1971 gründete Horst Dietrich das Kulturzentrum in Altona und führte es zu bundesweit beachtetem Erfolg. Jetzt soll er seinen Platz räumen.
Hamburg. 40 Jahre Kampf um die Fabrik, 40 Jahre Konzerte und Jugendarbeit, 40 Jahre Betteln, Taktieren und Überzeugen haben Horst Dietrich gestählt. Freunde nennen den Gründervater der Fabrik hartnäckig. Wer sich an ihm abgearbeitet hat, sagt auch mal: dickfellig und starrköpfig. Es ist, wie so vieles rund um das Altonaer Kultur- und Kommunikationszentrum, eine Frage der Perspektive.
Der Chef sitzt im zweiten Stock, in sein Büro hämmert von unten die Musik der Schülertheatergruppe, die gerade probt. Sportlich-schlank, blaues Hemd und Jeans, weißes Haar und ein Gesicht, in dem das Leben Spuren hinterlassen hat. Er ist Jahrgang 1935, geboren in Altona. Aber die 75 sieht man ihm kein bisschen an.
Dietrich ist Maler; seine letzte Ausstellung im Kunsthaus hat er 1973. Da gibt es die Fabrik schon. An der hat er seit 1970 gearbeitet, zusammen mit Friedhelm Zeuner, einem Freund und Architekten. 1970 - die Zeit der Nachwehen der Studentenrevolte von 1968, man diskutiert über Mao, die RAF, den Vietnamkrieg. Bis jemand fragt: Und was können wir in Altona tun? Bei uns?
Die Fabrik-Idee hat was: eine leere Maschinenfabrik im Herzen von Ottensen, 150 Jahre alt, dahinter Platz für einen großen Garten. Über die Bahngleise nebenan werden noch Waggons ins Gewerbegebiet gefahren. Zu haben für 3200 Mark Erbpacht pro Monat. Konzerte soll es hier geben, einen Treffpunkt, Ort politischer Debatten, dazu Kinder- und Jugendarbeit. Kultur für alle. Ottensen ist da noch nicht auf dem Weg in die Alternativ- und Yuppie-Gesellschaft. Die Fabrik, so wollen es die Gründer, wird sich auch um Rocker und Straßenkinder kümmern. Im Juli 1971 wird sie eröffnet. Für Horst Dietrich wird es ein Abenteuer. Auch wenn er seine ganze Arbeitskraft hineinsteckt, wird das Geld kaum reichen. Aber was bedeutet das in einer Zeit, in der langes Nachdenken über Konsequenzen für Lebensweg oder Altersrente spießig ist.
Horst Dietrich, damals 35, schafft sich rein, wird Manager ("obwohl das nie so mein Ding war"), holt Musik, die er selbst mag - Jazz und Weltmusik -, und solche, die aktuell angesagt ist. Auf der Bühne der Fabrik kann an einem Tag ein unbekannter Newcomer wie Otto stehen, am nächsten ein Weltstar wie Miles Davis, am dritten feiert man den Komponisten Mikis Theodorakis, der gegen die Militär-Junta in seiner griechischen Heimat agitiert. Der Hinterhof wird begrünt und zum Freiraum für Kinder und Jugendliche.
Beides wird bestens angenommen; die Fabrik ist bald "in" - mehr noch: Sie wird Hamburgs alternativ-kultureller Leuchtturm jener Jahre; Besucher aus dem Süden zieht es ins Pö, zum Fischmarkt und in die Fabrik. Sie wird Vorbild für ähnliche Projekte der Kulturarbeit in ganz Deutschland.
In der Fabrik arbeitet eine Familie von Gleichgesinnten, noch heute gibt es dort Mitarbeiter der ersten Stunde. Sie hängen alle an ihrem Traum von selbstbestimmter, gesellschaftlich nützlicher Arbeit, die auch noch Spaß macht. Kritik wird intern formuliert, nach außen ist man eine eingeschworene Gemeinschaft. 1972 lernt Horst Dietrich in der Fabrik seine Frau Katharina kennen - sie arbeitet als Sozialpädagogin, immer noch, eineinhalb Tage pro Woche. Heute sitzt die jüngere Tochter Halina im Aufsichtsrat der Fabrik-Stiftung. Eine potenzielle Nachfolgerin? "Sicher nicht", sagt der Vater. Sie hat sich in Berlin eine Agentur aufgebaut, die Schauspieler und Regisseure vermittelt.
