Das Schleswig-Holstein Festival Orchester spielt Brahms und erfühlt Schostakowitsch. Alle Orchestergruppen kultivierten ein Pianospiel, das in seiner Zurückgenommenheit eminent beredt war.
Kiel. Sie waren ein ungleiches Paar, nicht nur deshalb, weil die Geigerin aus den Noten spielte und der Cellist seinen Part auswendig draufhatte. Isabelle van Keulen und Daniel Müller-Schott, vergangenen Freitag die Solisten in Brahms’ Doppelkonzert beim Schleswig-Holstein Musik Festival im Kieler Schloss, verkörpern zwei höchst unterschiedliche Musikertypen.
Müller-Schott spielt wie ein feinnerviger Athlet, haargenau, perfekt austrainiert und minutiös vorbereitet. Van Keulen gestaltet die Musik mehr aus dem Moment heraus, mit einem manchmal improvisatorisch anmutenden Gestus. Und ihr rhythmisches Empfinden scheint eher aus biegsamem Holz gemacht als aus Fiberglas. Beider Solisten Zugriff auf die Musik hat seine Qualitäten, nur nicht notwendigerweise im Zusammenspiel, noch dazu mit einem Orchester. Zudem gab Müller-Schott jeder einzelnen Cellophrase Sinn, wohingegen die Geigerin manche Linien ganz achtlos und andere nahezu unhörbar leise spielte. Wirkliche Deutungstiefe legte sie erst in die Zugabe, das Andantino aus dem Duo für Violine und Violoncello (1925) des von den Nazis verfemten Komponisten Erwin Schulhoff. Hier erschien Isabelle van Keulen geistig aufs Engste mit ihrem Part verbunden, die Musik blühte in wehen Farben, und der junge Cellist spielte auch hier reflektiert und subtil.
Das Schleswig-Holstein Festival Orchester begleitete das Doppelkonzert ordentlich, bei Schostakowitschs 5. Sinfonie nach der Pause aber lief es zu erstaunlich toller Form auf. Dem Dirigenten Michael Sanderling war es augenscheinlich während der Proben gelungen, den hier vorübergehend zum Orchester zusammenwachsenden jungen Musikern (Höchstalter: 25 Jahre) aus aller Herren Länder seine Vorstellung des Werks sehr genau zu vermitteln.
Alle Orchestergruppen kultivierten ein Pianospiel, das nicht einfach nur leise war, sondern in der Zurückgenommenheit eminent beredt. Schon den Kopfsatz bis zum Einsatz der Blechbläser gestaltete Sanderling als beziehungsreiches Mysterium der leisen Töne. Das Andante spielten alle wie auf einem Bogenhaar, ätherisch, dabei durchaus geerdet. Von derart sanftem Schwebeklang aus war das Steigerungspotenzial gewaltig, und das Orchester rief es bis zum enervierenden, quälenden Schluss des Finalsatzes auch freudig ab.
Was mag diese Nachtschattenmusik aus dem finsteren sowjetischen 20. Jahrhundert wohl in diesen spät geborenen Musikern auslösen? Manchen zumindest meinte man anzusehen, Schostakowitsch zu spielen lasse sie unvermittelt mit dem Gefühl erfassen, was ihnen im Geschichtsunterricht auf der Schule bloß Lernstoff war.