Die Hamburgerin Angela Plöger wurde auf der Frankfurter Buchmesse für ihre Übersetzungsarbeit ausgezeichnet. Für manche Wörter musste die ehemalige Dolmetscherin im Deutschen neue Begriffe erfinden.
Hamburg. „Die Wortbildung hat im Finnischen unbegrenzte Möglichkeiten!“, schwärmt Angela Plöger. „Man kann an ein Wort zehn verschiedene Endungen anhängen, um die Bedeutung damit zu differenzieren und zu verändern. Außerdem klingt es wunderschön. Das Verhältnis von Vokalen und Konsonanten ist im Finnischen so günstig wie in keiner anderen europäischen Sprache.“
Aus diesen Worten spricht unüberhörbar eine große Leidenschaft. Keine Frage, Angela Plöger liebt die finnische Sprache. Deshalb widmet sie ihr auch das ganze Berufsleben. Die promovierte Finnougristin, die Ende der 60er-Jahre, noch zu DDR-Zeiten, an der Berliner Humboldt-Universität studiert hat, ist die wohl bedeutendste Dolmetscherin vom Finnischen ins Deutsche. Sie hat knapp 50 Bücher und Bühnenwerke übersetzt, darunter Romane von Leena Lander und Sofi Oksanen oder Dramen von Aki Kaurismäki.
Für ihre Verdienste um die finnische Literatur wurde Angela Plöger am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Staatlichen Finnischen Übersetzerpreis ausgezeichnet. Eine große Ehre für die zierliche Frau mit den kurzen, blonden Haaren, die seit 1979 in Hamburg lebt. Und ein verdienter Lohn für harte Arbeit. Wortschatz und Grammatik sind nämlich im Finnischen vollkommen anders als in germanischen und romanischen Sprachen. Deshalb ist ihr Job oft eine mühsame Frickelei, die besonders viel Geduld und einen riesigen Wortschatz erfordert.
Für manche Vokabeln gibt es nicht einmal deutsche Begriffe. Etwa für das Wort „Jälkivisaus“, wie Plöger erklärt: „Dafür hatte ich lange überhaupt keine Entsprechung im Kopf, bis ich in der NDR-Sendung ,Am Morgen vorgelesen‘ bei Fontane die Formulierung ‚Die Weisheit post festum‘ hörte. Das trifft es inhaltlich. Bei uns würde man eigentlich sagen: ‚Hinterher ist man immer schlauer‘. Aber jetzt machen Sie daraus mal ein Substantiv! Dafür haben die Finnen das Wort Hinterherweisheit oder Hinterherschlauheit“.
Je weiter eine Originalsprache vom Deutschen entfernt ist, desto mehr hängen Charakter und Erfolg eines Buches von der Kreativität und vom Sprachgefühl der Übersetzer ab. Bei der anspruchsvollen Aufgabe profitiert Angela Plöger, die auch im Gespräch eloquent und präzise formuliert, von ihrer langjährigen Erfahrung. „Mit der Zeit habe ich immer mehr begriffen, dass es nicht darauf ankommt, die Struktur der Originalsprache möglichst treu nachzuahmen, sondern vor allem darauf, gute deutsche Sätze zu bilden.“
Das ist ganz große Sprachkunst
Wie beeindruckend ihr das gelingt, zeigt etwa Sofi Oksanens Meisterwerk „Das Fegefeuer“ über die Begegnung zweier Frauen im Kontext der estnischen Geschichte. Plöger findet dort eine ungemein dichte Sprache, die auch im Deutschen eine eindringliche Kraft und Klarheit entfaltet.
Oksanen, mit der sie in regelmäßigem Kontakt steht, gehört zu den Autorinnen, die Angela Plöger am meisten bewundert, ebenso wie Katja Kettu, die Neuentdeckung des Jahres 2014. „Ihr Roman ,Wildauge‘ schildert das, was der Krieg mit Menschen macht, in einer unglaublich facettenreichen Sprache. Von kantigen, groben und farcenhaften Momenten bis zu schönsten lyrischen Passagen ist alles dabei. Das ist ganz große Sprachkunst.“
Mit einer Bandbreite von den ernsten, historisch inspirierten Romanen von Sofi Oksanen, Katja Kettu oder Leena Lander über die skurril-schwarzhumorigen Geschichten des Kultautors Arto Paasilinna bis hin zu den hinreißenden Kinderbüchern von Timo Parvela deckt die finnische Gegenwartsliteratur ein großes Spektrum ganz unterschiedlicher Stimmen und Stile ab. Deshalb, so Plöger, sei es kaum möglich, so etwas wie einen „finnischen Ton“ auszumachen. „Trotzdem ist mir eine Gemeinsamkeit aufgefallen: Wie tragisch und furchtbar ein Stoff auch sein mag – meistens gibt es in den Romanen, aber auch in den Bühnenwerken, doch ein Licht am Ende des Tunnels oder wenigstens einen kleinen Hoffnungsschimmer.“ Ein tröstliches Phänomen. Das nennen die Finnen dann wahrscheinlich „Hinterhergutheit“.