Teil 2: Ecuador. Menschen aus den verschiedensten Kulturen leben schon lange in Hamburg. In der Serie „Weltreise durch Hamburg“ stellt das Abendblatt einige der Kulturen und ihre Menschen vor.

Hamburg. Ecuador, nach dem Äquator benannt, der durch das Land verläuft, ist mit 15 Millionen Einwohnern das flächenmäßig zweitkleinste spanischsprachige Land Südamerikas. Aber die Vielfalt unglaublich schöner Landschaften, die große Artenvielfalt existiert hier wie in kaum einem anderen Land der Welt. Ecuador hat vier geografische, klimatische und kulturelle Regionen: Urwald, Hochland, Küste und Galapagos-Archipel.

„Ecuador ist vielfältig“, sagt Rosalía Jácome, die seit 15 Jahren in Deutschland lebt. „Bei uns macht man viel Musik. An der Küste beispielsweise mit der Marímba, in den Anden werden Gedichte in Musik verwandelt.“ Doch Musik hat in Ecuador fast immer eine melancholische Note, „das ist auf unser indianisches Blut zurückzuführen“. Auf „amor“ (Liebe) reimt sich fast immer „dolor“ (Schmerz). In jedem Fall ist sie gefühlvoll. Andererseits machen Ecuadorianer Witze, wo immer sie können. Das gehört im täglichen Umgang dazu. „Auch bildende Kunst ist bei uns wichtig. All das wollen wir hier gerne weitermachen. Das Lateinamerika-Herbst-Festival im Museum für Völkerkunde ist dafür genau richtig.“ Maria Alejandra Díaz-Huertas hat es koordiniert. Auch das Konsulat von Ecuador macht einige Veranstaltungen. „Wenn man aus Ecuador neu in Hamburg ist, sollte man sich erst mal dort informieren. Die kümmern sich sehr gut.“

Um die Jahrtausendwende und mit der Turbo-Inflation, die zum Ende der Landeswährung Sucre führte (seit 2002 ist der US-Dollar Landeswährung), wanderten verstärkt Ecuadorianer ins Ausland, vor allem nach Spanien, in die USA, aber auch nach Italien, Venezuela und andere Länder Europas. Etwa ein Fünftel der Ecuadorianer lebt im Ausland, mehr als halb so viel, wie die arbeitende Bevölkerung in Ecuador zählt. Die Krise in Spanien, aber auch verbesserte Arbeitsbedingungen in Ecuador führten in jüngster Vergangenheit vielfach zur Rückkehr. Besonders viele Auswanderer kommen aus der Region um Cuenca, der Großteil aus dem Hochland. Ecuadorianer gelten bei ihren Nachbarländern gerne als fleißig. In Hamburg leben offiziell etwas mehr als 1000 Ecuadorianer, da viele aber illegal hier sind, ist die Zahl wahrscheinlich viermal so hoch.

Gemeinsam mit Landsleuten arbeitet Rosalía Jácome viel in einem gemeinnützigen Verein

„Fast alle Ecuadorianer, die ich kenne, sind hier auch gemeldet“, sagt Rosalía Jácome. Und sie weiß, dass „wenn man zehn, zwölf Jahre im Ausland lebt, ein Punkt kommt, an dem man sich überlegt, ob man zurück in sein Heimatland geht. Ich kenne viele Ecuadorianer, die schon lange in Deutschland leben und jetzt zurückgehen, weil dort die Wirtschaft inzwischen ganz gut funktioniert und die Bildung sich auch verbessert hat.“ Die fröhliche, offene Frau stammt aus Latacunga, einer 60.000-Einwohner-Stadt im Kolonialstil, knapp 100 Kilometer südlich von Quito im Andenhochland. Der Cotopaxi, der mit 5890 Metern höchste Vulkan der Welt, dominiert die Gegend, die hauptsächlich von der Landwirtschaft lebt.

Gemeinsam mit Landsleuten arbeitet Rosalía Jácome viel in dem gemeinnützigen Verein Mitad del mundo (www.mitad.de), der zur Förderung und Integration der interkulturellen Beziehung zwischen deutscher und lateinamerikanischer Bevölkerung in Hamburg gegründet worden ist. Der Name des Vereins erinnert an den Ort in Ecuador, der als „Mitte der Welt“ gilt, weil eine französische Expedition 1736 hier zum ersten Mal die genaue Position des Äquators bestimmte. Sie liegt 23 Kilometer nördlich der Hauptstadt Quito und fehlt in kaum einem Touristenprogramm. Der Verein ist sozial engagiert und jährlich bei verschiedenen multikulturellen Veranstaltungen in Hamburg präsent, etwa wenn die ecuadorianische Künstlerin Martha Koopmann ihre Bilder ausstellt, bei der Schülernachhilfe, bei kulinarischen Events, bei literarischen Tutorien oder indem er Tanz- und Theaterstücke aufführt. „Im Verein habe ich auch viele Künstler kennengelernt“, erzählt Rosalía Jácome. „Martha Koopmann malt mit einer Paste aus Bananenschalen und macht sogar Kunstobjekte daraus. Sie hat auf der Altonale ausgestellt, im Institut Cervantes.“ Einer ihrer Landsleute ist der Schriftsteller und Koch Andrès. „Er erzählt seine Geschichten auf Deutsch und Spanisch, serviert dazu ein Menü in der ‚Hofküche‘ in der Schanze. Das ist immer sehr lustig.“

