Teil 5: Portugal. Am Hafen liegt das Portugiesenviertel, in Hamburg schlägt das Herz der Portugaldeutschen: Nirgendwo in Deutschland leben so viele von ihnen.
Hamburg Da ist kein Akzent, nicht der kleinste. Kein Abschleifen der Wortenden, keine andere Sprachmelodie. Als Bruno Martins, 33, anhebt, über seine Herkunft zu sprechen und dabei erwähnt, dass seine Eltern nie in Hamburg gelebt haben, scheint das auf eine Kindheit bei Verwandten hinzuweisen. Vielleicht wuchs er fern der Heimat auf, bei einem Onkel in Hamburg? Muss ja so sein, so perfekt, wie Martins Deutsch ist.
Ist aber nicht so. Martins kam mit 19 nach Hamburg, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Da darf man dann auch mal beeindruckt sein, obwohl Martins Komplimente für sein Sprachtalent freundlich weglacht. Er wollte, als er nach Deutschland zog, auf keinen Fall in einem portugiesischen Unternehmen arbeiten oder ausschließlich mit Portugiesen zusammen, „ich wollte schnell hier ankommen, auch in der Sprache“.
Es gibt, das muss man in Hamburg nicht extra erwähnen, eine spezielle Verbindung dieser Stadt zu Portugal. Von der wusste Pedro Lopes, 32, allerdings so ziemlich gar nichts, als er vor zwei Jahren an die Elbe zog. Er wählte aus romantischen Gründen Hamburg als neue Heimat. Ausgerechnet mit seiner Freundin spricht er allerdings Englisch, sonst meistens Deutsch und das schon erstaunlich gut: Wieder so ein polyglotter junger Mann, der ehrgeizig seinen Weg in der Fremde machen will und dem Portugal dabei erst einmal gar nicht so wichtig ist. Eine Portugal-Flagge hat er jedenfalls nicht in seinem Café in Winterhude hängen, „ich mag grundsätzlich keine Flaggen“, sagt Lopes – aber dazu kommen wir später.
Als Hafenstadt ist Hamburg seit Jahrhunderten Zielpunkt vieler Routen – und die aus Portugal brachte bereits im 16. Jahrhundert nicht nur Waren, sondern auch Menschen nach Hamburg. Menschen, die blieben: Kaufleute zum Beispiel. In den Sechzigern dann schwappte die richtig große Welle in den Hamburger Hafen, als die prosperierende Bundesrepublik Arbeitskräfte suchte. Tausende Jobmigranten dockten damals in unserer Stadt an, und sie verpassten ihr in den folgenden Jahren eine mediterrane Note.
Eine deutlich mediterrane Note, wie man immer wieder dann sehen kann, wenn im Fußball Deutschland gegen Portugal spielt. Das ist sehr häufig der Fall und für Deutsche immer eine rundum gelungene Angelegenheit, weil sie in der Regel mehr Tore ihrer Elf bewundern können als Portugiesen. Die sind aber namentlich im Portugiesenviertel in der Mehrzahl und bereits geübt darin, vor Hafenkulisse nur minimal in die berühmte portugiesische Melancholie zu versinken und den Frust mit Bier aus Sagres-Flaschen runterzuspülen.
Vielleicht würde nur in dem Moment der ein oder andere von ihnen am liebsten Hamburgo den Rücken kehren, auf Höhe des Viertels, das sie in der jüngeren Vergangenheit so überaus freundlich übernommen haben, liegt ja die Rickmer Rickmers vor Anker. Die wurde in Bremerhaven gebaut und ist trotzdem ein Stück portugiesischer Geschichte. Im Ersten Weltkrieg wurde sie vor den Azoren von den Portugiesen konfisziert, diente unter dem Namen „Sagres“ lange als Segelschulschiff. „Die Geschichte kennen wir Portugiesen natürlich“, sagt Bruno Martins, „man kann schon sagen, dass Portugal und Hamburg eine besondere Beziehung zueinander haben“.
Baile, das ist so etwas wie eine Party, heißt übersetzt aber Tanzball
Die Portugiesen seien jetzt schon in der zweiten Generation, mindestens, in Hamburg, „das hat mir vielleicht auch dabei geholfen, mich hier zu integrieren, auch wenn die ersten Monate hart waren“. Martins arbeitet als Versicherungsfachmann, er sagt „integrieren“; ein Wort, das der Sprache von Politikern und Behörden entstammt und eigentlich „heimisch werden“ meint. Heimisch geworden ist er, er kickt bei Benfica Hamburg, spricht mit den wie er von der iberischen Halbinsel stammenden Mitspielern eine Art Portodeutsch. Im Vereinsheim in Wilhelmsburg organisiert Martins alle paar Wochen eine Feiern, „wir nennen das ‚baile’“, sagt er.
Baile, das ist so etwas wie eine Party, heißt übersetzt aber streng genommen „Tanzball“, was wegen der omamäßigen Anmutung des Wortes so altmodisch und traditionsbewusst klingt wie die portugiesischen Hamburger oft sind. Wenn im Völkerkundemuseum ein Fado-Konzert ist, dann gehen die Hamburger Deutschportugiesen da hin – genauso wie alle die Portugal-Begeisterten in Hamburg, viele von ihnen sind Mitglied der Portugiesisch-Hanseatischen Gesellschaft, die vom Interesse an Sprache und Land angetrieben wird, eine rührige Kulturvermittlerin in der Hansestadt und außerdem ein Anlaufpunkt portugiesischer Auswanderer und ihrer Nachfahren.
