Das Musikfest Hamburg, das Schleswig-Holstein Musik Festival und die Chorakademie Lübeck sind Teile eines Machtkampfes im Konzertbereich.

Hamburg. Um das, was schon seit Jahren in der vorelbphilharmonischen Konzertszene von Hamburg und Umgebung passiert, als Gesellschaftsspiel zu schildern, wäre eine Mischung aus Machtpoker, Simultan-Schach und „Mensch ärgere Dich nicht“ die einzig passende Lösung. In der laufenden Runde (ein Ende ist bis zur geplanten Konzerthauseröffnung 2017 nicht in Sicht) sind es gleich drei Konzepte, die Befindlichkeiten und regionale Platzvorteile gegeneinander ausspielen. Die Musikstadt Hamburg ist dabei nicht immer geografischer Mittelpunkt der Überlegungen, aber immer eine immens wichtige Adresse, auch wenn ein Teil dieser Runde in Lübeck spielt, wo die Intendanz des Schleswig-Holstein Musik Festivals (SHMF) ihren Sitz hat. Jeder kennt jeden, aber nicht jeder kann oder mag deswegen mit jedem.

Als der neue SHMF-Intendant Christian Kuhnt – zuvor Chef der Hamburger Konzertdirektion Dr. Goette und in dieser Funktion lange ein erbitterter Gegner der Arbeit von Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter – kürzlich seinen Spielplan für den Sommer vorstellte, stellte sich vor allem ein Déjà-vu-Gefühl ein. Das SHMF besinnt sich wieder auf seine angestammte Heimat. Es geht, vielleicht auch nicht ganz freiwillig, wieder zurück auf die Scholle und bietet viele überraschungsarme Konzepte, mit denen das sprichwörtliche Rad nicht neu erfunden wurde. Vorbei sind damit auch die Zeiten, in denen die SHMF-Planung ebenso dekorativ wie demonstrativ besonders interessante Künstler und Konzerte über die Grenzen des namensgebenden Bundeslands im „Spielraum Hamburg“ anbot. Dort, wo viel Publikum sitzt und Sponsoren dafür sorgen können, dass Etatkürzungen aus Kiel nicht noch mehr schmerzen. Ein Feld, das nun freier ist für die geldsuchenden Elbphilharmonie-Vorbereiter.

Den Mangel an programmatischem Wagemut verbindet das alteingesessene SHMF in diesem Sommer mit dem ersten Hamburger Musikfest in diesem Frühling. Dort gibt es keine eigene Festival-Dramaturgie, und es gibt auch keinen branchenüblichen Jahresrhythmus, um für schnellere Bekanntheit bei den Zielgruppen zu sorgen. Es gibt auch keine Festspiel-Thematik außer der Allerwelts-Vokabel „Verführung“ als angeblich ausreichendes Leitmotiv. Was es gibt, ist ein Zeitraum ab Anfang Mai, in dem alles, was ohnehin im Sortiment örtlicher Anbieter geplant war, pauschal zu Festspiel-Material umetikettiert wurde. Hier und da wurde, mit Hilfe von Sponsoren, für etwas üppigere Programme gesorgt. Das war es dann aber auch schon. Und hat man in dieser Hinsicht schon kein ausgesprochenes Glück, kommt auch noch Unvorhersehbares bei den Prestige-Terminen dazu: Pult-Legende Claudio Abbado starb; Publikumsliebling Anna Netrebko, die mit ihrem Jetzt-nicht-mehr-Lebenspartner Erwin Schott Star bei einem konzertanten „Faust“ dabei sein sollte, gab ihre Partie wieder zurück. Für Abbado gibt es „keinen denkbaren Ersatz“, sagt Lieben-Seutter dazu, als Netrebko-Ersatz soll demnächst hoffentlich eine „hochkarätige“ Lösung vorzeigbar sein. Und: „Karten werden nicht zurückgenommen.“ Der Intendant wird schon wissen, warum. Und: „Da das Musikfest von vielen Veranstaltern getragen wird, gibt es keine Berechnung der erwarteten Gesamtauslastung.“

Ebenfalls noch fehlend ist eine Lösung für den offiziell hartnäckig weggelächelten Streit zwischen zwei Klassik-Alphatieren: NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock (schon da) und Generalmusikdirektor Kent Nagano (kommt 2015). Hengelbrock ist als Chef des Elbphilharmonie-Residenzorchesters ein Quasi-Hausherr im Klassik-Neubau und sieht sich beim Musikfest auch so, erst recht, da die zweite Runde 2016 schon ein weiteres Vorglühen die Eröffnung sein wird. Naganos Ego ist in dieser Hinsicht allerdings nicht kleiner, und wie die Kulturbehörde dieses Kompetenzgerangel zweier Platzhirsche befrieden will, wird sich erst noch zeigen müssen.

Neu oder gar überraschend ist dieses Hin und Her nicht, weil es letztlich auch die Konsequenz früherer Elbphilharmonie-Fehlentscheidungen darstellt. Neu und mit sonderbarem Aroma behaftet ist jedoch eine Idee, mit der das SHMF, während es sich auch mit der Situation in Hamburg arrangieren muss, jetzt Konkurrenz quasi aus den eigenen Reihen bekommen hat. Das Wort „Nebenkriegsschauplatz“ ist dafür nicht untertrieben. Denn es ist eine klare Kampfansage an seinen früheren Stellvertreter und Kronprinz Christian Kuhnt, dass Rolf Beck, Ex-SHMF-Intendant und Ex-NDR-Klangkörpermanager, eine eigene „Internationale Chorakademie Lübeck“ gründete, die ab Ende März drei Konzerte in Lübeck gibt. Ein Abziehbild der SHMF-Chorakademie für professionellen Nachwuchs, die der passionierte Chordirigent Beck ins Leben rief, als er dort das Sagen hatte und bevor er nach 15 Jahren unerfreut seinen Posten räumte.

Beck hat diese Chor-Konkurrenz – die beide Seiten offiziell natürlich nie so nennen – in Lübeck angesiedelt, einen Kilometer Luftlinie von der SHMF-Intendanz entfernt. Und er hat sogar so bewährte SHMF-Sponsoren wie die Possehl-Stiftung auch in sein Boot geholt. Becks Nachfolger sieht das offiziell „entspannt. Wir gehen ganz andere Wege“ – mit einer Chorakademie aus qualifizierten Laien für das SHMF-Finale mit NDR-Chefdirigent Hengelbrock. Ein ehemaliger Festival-Chef, der unter anderen Vorzeichen eine Konkurrenzveranstaltung aufzieht? Klingt wie schon mal da gewesen und war es auch: Justus Frantz schnitzte seine „Philharmonie der Nationen“ 1995 als Störfaktor aus genau dem gleichen Holz.

Podiumsdiskussion: Heute, 19.00: „Hamburg 2030: Musikstadt im Einklang?“ u.a. mit Kultursenatorin Barbara Kisseler und der NDR-Klangkörpermanagerin Andrea Zietzschmann. NDR Radiohaus 12, Rothenbaumchaussee 132. Anmeldung und Info unter www.koerberforum.de oder T. 040/808192-0