Roland Schimmelpfennings Stück „SPAM“ beschäftigt sich mit den Auswüchsen des globalen Wirtschafts- und Menschentransfers. Doch Schimmelpfenning scheitert an Verständigungsschwierigkeiten.

Hamburg. Es ist kein gutes Zeichen, wenn während der Vorstellung die Gedanken allzu weit abschweifen. Wenn sich dann die Frage „Wer aus deinem Freundeskreis sollte sich diese Aufführung unbedingt anschauen?“ immer deutlicher ins Bewusstsein schiebt und sogleich die Antwort „niemand“ aufdrängt, weiß man, dass die Inszenierung misslungen ist.

Am Freitag wurde im Schauspielhaus Roland Schimmelpfennigs Stück „SPAM“ uraufgeführt, der Autor inszenierte selbst. Spam, elektronischer Müll, liefert Dialogfetzen und Stichworte aus dem Wirtschaftsleben. Es geht um eine Coltan-Mine in einem afrikanischen Land, in der Rohstoffe für Handys, aber auch Edelsteine und Gold geborgen und auf ein Schiff nach Europa verladen werden, das zuvor unseren Müll nach Afrika transportiert hat.

Roland Schimmelpfenning ist der wohl meist gespielte deutschsprachige Gegenwartsautor. Seine 30 oft preisgekrönten Stücke werden in viele Sprachen übersetzt. Schimmelpfennig ist kein linearer Geschichtenerzähler. Er fügt scheinbar Unverbundenes collageartig zusammen, oft kommt dabei etwas Surreales heraus. In seinen besten Momenten erscheint Abgründiges in banalen Sätzen und die Klagen der Wirtschaftswundergeneration pieksen den Zeitgeist auf. Die Auswüchse des globalen Wirtschafts- und Menschentransfers beschäftigen Schimmelpfennig in „SPAM“, in dem drei Frauen und drei Männer einzeln und im Chor davon erzählen, wie unter menschenunwürdigen Bedingungen in Afrika Schätze abgebaut werden, damit, verkürzt gesagt, wir hier Plattitüden plappern können.

In der Mine werden Bergleute verschüttet, die Ehefrau eines Verunglückten bricht in einen Klagegesang aus, erblindet und will den „Riese“ genannten Chef der Mine zwingen, die Leiche ihres Mannes zu bergen. Eigentlich ist er mit der Kapitänin des Schiffes (Katja Danowski )liiert, aber da er der Stimme der Blinden verfallen ist, gräbt er nach ihrem Mann. Dabei kommen 400 verschüttete Bergleute ans Licht. Die Köchin der Mine treibt ein magisches Zahlenspiel und prophezeit dem Riesen, er habe nur noch 50 Tage zu leben. Gleichzeitig spielen Träume von einem Zug, eine Herzoperation und eine Explosion eine Rolle. Kausale Verbindungen gibt es nicht. Nur assoziative, aber die erschließen sich dem Publikum nicht.

Denn leider gewinnen die Figuren keine Kontur oder Leichtigkeit, die Geschichte fesselt nicht und man fühlt sich zunehmend einer Kakofonie von Schlagzeugsolo und singender Säge (Musiker: Suzana Bradaric, Alex Jezdinsky), Schauspielern, die durchs Megafon brüllen, Regengeprassel, und dem quiekenden Trauergejaule der Witwe (Lina Beckmann) ausgesetzt. Wer Lina Beckmann in einer ihrer anderen Rollen kennt, weiß, was für eine wunderbare, emotional berührende Schauspielerin sie ist. Hier aber hat sie kaum eine Möglichkeit, ihre Rolle zu gestalten. Viel zu holzschnittartig ist ihre, sind auch die anderen Figuren angelegt. Der kluge, anrührende Paul Herwig, der den Verschütteten spielt, muss als Untoter herumgeistern und sich gleich zu Beginn in dicken Schichten mit Schlamm einreiben, was seine Ausdrucksmöglichkeiten stark einengt.

Die Figuren beschreiben sich selbst, sie setzen sich Papiertüten und Pappmasken auf, der Riese (Aljoscha Stadelmann) steigt in eine Grube. Er träumt von Gespenstern, von Diamanten, Erz und Gold, die aus seinem Gesicht kommen oder von einem Zug, der durch seinen Kopf fährt. Noch schlimmer wird’s, als er ein Herz aus „Stein und Erz“ braucht und eine Art Brikett unter viel Blutgesudel in seinen Körper operiert wird. Unglaublich schön ist dagegen Wilfried Minks’ Bühnenbild, wenn ein gläsernes Labyrinth, durch das Algorithmen aus den Zahlen 1 und 0 perlen, sich auf der Bühne dreht.

Dieser Abend, der die menschliche Hybris anklagen will, scheitert an Verständigungsschwierigkeiten. Das Durcheinander von Geschichten und wechselnden Stimmen ergibt am Ende kein Ganzes, keine Klarheit. Schimmelpfennig erzählt etwas von postkolonialer Ausbeutung, von Entrechteten und Menschen, die sich alles nehmen. Ein großes Vorhaben, dem hier Wucht und Kraft fehlen.

Weitere Vorstellungen: 26.5., 1./6./24./30.6.