverän. Er will den Schmerz vergessen, ist vor ihm nach Frankreich geflohen, in ein neues Leben, mit einer Frau, die nun schwanger ist. Seine Ex wirft ihm das vor, fühlt sich verlassen und ungeliebt. Entsprechend ruppig verpanzert agiert Dagmar Manzel, wickelt sich in ihre Strickjacke ein, verkrallt sich in ihre verschränkten Arme, reagiert pampig. Erst viel später sagt sie: „So will ich eigentlich gar nicht sein.“

„Gift“ erzählt auch viel über Paare, ihre Unfähigkeit, einander verstehen zu wollen, ehrlich zu sein, seinen Stolz zu vergessen: „Liebst du mich noch?“. „Warum bist du weggegangen?“. „Warum bist du mir nicht hinterhergelaufen?“. „Ich will wieder glücklich sein“.

In Ulrich Matthes tobt es dann doch. Er will der Frau nahe sein, sie weist ihn ab. Er versucht es mit Intelligenz, rechtfertigt sich mit Käse und Rotwein, erinnert sich an die gemeinsame Vergangenheit, an ihr Grübchen beim Lachen. Am Ende umarmen sich beide, bevor sie sich trennen. Es sieht so einfach aus und ist so schwer.