Ob die Kündigung Matthias Hartmanns gerechtfertigt war, wird derzeit vor Gericht prozessiert. Der ehemalige Intendant des Wiener Burgtheaters erklärt aus seiner Sicht, weshalb er entlassen wurde.

Hamburg. In Hamburg ist Matthias Hartmann noch in guter Erinnerung als Regisseur der Ära Frank Baumbauer am Schauspielhaus und seitdem mit zahlreichen Gastspielen. Auch beim diesjährigen Hamburger Theaterfestival war er zu Gast. Seit 2009 war Hartmann Intendant des Wiener Burgtheaters, bis ihn am 11. März dieses Jahres der österreichische Kulturminister Josef Ostermayer seines Amtes enthob. Hartmann wurde vorgeworfen, er sei Mitwisser im undurchsichtigen Buchungsgeschehen des Theaters.

Ob die fristlose Kündigung des Intendanten rechtens war, darüber wird derzeit vor dem Wiener Arbeits- und Sozialgericht ein Prozess geführt, denn Hartmann klagt gegen seine Entlassung. Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt erklärt er aus seiner Sicht die Gründe für seinen Rausschmiss.

Hamburger Abendblatt: Was genau wird Ihnen vorgeworfen?
Matthias Hartmann: Das habe ich monatelang nicht gewusst. Kulturminister Ostermayer hat mir bei meiner Entlassung erklärt, ich hätte meine Pflichten als Geschäftsführer bei der Kontrolle meiner Co-Geschäftsführerin Silvia Stantejsky verletzt.

Zu dem Zeitpunkt war die Geschäftsführerin bereits entlassen...
Hartmann: Man hatte herausgefunden, dass sie sich Geld aufs eigene Konto überwiesen hatte. Daraufhin habe ich sie entlassen müssen. Andererseits war sie eine liebenswerte Person, die von allen im Theater sehr geschätzt wurde und von der ich den Eindruck hatte, dass durch ihre Venen das gleiche Theaterblut fließt wie durch meine. Sie war ja schon 33 Jahre an der Burg. Ich bin 2009 Direktor geworden, sie ein Jahr zuvor Geschäftsführerin.

Ihnen wurde doch, als Sie Intendant wurden, sicher eine Bilanz vorgelegt. Darin sollen Schulden gestanden haben.
Hartmann: Ja. Mir wurde aber zugesichert, wenn ich komme, ist das Haus schuldenfrei. Darauf habe ich mich verlassen.

Die Schulden waren gegen Bühnendekorationen gegengerechnet worden. Peter F. Raddatz, kaufmännischer Geschäftsführer am Hamburger Schauspielhaus, sagt, es gäbe kein Theater in Deutschland, wo so etwas üblich sei.
Hartmann: Ich kenne so etwas auch nicht und habe es in der dortigen Bilanz nicht gesehen. Man hat mir nichts dergleichen gesagt. Im Gegenteil, ausgewiesene Profis, Wirtschaftsprüfer, interne Revision der Holding und der Aufsichtsrat waren mit dieser Bilanz zufrieden. Sie war testiert und geprüft. Warum hätte ich daran zweifeln sollen?

Als Sie Intendant wurden, bestanden beim Burgtheater Verbindlichkeiten in zweistelliger Millionenhöhe, Schulden bei Lieferanten oder Kunden. Wie konnten Sie da davon ausgehen, es gäbe keine?
Hartmann: Wir hatten ja eine sogenannte schwarze Null!

Gab es danach keine monatlichen Bilanzen, aus denen Sie Schulden hätten erkennen können?
Hartmann: Nein. Ich habe nach einem Jahr angefangen, unruhig zu werden, weil ich nie wusste, wie das da läuft. Anderes Land, andere Sitten. Mir fehlte die Kostentransparenz. Ich erkannte zum Beispiel nicht, warum ein Bühnenbild so teuer ist. Am Ende der ersten Spielzeit stand da aber ein ausgeglichenes Budget. Man muss als künstlerischer Geschäftsführer seinen Kaufleuten im Theater vertrauen, dass sie die Vermögensverhältnisse realistisch darstellen. Ich habe nie Miese gemacht, alle Tarifsteigerungen aufgefangen, jedes Jahr zwischen zwei bis drei Millionen Euro. Wir hatten oft über 90 Prozent Platzausnutzung und rund sieben Millionen Euro Einnahmen. Wir haben das Haus zum Funkeln gebracht. Am Ende meiner zweiten Spielzeit bat ich Peter Raddatz um Hilfe, weil wir die Einnahmen um 30 Prozent gesteigert und erhebliche Einsparungen geleistet hatten und ich mir nicht erklären konnte, warum trotzdem nicht mehr Geld in der Kasse war.

