Sebastian Rudolph, Mitglied des Thalia-Ensembles, spricht über den großen Auftritt auf der Bühne und auf dem Platz. Der Schauspieler lässt an vorstellungsfreien Tagen kein Spiel aus.

Hamburg. Derzeit schaut die Welt vor allem auf eine Bühne, den Rasen in Brasilien. Die Fußball-WM interessiert auch Kulturschaffende. Anlass, einmal nachzudenken über die Parallelen zwischen Fußball und Theater. Über die Sehnsucht nach dem Star, die taktische Aufstellung und modernes Teamplay. Thalia-Schauspieler Sebastian Rudolph, 2012 als Schauspieler des Jahres für seine Darstellung im „Faust I + II“ ausgezeichnet, und zuletzt als Rudolf Augstein im TV-Film „Die Spiegel-Affäre“ zu sehen, lässt an vorstellungsfreien Tagen kein Spiel aus. Und outet sich als Fan des FC Bayern München.

Hamburger Abendblatt: Wie viel von der Fußball-WM bekommt man als Schauspieler am Thalia mit? Gibt es eine Leinwand in der Kantine?

Sebastian Rudolph: Wenn wir Vorstellungen haben, gibt es nicht viele Chancen, die Spiele zu verfolgen. Ich lasse mir aber die Ergebnisse durchsagen. Bei dieser WM fällt mir auf, wie schön es wäre, wenn es auch die ganz schlechten Mannschaften gäbe. Mittlerweile ist das Niveau insgesamt so hoch, jede Mannschaft hat ein bis zwei Top-Spieler, dass es fast schade ist. Während wir mit den „Schutzbefohlenen“ beim Holland Festival zu Gast waren, wurden dort alle Weltmeisterschaften seit den 60er-Jahren im Fernsehen gezeigt und mir fiel auf, wie sehr heute alles harmonisiert ist. Dabei gehören die Fehler zum Fußball, auch die Fehlentscheidungen. In den 70er- und -80er-Jahren wurde hingenommen, dass es ein dickes Foul gab, da regte sich keiner stundenlang drüber auf. Ich finde, man sollte die Zeitlupe abschaffen, dann kann man wunderbar darüber streiten, was wirklich passiert ist.

Gleicht ein Fußballspiel nicht manchmal auch einer griechischen Tragödie? Wenn man an die unerwarteten Abstürze von Spanien oder England denkt?

Rudolph: Grundsätzlich gibt es verschiedene Abläufe und trotzdem ist das Unvorhersehbare beim Fußball das Tollste. Anders im Theater. Hier versuchen wir, eine festgeschriebene Geschichte, unvorhersehbar zu erzählen. Es braucht für beides, Fußball und Theater, das Drama und den Konflikt. Ohne das läuft es nicht. Die Gruppendynamik ist sehr ähnlich. Es ist viel schwieriger, eine Meisterschaft zu verteidigen, als Meister zu werden. Eine gute Premiere zu spielen ist nicht so schwer, wie die Vorstellung danach.

Der Schauspieler hat ja auf der Bühne keinen Gegner und das Publikum ist für einen Abend sein Verbündeter. Findet der Schauspieler einen Gegner sozusagen in sich selbst?

Rudolph: Na ja, man behindert sich auf alle möglichen Arten. Gerade weil man das Gebrochene, den Konflikt in sich selbst sucht. Wenn ich vollkommen gut gelaunt ins Theater laufe, werde ich eher nervös.

Werden Auseinandersetzungen im Theater auch mal so austragen, wie bei den Jungs auf dem Platz, die sich mit Roter Karte zum Duschen verabschieden?

Rudolph: Auf den Proben mit Kollegen muss man sich schon häufiger zurückhalten. Man sucht die Grenzüberschreitung, die dann gerade so eben wieder eingefangen wird.

Auf dem Platz gibt es die Stars, die Ronaldos, die lässig ihr Shirt abstreifen und einem Millionenpublikum ihre Muskeln zeigen. Braucht das Theater Stars?

Rudolph: Das Theater geht eher weg vom Starwesen. Man setzt aufs Kollektiv. Ich vermisse dieses Starwesen schon. Man möchte auch manchmal etwas auf eine Person reduzieren und fokussieren. Gleichzeitig gefällt es mir sehr, dass man beim Theater in der Gruppe arbeitet, die Hierarchien flach sind. Manches wird dabei aber unkenntlicher. Es gibt Leute, die „Die Kontrakte des Kaufmanns“ gesehen haben und nicht wissen, dass ich da mitgespielt habe. Das ist verletzend.