Die Katastrophe kommt in der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 1977: Die Fabrik brennt völlig aus. Horst Dietrich geht von Brandstiftung aus: "Wir hatten viel Ärger, zum Beispiel mit der NPD." Der Wiederaufbau wird Ehrensache für die Hamburger Kultur, der Senat hilft. Bald kauft die Stadt das Gebäude. Und erhöht neben den nötigen Zuschüssen auch die Miete - heute sind es pro Jahr satte 140 000 Euro.
Horst Dietrich ist keiner, der verbissen und spaßfrei lebt. So wird er nicht nur Motor, sondern - wie jeder Macher - auch Stein des Anstoßes. Mit seiner Frau und den drei kleinen Töchtern zieht er in die Nähe von Kappeln an der Schlei auf einen Resthof. Düst jeden Tag 140 Kilometer hin zur Fabrik und zurück nach Hause. Da begleiten ihn manche Vorwürfe: Er betreibe eine Disco in Kiel und kassiere in Hamburg Subventionen. "Wir wollten ein zweites Bein haben, um Künstler zu besseren Konditionen buchen zu können." Das Disco-Modell gibt er bald wieder auf. Angeprangert wird auch sein Hang zu schnellen Autos - ein Porsche - und der Besitz eines Segelboots. "Für das Boot gab's Sponsoren. Wir sind Regatten gesegelt."
Einmal werden Zuschüsse nicht auf einem Extrakonto verbucht - gefundenes Fressen für konservative Fabrik-Skeptiker. Dass es keine Beanstandungen gibt, weil das Geld doch in die Fabrik floss, ist viel weniger interessant. Auch dass Dietrich seine Lebensversicherung auflöst und die Summe in die Fabrik steckt. Oder dass er, wie andere Mitarbeiter auch, in Zeiten knapper Kassen monatelang auf sein Geschäftsführergehalt verzichtet.
Mehr noch als die Unterstellungen ärgert ihn, dass die Arbeit mit den Kindern aus dem Stadtteil oft unterbewertet wird. "Ohne die wäre die Fabrik ein Musikschuppen wie jeder andere. Das hier", sagt er und zeigt auf die idyllische Natur-Oase hinter dem Konzertgebäude, "das ist unsere Seele." 30 bis 60 Kinder und Jugendliche vielerlei Herkunft kommen täglich freiwillig zum Spielen, Basteln, zur Hausaufgabenbetreuung, zum Fotografieren, Theaterspielen und Internetten. Drei Betreuerinnen sind da, sie sorgen auch für ein Mittagessen. Unformatierte Freizeit an einem unersetzbaren Ort kreativer Entfaltung.
Horst Dietrich sitzt wieder in seinem kleinen Büro, das vollgestopft ist mit Erinnerungen. Klar gibt es im Team immer mal Zoff, über unterschiedliche Arbeitsauffassungen, auch über die Musik wird gestritten. Leer sind die Konzerte nicht; pro Jahr kommen 200 000 Besucher - das sind mehr, als zurzeit jährlich ins große Schauspielhaus gehen. Trotzdem meint etwa Konzertveranstalter Karsten Jahnke, Dietrich könne die Musikauswahl stärker ins Aktuelle öffnen. Die Kulturbehörde fordert ein Überdenken des Konzepts mit externen Beratern, um die Fabrik rentabler zu machen. Und stellt den Gründer als Person zur Disposition; sie will ihn mit der rüden Drohung aus dem Amt drängen, der Fabrik 2011 den Geldhahn zuzudrehen. Dietrich sagt: "Ich sperre mich nicht gegen einen Wechsel, wenn garantiert wird, dass beide Standbeine der Fabrik-Idee erhalten bleiben." Gespräche mit der Kulturbehörde über eine für beide Seiten tragbare Lösung laufen, ein Ergebnis gibt es noch nicht.
Für Horst Dietrich war das Kommunikationszentrum nie bloß ein Job - das macht das Loslassen so schwer. Er ist Überzeugungstäter, er lebt für seine Idee. Mag sein, dass so etwas heute altmodisch aussieht. Er kämpft darum, dass seine Fabrik überlebt: "Aufgeben war noch nie eine Lösung für mich."