Was war da los? Es entstand ja ein Liquiditätsproblem am Theater, das den Spielbetrieb gefährdete.
Hartmann: Wir haben es auch nicht verstanden. Die Probleme mit der Liquidität hat es schon vor meiner Zeit gegeben. Stantejsky hat dann versichert, wir würden jetzt etwas ansparen. Sie würde in den nächsten zehn Jahren jeweils 750.000 Euro einsparen, und sie hat mir erklärt, das sei auch möglich. Zum 31. August, dem Bilanzstichtag, waren auf wundersame Weise immer 750.000 Euro weniger Schulden auf dem Bankkonto. Sie hat vor dem Bilanzstichtag Einzahlungen getätigt und direkt danach wieder abgebucht und umverteilt. Sie hat aus den Geldern der Mitarbeiter andere Tätigkeiten finanziert. Ich hatte ja selbst ein Guthaben bei der Burg, das mir noch aus den Jahren 2006 bis 2009 zustand. Ich fand es bequem, dass mein Geld mitten in der Bankenkrise dort scheinbar sicher lag. Mir wurde später daraus der Vorwurf gemacht, ich sei Teil des Verschleierungssystems gewesen, Mitwisser. Aber ich würde doch nie mein Geld in der Burg lassen, wenn damit dubiose Geschäfte unternommen werden. Sie hat auch Sponsoren oder Gastspielpartner um so frühzeitige Überweisungen gebeten, dass das Geld rechtzeitig zum Stichtag da war. Bühnenbilder, die längst vernichtet waren, wurden als vorhandene Werte geführt. Auch die Arbeit meiner Referentin wurde als Wert bilanziert. Wie bei Schrottpapieren wurde aus Nichts etwas Wertvolles.

Das ist doch Bilanzbetrug.
Hartmann: Das wussten wir aber erst viel später. Ich vermute, dass sie das nicht von sich aus gemacht hat, sondern aus vorauseilendem Gehorsam. Ich habe meine Bedenken dann Georg Springer erzählt. Er war seit 1999 Vorsitzender der Holding, die das Theater beaufsichtigen und dafür sorgen soll, dass wir wirtschaften können. Seine Antwort auf dieses verwirrende Finanzgebaren war nur: Beim nächsten Mal darf sich die Stantejsky nicht mehr als Geschäftsführerin bewerben. Heute denke ich, dass sie ganz im Sinne aller handeln wollte. Sie hat es Springer recht gemacht, Springer hat es der Politik recht gemacht, und der öffentliche Zuschuss für die Burg schmolz unbemerkt real um fast die Hälfte zusammen.

Was ist dann passiert?
Hartmann: Nichts, jeder wusste, dass es eine Revolution geben würde, wenn man die Stantejsky entlässt. Und genau das ist dann auch eingetreten. Teile des Ensembles hatten Angst um ihre Zukunft, andere wollten ihre Freundin, die liebe Stantejsky, wiederhaben. Der Minister wollte sich als Macher gerieren und sah, frisch im Amt, hier angesichts der öffentlichen Diskussion und der vermeintlichen Niederschlagung des Skandals seine Chance.

Sie sind also rausgeflogen, weil Sie das aufgedeckt haben?
Hartmann: Das kann schon sein. Das Ensemble hat sich gegen mich solidarisiert. Ich hatte Sylvia Stantejsky gekündigt, die alle so geliebt haben, weil sie manch einem die Zahnarztrechnung oder das Kindermädchen bezahlt hat. Die Presse hat sich auf mich gestürzt. Ich habe jetzt erst erfahren, dass man mir Rechnungen und falsche Belege untergeschoben hat, um mich schuldig dastehen zu lassen. Der Beleg, auf dem steht, ich hätte 233.000 Euro aus dem Burgtheater in bar abgebucht, ist weder von mir unterschrieben, noch trägt er meine korrekte Adresse, noch habe ich es je bekommen, wie viele andere Mitarbeiter des Burgtheaters auch.

Könnten Sie zurück auf Ihren Direktorposten?
Hartmann: Nein. Erstens geht es nicht, und zweitens hätte ich nicht genug Baumaterial für all die Brücken, die ich da zur Gesichtswahrung aller bauen müsste. Ich möchte aber, dass die Wahrheit herauskommt, ohne dabei zum Kohlhaas zu werden. Ungerechtigkeit ist der größte seelische Schmerz.