Mit Horst Dietrich verliert die Altonaer Fabrik, das erste alternative deutsche Kulturzentrum, ihren Baumeister. Sein Projekt wird auch seinen Tod überdauern.
Hamburg. Mehr als 40 Jahre lang hat er den Kulturbetrieb in Hamburg mitgeprägt. Eigentlich war Horst Dietrich selbst Künstler, die letzte Ausstellung seiner Bilder wurde jedoch 1973 im Kunsthaus gezeigt. Da hatte er schon begonnen, als Geschäftsführer der Fabrik zu arbeiten. In der Nacht zu Sonnabend ist der Gründer des weit über Hamburg hinaus bekannten Kultur- und Kommunikationszentrums gestorben. Er wurde 79 Jahre alt.
Sein Projekt, das er mit seinem Freund, dem Architekten Friedhelm Zeuner, gegründet hatte, wird auch seinen Tod überdauern. Deutschland erstes alternatives Kulturzentrum hat zahlreiche Nachahmer gefunden. Zusammen pachteten Dietrich und Zeuner eine 150 Jahre alte leer stehende Maschinenfabrik an der Barnerstraße in Ottensen. Am 25. Juni 1971 wurde die Fabrik eröffnet. Bald schon setzte in dem mit markanten Holzbalken konstruierten Gebäude aus der Gründerzeit mit der umlaufenden Galerie und dem markanten Lastkran vor der Tür ein ziemlich buntes Treiben ein. Das Motto: „Kultur für alle“.
In dem früheren Arbeiterstadtteil richtete Dietrich Platz zum Spielen und Lernen für Kinder und Jugendliche ein, bot Raum für Töpferkurse, politische Diskussionen, Lesungen, Theater, Gastronomie und Konzerte. Mit diesem Konzept sollte die Kultur von ihrem manchmal hohen Sockel geholt und der Begriff gleichsam erweitert werden. Und das gelang. Ziel war es, in der Fabrik „Kunst und Kultur greifbar und begreifbar zu machen“, wie der Senat in seinem Nachruf auf Dietrich schreibt.
Aus dem Maler wurde ein Manager, obwohl das, wie er kurz vor seinem Rückzug aus dem Kulturbetrieb im Jahr 2010 sagte, „nie so mein Ding war“. Jazz, Rock und Weltmusik – das Konzertprogramm gestaltete er mit seinen Mitstreitern nach seinem Geschmack. Er holte Weltstars, angesagte Bands und Nachwuchskünstler, vergaß aber auch die Hamburger Szene nicht. In der Fabrik spielten etwa AC/DC, Miles Davis, Herbie Hancock, B.B. King, Kris Kristofferson, Miriam Makeba, Nina Simone und Suzanne Vega. Aber auch ein noch unbekannter zappeliger ostfriesischer Komiker namens Otto probierte sich hier aus, der Hamburger Kabarettist Hans Scheibner bot seine Lästerlyrik, und Hamburgs Rock-Röhre Inga Rumpf gab denkwürdige Konzerte mit ihren Bands Frumpy und Atlantis.
Rückschläge nach den 60ern
Dämpfer und Rückschläge musste Dietrich bei seinem kulturellen Abenteuer in der Zeit nach der Studentenrevolte Ende der 60er dennoch hinnehmen: Weil manche meinten, Dietrich nehme die Konzerte zu wichtig, verließen Gruppen und Einzelpersonen die Fabrik und gründeten den Verein für außerschulische Jugendarbeit, aus dem später mit der Motte ein zweites Ottensener Stadtteilkulturzentrum entstehen sollte.
Als in der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 1977 die Fabrik komplett niederbrannte, munkelte man, dass es Brandstiftung gewesen sein soll. Doch Dietrichs Künstlerfreunde engagierten sich und nahmen einen Benefiz-Sampler auf. Auf dem Album „Es lebe die Fabrik“ sind unter anderem Udo Lindenberg, Hannes Wader, Truck Stop und Rudolf Rock & Die Schocker zu hören. Zwei Jahre später konnte das Kulturzentrum wieder aufgebaut werden. Man benutzte die alten Pläne und verbaute feuerfestes Bongossi-Holz.
1979 ging es weiter. Die Stadt kaufte das Gebäude und erhöhte die Miete auf 140.000 Euro pro Jahr. Aber sie erhöhte auch die Subventionen, die zuletzt bei 550.000 Euro pro Jahr lagen. Die Fabrik konnte zwar einen Eigenanteil von 74 Prozent erwirtschaften und pro Jahr bis zu 200.000 Zuschauer begrüßen, aber die wirtschaftliche Führung des Betriebs sorgte zeitweise für Irritationen.
Dietrich, der seine Frau Katharina 1972 passenderweise in der Fabrik kennenlernte, hatte einen Resthof in der Nähe von Kappeln an der Schlei, in Stenderup, einem Ortsteil der Gemeinde Gelting. Im Norden Schleswig-Holsteins betrieb er zeitweise auch die Schleihalle und ein Restaurant. Das funktionierte nicht so gut, ebenso wenig ein weiteres Restaurant in Flensburg und das Alte Kino in Rendsburg. „In Stenderup, da konnte man am besten mit ihm reden“, sagt Buddy Lüders. Besser als in der Fabrik, erzählt der Programmplaner des Kulturzentrums. Fast 25 Jahre lang saß Lüders im zweiten Stock der Fabrik Büro an Büro mit Horst Dietrich. Der fuhr täglich 140 Kilometer zur Kultur- und Arbeitsstätte nach Altona und wieder zurück. „Mit Blick auf die Schlei wurde er fast altersmilde“, erinnert sich Lüders an eines der letzten Treffen.
Dietrich zeigte Stehvermögen
Manche hielten Dietrich, der 1993 für seine Verdienste mit dem Max-Brauer-Preis ausgezeichnet wurde, für dickfellig. Die Kulturbehörde drängte am Ende auf einen Wechsel an der Fabrik-Spitze und auf ein aktualisiertes Konzept. Doch Dietrich zeigte lange Stehvermögen, erst mit 77 Jahren schied er als Geschäftsführer aus. Und „seinen“ Künstlern wie Jazzer Jost Münster oder auch Pianist Gottfried Böttger hielt er lange die Treue, er wollte das alte Stammpublikum nicht gänzlich aussperren. „Denn von allein gehen sie alle“, sagt Buddy Lüders ganz im Sinne des Fabrik-Gründers.
„Horst Dietrich hatte Mut und hat sein ganzes Engagement in die Entwicklung dieses Kultur- und Kommunikationszentrums gelegt“, erinnert der Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). „Sein Name wird mit der Fabrik verbunden bleiben.“ Und seine Nachfolgerin Ulrike Lorenz sieht ihn so: „Er hatte Gründungsgeist, war ein Pionier und hat viel bewegt.“
Zuletzt hat Horst Dietrich die Ruhe an der Schlei dann doch dem hektischen Großstadtkulturleben vorgezogen. Dass er unheilbar an Krebs erkrankt war, wusste der passionierte Segler seit einem halben Jahr. Er hinterlässt seine Frau Katharina und drei Kinder. Eine Seebestattung wäre wohl ganz in seinem Sinne. In Hamburg aber hat er sich mit der Fabrik ein Denkmal gesetzt.