Zwei ausverkaufte Konzerte in der O2 World: Die „Farbenspiel“-Tournee versprüht Bierzelt-Atmosphäre und zeigt Helene Fischer als „fliegende Helene“.

Hamburg. „Das ist mir zu viel Weiß hier. Wo ist denn nun das Farbenspiel?“, moniert Bernd. Der 46 Jahre alte Emsländer ist nicht zufrieden mit Helene Fischers Show in der Arena der O2 World, die an diesem Wochenende zweimal ausverkauft war. Zusammen mit zehn Freunden ist der Betriebsleiter einer Maschinenbaufirma in Papenburg mit dem Bus nach Hamburg gekommen, um den Superstar des deutschen Schlagers zu erleben.

110 Euro hat Bernd sich den Ausflug kosten lassen, nun erwartet er eine spektakuläre und farbenprächtige Show. Sein Freund Dieter, 48, pflichtet ihm bei: „In der zweiten Halbzeit muss noch mehr kommen.“ Denn nach 70 Minuten ist erst mal Pause. Der Vorhang vor der Bühnenkonstruktion ist geschlossen. „Helene Fischer – Farbenspiel“ prangt magentafarben auf dem Stoff. „Farbenspiel“ ist der Titel des sechsten Albums der 30 Jahre alten Sängerin und auch der laufenden Tournee.

Die blonde Entertainerin hat groß auffahren lassen. 14 Musiker sind in zwei Gruppen auf beiden Seiten der Bühne platziert, eine Bläsersektion gehört ebenso dazu wie ein Streichquartett. Zwölf Tänzerinnen und Tänzer, allesamt in den USA gecastet, bevölkern in immer neuen Kostümen die Bühne und den weit in den Zuschauerraum ragenden Laufsteg. Sie tanzen auf Stelzen, sie umkreisen Fischer im Vestalinnen-Look oder als hell gekleidete Fabelwesen.

Fischer nimmt ihr Publikum durch die vier Jahreszeiten

Die Farbe Weiß dominiert die Show vor der Pause, denn Fischer nimmt ihr Publikum mit auf eine Reise durch die vier Jahreszeiten. Mit dem Herbst hat sie begonnen, Weiß steht für den Winter. Im Hintergrund füllt ein mächtiger Baum mit dichtem Geäst die Bühne, auf braun gefärbtes Blattwerk folgen blau schimmernde Eiszapfen.

Fischers Produktion kann sich mit der von US-Popstars wie Pink oder Britney Spears messen. Leinwände transportieren das Bühnengeschehen in die entfernten Regionen im Oberrang, der Sound ist gut ausgesteuert, übertönt wird er vom gleichförmigen dauerpräsenten Klatschen im Viervierteltakt. Das deutsche Publikum klatscht gern im Takt, die schmissigen Aprés-Ski- und Thekenhits der Schlagergigantin sind eine Vorlage für das Publikum aus allen Altersgruppen. Der Enkel schunkelt mit der Oma, 16-jährige Pärchen fassen sich an den Händen und singen die Lieder mit, die von Liebe, Glück, Freiheit und Spaß handeln. Helene Fischers Welt ist eine heile.

Nach der Pause und einem Intro aus „Also sprach Zarasthustra“ zeigt Fischer, dass sie auch Rock kann. Nun trägt sie eine Lederweste mit bunten Zacken, wie man sie manchmal an tiefer gelegten Autos sieht. Sie covert John Farnhams „You’re The Voice“, Bon Jovis „Livin’ On A Prayer“, Van Halens „Jump“ und noch ein paar Kracher, die jeder kennt. Bernd und Dieter sind aufgesprungen und singen begeistert mit, der Abend scheint sich für die beiden doch noch zum Guten zu wenden.

Mit Prince’ „Purple Rain“ nimmt Fischer das Tempo wieder raus, mit Wirtshausrock im Viervierteltakt geht’s weiter. „In zerrissenen Jeans um die Häuser zieh’n“ singt Fischer, die Blätter am Bühnenbaum haben sich grün gefärbt, der Frühling ist eingekehrt. Schweiß läuft der hübschen Sängerin übers Gesicht, sie verschwindet Backstage für den nächsten Kostümwechsel und taucht in einer sich öffnenden Knospe auf der Vorbühne wieder auf.

Es folgt der schönste Moment des Abends

Es folgt der vielleicht schönste Moment des insgesamt dreieinhalbstündigen Abends, als sie Lucio Dallas Ballade „Caruso“ singt. „Dieser Song liegt mir besonders am Herzen“, verrät sie und zeigt eine weitere Facette ihrer musikalischen Vorlieben. Die breitschultrigen Sicherheitsmänner haben inzwischen eine Absperrung vor der Vorbühne weggeräumt und Dutzende von Fans strömen vor die Bühne.

„Das ist ja wie Silberhochzeit“, kommentiert Bernd all die Geschenke, die hochgereicht werden. Blumen, Schals, Stofftiere, selbstgemalte Bilder, selbst Bettwäsche und eine Kuscheldecke werden ihr übergeben und von zwei Assistenten hinter die Bühne befördert. Helene Fischer spricht mit jedem, sie beugt sich hinunter, herzt und küsst kleine Kinder. Nicht nur Bernd und Dieter werden allmählich unruhig, denn die Präsentübergabe dauert ewig.

Im Oberrang stimmen einige Fans den instrumentalen Refrain von „Seven Nation Army“ an und signalisieren ihre Ungeduld, Bernd mault: „Wenn das noch länger dauert, ist der Bus nachher ohne uns weg.“ Doch Helene Fischer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Die Luft ist erst mal raus aus der Show, doch die Schlagerkönigin holt den nächsten Gassenhauer raus und weiter geht’s im Viervierteltakt.

Fischer kommt in glitzernden Hotpants

Mit einem Solo aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ läutet die Sologeigerin Michaela Danner den Sommer ein, Fischer kommt in glitzernden Hotpants auf die Bühne, singt vorn „Ich will immer wieder dieses Feuer spüren“ und „Te Quiero“, Bernd und Dieter klatschen begeistert mit. Auf der Bühne steht inzwischen ein Flugobjekt, das an die Drachen aus der Serie „Game of Thrones“ erinnert. Fischer besteigt den Fantasievogel, lässt sich im Damensattel unter die Hallendecke ziehen und singt dazu Celine Dions „Titanic“-Song „My Heart Will Go On“. Tausende von Handykameras blitzen auf, um die fliegende Helene im Bild festzuhalten.

Fünf Songs später endet der Abend mit der Ballade „So kann das Leben sein“, Höhepunkt wird jedoch der Megahit „Atemlos durch die Nacht“. Die 12.000 singen nicht nur den Refrain, sondern den ganzen Text. Jetzt ist Stimmung wie im Bierzelt. Auch Bernd und Dieter gehen voll aus sich raus. Doch hundertprozentig zufrieden sind die beiden nicht, bevor sie die dreistündige Busrückfahrt nach Papenburg antreten. „Sie hat zwar Aura, aber mir fehlt bei der Show etwas. Die Wärme“, sagt Dieter. Für die Stadionauftritte im kommenden Sommer hat er sich nicht um Karten bemüht. Doch Fischers Triumphzug wird sich fortsetzen. Das Konzert am 5. Juni in der Imtech-Arena ist bereits ausverkauft, Tickets gibt es noch für das Zusatzkonzert einen Tag zuvor.