Auch Rosalía Jácome schreibt seit ihrer Kindheit, sagt sie. „Ich habe jetzt mein erstes Buch fertig. Auf Spanisch. Meine Mutter war eine große Erzählerin, ich habe ihre Geschichten aufgeschrieben. Bei uns geht es viel um Teufel und Gott. Meine erste Geschichte handelt von einem Kobold aus den Anden. “ Und genauso, wie sie diese fantastischen Geschichten vermisst, fehlt ihr gelegentlich ihr Lieblingsrezept: Chugchucaras. „Das ist Schweinekruste mit Mais und Kochbananen.“

Rosalía Jácome ist inzwischen auch ein bisschen deutsch

Auch die Bevölkerung ist vielfältig zusammengesetzt: Je 30 Prozent sind Mestizen und Indianer, 20 Prozent sind Weiße, 15 Prozent Mulatten, fünf Prozent Schwarze. 95 Prozent der Einwohner leben an der Küste oder im Hochland, auch wenn der Urwald die meiste Fläche einnimmt. Die große Konkurrenz und die kulturellen Unterschiede zwischen dem Hochland mit der 2850 Meter hoch gelegenen Hauptstadt Quito und der Küste mit der größten Stadt des Landes, Guayaquíl, prägen das Land: politisch, musikalisch, gesellschaftlich. Guayaquíl ist schicker, größer, kosmopolitischer als Quito mit seiner kolonialen Altstadt.

Gemeinsamkeiten gibt es trotzdem genug: Überall im Land isst man Ceviche (siehe Rezept) und andere Fischgerichte, auch der Fußballverein Barcelona SC in Guayaquíl ist allgegenwärtig. Und: Ecuadorianer lieben Musik. An der Küste dominieren Salsa, Bachata und Reggaeton die Szene. Im Hochland hört man Cumbia, lebt insgesamt bescheidener. Die Rückbesinnung auf die indianischen Wurzeln ist in Trachten, Musik und Sprache omnipräsent. So unterscheiden sich auch die Dialekte zwischen dem schnellen Küstenslang und dem langsamen, etwas dröge wirkenden Hochlandspanisch mit indianischem Quechua-Einfluss (diese Sprache haben die Inkas eingeführt).

Highlights des Landes sind die Galapagosinseln, die Altstadt von Quito (erstes Unesco-Weltkulturerbe überhaupt 1978) und die Straße der Vulkane mit dem Cotopaxi. Soziale Probleme sind im drittärmsten Land Südamerikas (nach Bolivien und Peru) unübersehbar. Die staatlichen Schulen sind schlecht. Seit Präsident Rafael Correa im Amt ist (2007), hat sich das aber gebessert. Auch die Eliteuniversitäten setzen sich ausschließlich aus der weißen und mestizischen Ober- und oberen Mittelschicht zusammen. Nur mit Abschlüssen dieser Unis und den geerbten Lebensmittel- und Agrar-Betrieben ist gutes Geld zu verdienen. Viele Menschen verdingen sich als ambulante Händler und verkaufen Essen, Früchte, Kunsthandwerk; das ist überall im Land zu beobachten. Die Unterbeschäftigung liegt regional teilweise weit über 50 Prozent. Oftmals müssen auch Kinder mitarbeiten. Besonders schwarze und indigene Familien haben auch heute durchschnittlich vier Kinder, selbst 10 und mehr Kinder sind keine Seltenheit. Diese beiden Gruppen stellen an der Küste (Schwarze) und im Hochland (Indigene) Großteile der Armen.

Rosalía Jácome ist inzwischen auch ein bisschen deutsch, wie sie meint. „Mich nervt in Ecuador die ewige Unzuverlässigkeit. Ich bin gut organisiert, alles muss klappen und schnell gehen. Wenn ich in Ecuador bin, geht dort alles langsam. Man muss Leute kennen, damit etwas klappt. Wenn ich mich darüber beklage, halten mich alle für eine Deutsche. In Ecuador neckt man sich eben gern.“ In Deutschland schätzt sie die vielen Chancen, die man hier hat. „Am liebsten würden wohl die meisten von uns halb hier, halb dort leben.“