Bruno Martins, der Freizeitkicker und Party-Impresario, ist übrigens, wie er sagt, stolzer Hamburger und Portugiese; einer, der derzeit nicht an eine Rückkehr in sein Geburtsland denkt, aber Wert auf die spezielle Portugalliebe der Hamburger legt, „die fällt schon ins Auge, wenn man hierher kommt“.
Im Juni wurde der 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit Portugal groß gefeiert
Die Begeisterung der Norddeutschen für Portugal macht die Community stolz, und 2014 ist ein Jahr des Zurückblickens: Im Juni wurde der 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit Portugal groß gefeiert. Senatsempfang, Kongress, Portugalfest im Portugiesenviertel und ein Bürgermeister, der sagte, wie glücklich man schätzen könne, „dass es so viel Portugal in Hamburg“ gäbe – ganz offiziell versicherte sich Hamburg einmal mehr seiner multikulturellen Offenheit. Sie ist es ja, die eine Stadt letztlich lebenswert macht, aber sie hat meist nichts damit zu tun, warum jemand von einem Ort an den anderen zieht. Pedro Lopes hat es der Liebe wegen an die Elbe verschlagen.
Die Liebe zu einer Frau, nicht die zur Literatur, obgleich die es ist, die seinem Café „Kaféka“ im Winterhuder Weg zu seinem Namen verholfen hat. Mit Kafka verbindet Lopes so viel, dass er eine Wand seines herrlich improvisierten Kulturcafés mit den ersten Sätzen aus „Die Verwandlung“ verzierte. Sofas und Sitzecken passen auf die denkbar charmanteste Weise nicht zusammen, auf Tischchen und in Regalen stehen neben portugiesischer Marmelade, neben Sardinenbüchsen und Schriftstellerporträts Bücher. Die Panini heißen „Calvino“ (Tomate, Mozzarella, Basilikum) oder Beckett (getrocknete Tomaten, Rucola, Schafskäse).
Man kommt aus Hamburg schneller in andere Teile Europas als aus Portugal
Das Café ist ein Ort für Ausstellungen, Lesungen, Konzerte. Direkt gegenüber liegt das Fruchthaus Bescherer, schon seit 1927. Lopes ist neu in der Stadt, seit knapp zwei Jahren erst. Verglichen mit der Tradition alteingesessener Geschäfte gibt es das Kaféka quasi erst seit gestern, aber der Laden läuft – auch wenn ihn Lopes, der hauptberuflich als Schulbegleiter arbeitet, derzeit meist nur am Wochenende aufmacht.
Wenn Bruno Martins ein Repräsentant des vollkommen in Hamburg angekommenen, aber von Zeit zu Zeit in der hamburgo-iberischen Nebenkultur abtauchenden Zugezogenen ist, dann steht Lopes idealtypisch für den global denkenden, mobilen Wanderer zwischen den Welten. So in etwa jedenfalls. Zuletzt hat er in Lissabon gelebt, er kennt England, spricht auch perfekt französisch und spanisch.
Man kommt aus Hamburg schneller in andere Teile Europas als aus Portugal – Lopes nutzt das weidlich aus. Es ist ein freundliches, fast entschuldigendes Lächeln, mit dem er seine Aussagen zum sanften Portugaldrall des Planeten Hamburg garniert – er hat mit den eingesessenen Landsleuten, die in der Fremde portugiesische Traditionen pflegen, nicht so viel zu tun. Seine portugiesischen Freunde sind gleichaltrige Auswanderer, meist Akademiker, die mit den Arbeitern und deren Kindern, die als Hafenarbeiter oder Gastronomen kamen weniger gemein haben, als man denken könnte.
Als Lopes zum ersten Mal in Hamburg war, war er überrascht über das portugiesische Erbe der Stadt, „an den Landungsbrücken, die ganzen Restaurants“. In Portugal wisse jeder „von den Portugiesen in Paris, von denen in Hamburg nicht unbedingt“.
Lopes mag norddeutsches Bier und Fischbrötchen
Keine Flagge, kein portugiesisches Pils? Als ihn ein deutschportugiesischer Besucher seines Cafés deswegen irritiert war, konnte er nur verständnislos den Kopf schütteln. Lopes mag norddeutsches Bier und Fischbrötchen.
Portugal in Hamburg, das ist auch eine Projektionsfläche nordischer Sehnsüchte nach Sonne und Licht. Ein Ausflug ins Portugiesenviertel ist wie ein Trip in den Süden. Ein Ausflug in Lopes’ Café, das auf seine Art das beste unbekannte Café in Hamburg ist, ist dagegen eine Reise zur Kunst. Lopes, der selbst als Erzähler auftritt und die Oral History aus Portugal weiterträgt, hat einen portugiesischen Gedicht-Marathon veranstaltet, er plant die Edition eines deutsch-portugiesischen Buches, das in Hamburg lebende Dichter versammelt. „Es wird eine Lesung geben, auf der eingewanderte Autoren das vorstellen, was sie über ihre neue Stadt geschrieben haben“, erzählt er.
Portugal, sagt Lopes dann noch, mag er übrigens sehr gerne. Nur sei es halt manchmal so, dass das Bild, das die Hamburger von Portugal hätten, ein wenig klischeehaft sei, „es gibt bei uns nicht nur Fado, sondern auch moderne Rockbands, die viele Einflüsse mischen – die sind das neue Gesicht Portugals“.
In der Abendblatt-Vitrine im Völkerkundemuseum
Gigantones und Cabeçudos (Giganten und Dickköpfe) sind Tragemasken, die auf Umzügen bei traditionellen Volksfesten auftreten. In den 1890er-Jahren kam diese Tradition aus Spanien, aus der Region Galicien, nach Portugal, wo sie bis heute sehr beliebt ist. Typisch sind die grotesken, überzeichneten Gesichtszüge.