Die Thalia-Ausstattungsleiterin Annette Kurz schafft meisterhafte Bühnenskulpturen. Derzeit gestaltet sie das Bühnenbild zu Luk Percevals Uraufführung von „FRONT“.

Hamburg Wenn eine Inszenierung Premiere feiert, gehört der Abend den Schauspielern. Für die Thalia-Bühnenbildnerin und -Ausstattungsleiterin Annette Kurz ist es der Moment, an dem sie ihre über Monate angewachsenen Skizzenbücher zusammenpackt und den Schreibtisch aufräumt. „Ein Abschied von mehreren Wochen intensiver gemeinsamer Arbeit bedeutet immer auch ein bisschen Wehmut“, sagt Annette Kurz. Ihre Leidenschaft ist ansteckend, genauso wie ihr Lachen.

Im Augenblick ist der Schreibtisch noch voll. Die Wand ist übersät mit Fotos und Zeichnungen. Derzeit bereitet Kurz die Bühne für „Front“ vor, eine „Polyphonie“ auf Basis von Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“, „Le Feu“ von Henri Barbusse sowie Briefen und Dokumenten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Am Sonnabend ist Uraufführung im Thalia Theater.

Ihr künstlerischer Partner ist erneut Thalia-Oberspielleiter Luk Perceval. Zwei Meister ihres Fachs haben da zum Besten der Sache zusammengefunden. Über fünf Jahre haben sie einen gemeinsamen künstlerischen Weg zurückgelegt, der von „Hamlet“ über „Macbeth“, „Jeder stirbt für sich allein“, „Die Brüder Karamasow“ bis zu „Front“ führt. Mit sichtbarem Erfolg. „Jeder stirbt für sich allein“ wurde nicht nur von der Zeitschrift „Theater heute“ zur „Inszenierung des Jahres 2013“ gewählt, mit ihrem grandiosen Wandteppich aus Alltagsobjekten der Kriegszeit in Form eines Berliner Stadtplans lieferte Annette Kurz das „Bühnenbild des Jahres 2013“, außerdem erhielt sie den Faust-Theaterpreis in der Kategorie Bühnenbild und den Hamburger Rolf-MaresPreis.

Die Anerkennung erfüllt sie mit Stolz. „Szenische Objekte zu entwickeln, ist ein unglaublich verrückter Akt“, sagt sie. Für „Front“, das anhand von Einzelschicksalen von den Schrecken des Ersten Weltkrieges erzählt, der vor 100 Jahren begann, wollte Luk Perceval keine lehmverschmierten Uniformen, keinen Frontgraben auf der Bühne. Also suchte Kurz nach einem Bild für den Untergang der damaligen Weltordnung. Perceval inspirierte sie mit einem Foto des sinkenden „Ship of Dreams“, der legendären „Titanic“.

Im Zuge der Recherche stieß Kurz auf die mit Ornamenten versehene Metalldecke im Speisesaal des Luxusliners. Einen Tag später fand sie Teile von vergleichbaren Verzierungen bei einem Antiquitätenhändler. Das war, als habe ein Blitz eingeschlagen. Diesen elektrisierenden Moment erlebt sie bei jeder Arbeit. „Dann weiß ich, wohin ich unterwegs bin. Ich erkenne klar die Umrisse des Ziels, auch wenn ich den genauen Weg dorthin nicht kenne.“ Mit ihren Assistenten hat sie eine Metallkonstruktion entwickelt, die erneut die 22 Meter Höhe des Thalia-Bühnenraums ausnutzt, angebrachte Schildkrötenlampen markieren die Demarkationslinie. Hinzu kommen Stahl- und Blechplatten, die mit aufgesetzten Metallstäben eigenwillige Instrumente bilden, denen der Klangkünstler Ferdinand Försch Töne entlockt.

Das Bild erzählt von einer Realität, ohne realistisch zu sein. „Mich interessieren wahre Dinge, die etwas über die Menschen erzählen, die sie besessen haben“, sagt Kurz. Dieses Prinzip zieht sich durch all ihre Arbeiten. Für „Hamlet“ hat sie getragene Gehröcke von der Shakespeare-Zeit bis in die Gegenwart zu einer 15 Meter hohen Skulptur angeordnet. Für „Macbeth“ als Symbol für das verhinderte Festmahl einen Wirbelsturm von Tischen in die Höhe gestapelt. Für „Die Brüder Karamasow“ eine riesige Glocke auf die Bühne gewuchtet und um sie herum Klangrohre zu einer Installation gruppiert.

Die Liebe zu den Dingen entdeckte die 1967 in Hamburg geborene Kurz während des Studiums, erst der bildenden Kunst und Kunstgeschichte in Paris, anschließend des Bühnen- und Kostümbildes in Straßburg. Hier wurden Bücher über den Geist, der den Dingen innewohnt, wie André Malraux’ „Das imaginäre Museum“, ihr wichtigster Einfluss. Das Bühnenbild gilt in Frankreich nicht als untergeordnet, sondern als gleichrangig mit der Regie. „Meine Arbeit ist geprägt von dem Objekthaften. Und von der Bedeutung, die die Figur im Raum, das menschliche Schicksal geformt durch den Schauspieler, für mich hat“, sagt Annette Kurz. Ihre Objekte haben eine starke Präsenz, wollen aber auch „Partner des Spiels“ sein. „Mit dem Bühnenbild und dem Schauspieler ist es wie mit dem Tangotanzen. Jeder der Tanzpartner muss für sich stehen können, aber das Schönste ist, wenn beide zusammen tanzen.“

Mit Luk Perceval verbinden Kurz auch 13 Jahre Lebenspartnerschaft, seit der Trennung vor einiger Zeit geht die künstlerische Zusammenarbeit weiter. „Wir denken schnell auf einen Punkt zu. Dafür müssen wir gar nicht viel reden“, sagt Kurz. „Front“ lässt ein vielstimmiges Konzert aus Klang und Text, von elf Schauspielern aus vier Sprachräumen (Englisch, Französisch, Deutsch, Flämisch) gesprochen, erwarten. Bereits jetzt ist die Inszenierung zu mehreren Gastspielen, darunter zum Edinburgh International Festival, eingeladen. Und Annette Kurz wird schon bald ein neues Skizzenbuch aufschlagen.

„Front“ Uraufführung Sa 22.3., 20.00,

Thalia Theater, T. 32 81 44 44