Sind Sie eher ein Star-Schauspieler oder ein Teamplayer?

Rudolph: Ich muss mir die Star-Seite eher erarbeiten, mir den Mut nehmen, zu sagen, dass ich für etwas stehe. Bei der „Spiegel-Affäre“ war das Interessanteste für mich an meiner Rolle, dass da ein Mensch das Richtige mit fragwürdigen Mitteln tut, das dann aber nach außen vertritt und die Folgen aushält. Es geht darum, sich zu trauen, zu sagen „Ich gehe voran, ich setze eine Marke, da könnt ihr buhen oder applaudieren“.

Eine Rampensau allein macht aber noch keine gute Aufführung – und kein gutes Spiel, oder?

Rudolph: Häufig hat man keine homogene Aufführung, sondern drei bis vier Highlights, die so gut sind, dass der Rest hingenommen wird. Das gibt es auch im Fußball, wenn Messi ein Solo macht und ansonsten nur über den Platz latscht. Mancher Schauspieler würde es sich wünschen, so oft interviewt zu werden wie ein Fußballstar und sagen zu müssen „Ich kann nicht mehr auf die Straße gehen“.

Es gibt auch keine Klebebilder vom Thalia-Ensemble.

Rudolph: In Zürich hatten wir das mal. Aber hier in Hamburg nicht.

Dass Fans am Bühnenausgang lauern ist auch selten?

Rudolph: Das sind eher Autogrammjäger. In Wien ist das viel üblicher. Es gibt hier aber ein paar junge Kollegen, die offenbar eine Ausstrahlung haben, dass sich Mädchen in sie verknallen. Die Lebhaftigkeit der Fans finde ich im Fußball schön. Manchmal wünsche ich mir eine unmittelbarere Reaktion auch im Theater.

Die Rollen auf dem Fußballplatz sind ja festgelegt, lösen sich aber zunehmend auf.

Rudolph: Das hat sich beim Theater ähnlich verändert. Es gab mal die Rollenfächer, etwa den jugendlichen Liebhaber. Heute kann theoretisch jeder alles spielen, das findet im Fußball ebenfalls statt. Der defensive Mittelfeldspieler holt sich die Bälle in der Abwehr und kann auch vorne die Tore schießen.

Braucht man auch auf der Bühne einen Architekten des Spiels?

Rudolph: Im Fußball gibt es nicht mehr den reinen „Zehner“. Man merkt, wenn Mannschaften von einem Spielertypen abhängig sind, haben sie nicht wirklich eine Chance. Man muss das über das Kollektiv lösen. Im Theater funktioniert beides. Joachim Meyerhoff (Mitglied im Ensemble des Schauspielhauses, Anm. d. Red.) ist so ein „Zehner“, der rockt dir den Abend. Im Kollektiv funktioniert es aber häufig auch und macht mehr Spaß. Es ist vielschichtiger.

Entspricht die moderne Fußballtaktik dem modernen Theater?

Rudolph: Die Dynamik ist ein wenig anders. Der Fußball hatte eine Zeit von Stagnation, jetzt ist da mit dem schnellen Umschaltspiel und dem vielen Ballbesitz eine neue Zeit angebrochen. Diese Aufbruchstimmung haben wir im Theater derzeit nicht. Aber ich bin auch eher konservativ, ich finde, das Theater muss mit dem funktionieren, was vorhanden ist.

Haben Sie einen Lieblingsverein?

Rudolph: Den FC Bayern München. Meine Familie ist 1979 aus Berlin nach Hamburg gekommen, da war ich elf Jahre alt. Das war die große Zeit des Zweikampfs HSV gegen Bayern München. Ich hatte noch nicht so viel Ahnung und alle waren für den HSV. Mein Gerechtigkeitsgefühl sagte mir, es muss doch jemand für den armen anderen Verein sein. So bin ich aus Opposition Fan geworden und habe erst später geschnallt, dass das die Großen waren, aber seitdem geht das nicht mehr weg. Wenn die Bayern schlecht spielen, habe ich bis heute Bauchschmerzen.
Sebastian Rudolph ist in dieser Spielzeit noch zu sehen in „Faust I“ Fr 27.6., Thalia Theater,

„Hanumans Reise nach Lolland“ So 29.6., Thalia in der Gaußstraße, T. 32 81 44 44