Die bremer shakespeare company zeigt eine sehr zeitgenössische Version von „Romeo und Julia“ in der Regie von Nora Somaini bei den Privattheatertagen.

Hamburg. Hilfe, ein Regieeinfall!, mag mancher gedacht haben, der die Produktion „Romeo und Julia“ von der bremer shakespeare company anlässlich der Privattheatertage im Altonaer Theater besuchte. William Shakespeares legendäres Liebesdrama fand in einer Burn-out-Klinik statt.

Umspült von düsteren elektronischen Klängen, finden die fünf Darstellerinnen und Darsteller auf ihren Matratzen, die an der rückwärtigen Bühnenwand lehnen, keinen Schlaf. Am Morgen schälen sie sich aus den Betten, nach der Morgentoilette wird erst einmal Tai-Chi praktiziert, um die innere Harmonie herzustellen. Es geht ans Textlernen. Das Textbuch in der Hand, proben die Erholungsbedürftigen das Stück „Romeo und Julia“. Der Zuschauer begreift, die fünf Akteure sind Patienten einer Reha-Einrichtung. Burn-out und Depression heißen die Krankheiten, die sie sich in ihren Berufen als Callcenter-Mitarbeiterin oder Polizist zugezogen haben. Nun sind Rollenspiele ja in der modernen Psychotherapie ein beliebter Weg zur Heilung. Aber in dem 400 Jahre alten Stoff geht es emotional und auch körperlich ans Eingemachte. Verschärft der Familienstreit zwischen den Montagues und den Capulets nicht nur die eigene Krise?

Regisseurin Nora Somaini führt in ihrer Zeitdiagnose die Symptome auf einen Mangel an Liebe und Liebesfähigkeit zurück. Nach und nach lösen sich die Darsteller vom Textbuch. Zumindest Romeo (Tim Lee) und Julia (Svea Auerbach) finden Zugang zu ihren verschütteten Emotionen und verlieben sich. „Ich spüre deine Wut, du bist ganz weit gekommen“, sagt Peter Lüchinger, der hier so etwas wie den Spielleiter gibt. Ohne Abstriche wird die Handlung mit viel Verve auf der Bühne belebt, allerdings ist die Zuordnung angesichts der diversen Rollenwechsel und Nebenfiguren häufig undurchsichtig.

Mancher mag im Setting aus Matratzen, Betttüchern, Gesundheitsbällen und Hausanzügen eine reichere Ausstattung vermisst haben. Der Verzicht darauf ist in dieser mutigen, durchaus schlüssigen Setzung aber nur konsequent. Schade allerdings, dass die Rahmenhandlung am Schluss nicht wirklich aufgelöst wird.

Zuvor gab es eine Podiumsdiskussion unter Privattheaterleuten unter dem Titel „Das ist hier kein Privatvergnügen“. Dem verbreiteten Vorurteil, Privattheater machten die, die es nicht ins subventionierte Staats- oder Stadttheater geschafft hätten, setzte Jochen Schölch vom gemeinnützigen Metropoltheater München entgegen: „Ich habe ein Theater eröffnet, weil ich einen eigenen Stil entwickeln wollte.“

Mehr Mut und weniger Dienstleistungsmentalität wünscht sich der Hamburger Dramaturg Florian Vogel. Während die Stadttheater einen klaren Auftrag der Sprachpflege und des Forschens nach innovativen Formen haben, können Privattheater auch jenseits von Boulevardkomödien inhaltlich eigene Schwerpunkte setzen – immer in Abhängigkeit von ihren geringeren finanziellen Möglichkeiten.

Privattheatertage bis 29.6., Karten: HA-Ticket-hotline T. 30 30 98 98; www.privattheatertage.de