Karin Beiers Inszenierung der Antikentrilogie „Das Goldene Vlies“ hatte im Schauspielhaus Hamburg-Premiere. Das brennend aktuelle Stück wurde am Ende mit viel Beifall bedacht.
Hamburg. „Er wird dich verachten, wenn verloschen die Lust“, prophezeit Aietes, König der Kolcher, seiner Tochter Medea. Die ist in Liebe zu Jason entflammt, dem maßlosen Eroberer. Nicht nur die Königstochter nimmt er mit nach Griechenland, auch das Goldene Vlies erobert er zurück. Am Abend vor dem Muttertag feiert Karin Beiers Inszenierung von Franz Grillparzers Antiken-Trilogie am Deutschen Schauspielhaus Hamburger Premiere. Die Kindsmörderin Medea, in der literarischen Rezeption zum Gegenentwurf der liebenden Mutter geworden, steht im Mittelpunkt des zweieinhalb Stunden langen Abends. Karin Beier inszeniert die Ermordung der Söhne jedoch als Tat einer verzweifelten und tief verletzten Frau. Rache ist nicht ihr Hauptmotiv, sie möchte ihre Kinder vor einem Leben in der Fremde bewahren. Sie empfindet das Leben als Strafe. „Der Tod ist nicht das Schlimmste“, sagt sie.
Maria Schrader spielt die Medea als eine Frau, die so gar nichts von einer Hexe oder einer Barbarin an sich hat. Sie ist im griechischen Korinth eine Fremde und den Vorurteilen und Diffamierungen der dortigen Bevölkerung ausgesetzt. Ihr Mann (Carlo Ljubek), auf Kolchis noch der strahlende Held, zeigt sich in seiner Heimat als männlichen Waschlappen, der es nicht schafft, seine Frau zu schützen, und froh ist, dass König Kreon (Manfred Zapatka) wenigstens ihm die Heimat garantiert. Medea möchte nichts weiter, als in Frieden mit ihm und ihren Kindern leben. Sie liebt den Argonauten-Anführer selbst dann noch, nachdem er sie mit Kreons Tochter Kreusa (Angelika Richter) betrogen hat und sich als windelweicher Opportunist zeigt.
Medea ist die Starke in dieser Beziehung. Sie kämpft um ihr Glück, doch Jason entfremdet sich ihr mehr und mehr. Ihre Frustration schlägt in Wut um, sie wird zur Rasenden und zertrümmert Kreusas geliebtes Cello. „Das Cello ist tot“, jammert die Königstochter, von Angelika Richter als naives Püppchen gespielt. Medea dagegen muss weitere Demütigungen ertragen. „Du verpestest die Luft“, wirft Kreon ihr an den Kopf. „Mir graut vor dir, die Götter haben unseren Bund verflucht“, schleudert Jason ihr entgegen. Doch die Götter nehmen keinen Einfluss auf die sich anbahnende Tragödie, sie ist von Menschen gemacht. Die Rache an Jason überlässt Medea ebenfalls nicht den Olympiern, sie greift selbst zum Dolch und zur Zauberei, vergiftet Kreusa und ersticht die Söhne.
Beiers Inszenierung von Grillparzers Trilogie „Das Goldene Vlies“ thematisiert nicht nur den Konflikt zwischen weiblicher Hingabe und männlicher Gier, ihre Spielfassung, die sie mit ihrer Dramaturgin Rita Thiele geschrieben hat, ist im Hinblick auf Migration brennend aktuell. Schon im ersten Teil „Der Gastfreund“ fragt König Aietes (Manfred Zapatka) den Griechen Phryxus: „Fremder, was suchst du in meinem Land?“ Gastfreundschaft gibt es nicht, Fremde werden in Kolchis als auch später in Korinth als Kriminelle und Eindringlinge angesehen, als Wilde verachtet, verspottet, verjagt. Hoffnung auf ein neues Leben gibt es für sie nicht. Im besten Fall werden sie geduldet, beim kleinsten Fehltritt droht Verbannung. Eine multikulturelle Gesellschaft ist Lichtjahre entfernt.
„Das Goldene Vlies“ hatte bereits 2008 am Schauspiel Köln Premiere, das Hamburger Publikum kann froh sein, dass Intendantin Karin Beier ihre überragende Inszenierung nun in den Spielplan des Schauspielhauses integriert. Aus Grillparzers Vorlage macht sie ein aktuelles Stück mit psychologischer Tiefe, in dem auch die Sprachkraft des 1872 gestorbenen österreichischen Nationaldichters gewahrt bleibt. Die vier Schauspieler meistern ihre insgesamt sieben Rollen mit Bravour.
Besonders lautstarken Beifall und viele Bravos erhielt Maria Schrader beim Schlussapplaus. Zu Recht, denn ihre Medea ist das Gegenteil eines mordenden Monsters. Mit präzisem Spiel entwickelt Schrader ihre Figur und zeigt, wie ein Mensch zum Äußersten getrieben wird. Als sie mit blutverschmierten Armen auf die leere Bühne zurückkehrt, schlägt ihr Mitleid statt Entsetzen entgegen.
Ihre letzten Worte treffen den Zuschauer wie einen Schlag: „Der Traum ist aus. Allein die Nacht noch nicht.“
Nächste Vorstellungen: 14. und 24.5., jew. 20.00