So sieht Massenfieber aus: Superstar Robbie Williams präsentierte 12.000 Hamburger Fans sein Album „Swing Both Ways“. Er gibt sich als Crooner – und als coole Sau.

Hamburg. Warum besuchen wir Popkonzerte? Warum strömen wir in die große Arena am Stadtrand? Weil wir Teil von etwas Größerem sein möchten. Weil die Menge der Menschen die Musik verstärkt. 12.000 Mal Euphorie. Sich zwei, drei Stunden aufladen mit Energie. Mit Emotionen.

Wohl kaum ein Sänger löst dieses Versprechen derzeit so gewitzt und gefühlvoll ein wie Robbie Williams. Zwei Mal hat der 40-Jährige jetzt in Hamburg auf seiner „Swing Both Ways“-Tour die O2 World ausverkauft. Und dieses leichte, massenwirksame Fieber, das der ehemalige Take-That-Barde weltweit seit mehr als zwei Jahrzehnten auszulösen vermag, das ist am ersten Abend bereits vor Konzertbeginn deutlich zu spüren.

Schon auf der S-Bahn-Fahrt diskutieren zwei Freundinnen angeregt, wer aus ihrer Robbie-Clique bei welcher Tour ihres Stars wie häufig dabei war. Als die Durchsage „Stellingen/ Arenen“ ertönt, seufzt eine Frau, ihre Wangen gerötet. Ihr Freund rollt mit den Augen, muss dann aber lachen. Robbie ist als Konkurrenz offenbar erlaubt. Schließlich geht er nicht nur als Sexsymbol, sondern auch als Kumpel durch. In der Halle bilden sich kurz nach dem Einlass Trauben am Merchandise-Stand. Einen gerahmten Williams gibt’s für 50 Euro, ein T-Shirt für 30. Und wer selbst ein bisschen Robbie sein will, bekommt eine Papp-Maske seiner Ikone für 5 Euro.

Epochale Eingangsfanfaren

Dann endlich: Epochal ertönen die Eingangsfanfaren. Die Blicke der Fans sind auf den violetten Vorhang geheftet. Zig Handykameras schnellen hoch. In freudiger Erwartung. Einzelne Schreie lösen sich aus dem unruhigen Murmeln der Masse. Dann tanzen Scheinwerferkreise über den Stoff und flankiert von einer quasi-göttlichen Nebelwolke taucht Robbie Williams aus dem Bühnenboden auf. Der Frack sitzt perfekt, seine Schritte sind federnd, die Gesten galant und – zum Glück – immer noch ein klein wenig prollig.

Williams stolziert über den Laufsteg, der wie ein halber Ring durch die vorderen Reihen des Publikums führt. Ein Star zum Anfassen. Seinen Schweiß glitzern sehen, Robbies spitzbübische Lächeln erhaschen, das Knie in der Bügelfalte beim Wippen beobachten, ein wenig Lackschuhe-Glanz abbekommen, ihm gar die Hand schütteln. Zumindest einige, die sich bereits am frühen Abend Plätze ganz weit vorne gesichert haben, können das Erlebnis „Robbie hautnah“ auf ihrer Erlebnis-Habenseite verbuchen. Aber auch für jene, die weiter entfernt sitzen, stimmt das Paket. Williams tänzelt und slapstickt die Rampe entlang. Er kitzelt den ohnehin frenetischen Jubel noch ein wenig heftiger aus seinen Anhängern heraus. Er ist Charlie Chaplin und Clown, Charismatiker, Chansonnier und coole Sau.

Seine Show eröffnet Williams mit dem hymnischen „Shine My Shoes“ von seinem aktuellen Album „Swing Both Ways“, der zweiten Swing-Platte nach „Swing When You’re Winning“ aus dem Jahr 2001. Und wenn er das Mikrofon ergreift und zu singen beginnt, dann tut Williams das nach wie vor mit einer Intensität, als gelte es, ein Leben zu retten. Zumindest sein eigenes. Denn auch wenn der Brite bald zum zweiten Mal Vater wird, wenn sein Fokus nun mehr auf der Familie liegt, so ist er doch durch und durch Entertainer. Einer, der auf der Bühne pulsiert und deshalb die Halle wie ein riesiges Herz zum Pochen bringt. Immer wieder breitet er ganz ganz weit die Arme aus. Als wolle er sagen: Seht her! Ich liebe Euch, liebt mich!

Sympathischer Narziss

Und für einen sympathischen Narziss, wie Williams einer ist, darf es gerne mal ein etwas üppigeres Podest sein, um sich angemessen zu präsentieren. Als der Vorhang sich öffnet, erscheint eine zweistöckige Showtreppenkonstruktion, auf der die satt aufspielende Bigband vor einer illuminierten Hotelfassade agiert. Der Jazzstandard „Puttin’ On The Ritz“ aus dem Jahr 1927 entfaltet mit Background-Sängerinnen, befrackten Stepptänzern und Bläser-Wumms reichlich Flair der ausklingenden „Roaring Twenties“. Mit Songs wie Dean Martins „Ain’t That A Kick In The Head“, Cab Calloways „Minnie The Moocher“ und Jerry Jeff Walkers „Mr. Bojangles“ reist Williams weiter durch die Epochen und verneigt sich mit einer klangvollen a-capella-Variante von „Ignition“ auch vor Zeitgenossen wie R&B-Sänger R. Kelly.

Immer wieder webt er in sein Programm eigene Nummern ein. Für das selbstironische „No One Likes A Fat Pop Star“ etwa greift er tief in die Budenzauberkiste. Er lugt schelmisch durch den Schlitz des Vorhangs, scheint auf- und ab zu fliegen und erscheint schließlich als schwebender dicker Mann im Raum. Robbie-Humor. Zu Dean Martins "That's Amore" täuscht er mal eben eine Blitzhochzeit mit einer - sehr verzückten - Silvia aus dem Publikum vor. Mit Frank Sinatras „High Hopes“ wiederum klärt er die Kinder des Hamburger Chors Blue Voice, die sich adrett um ihn geschart haben, in Märchenonkel-Tonfall über die Höhen und Tiefen des Showgeschäfts auf.

Dieser Abend mit Robbie Williams, er ist eine amüsante wie nostalgische Las-Vegas-Revue für die Generation Pop. Für jene, die wie der Sänger selbst die 20er- bis 60er-Jahre nicht selbst erlebt haben, aber nun für sich neu entdecken. Robbie Williams mag mit mehr als 70 Millionen verkauften Tonträgern Musikgeschichte geschrieben haben. Er mag mit seiner Boyband den Jugendzimmer-Soundtrack von Millionen Mädchen in den 90er-Jahren erschaffen haben. Er mag solo mit Hits wie „Let Me Entertain You“ und „Millennium“ den Zeitgeist des ausgehenden Jahrtausends geprägt haben. Doch wer ihn sieht und hört, wie er da all diese Klassiker des 20. Jahrhunderts inbrünstig intoniert, wie er die nonchalanten Crooner-Gesten mit seinem eigenen Twist interpretiert, wie er lässig schnippt und schwoft und scharwenzelt, der merkt: Auch ein Robbie Williams möchte Teil von etwas Größerem sein. Er verneigt sich vor den Giganten. Und wächst damit selbst ein Stück.

Gegen Ende bittet er seinen Vater auf die Bühne

Einem ganz besonderen älteren Herren erweist Williams gegen Ende die Ehre: Zu Duke Ellingtons „Do Nothin’ Till You Hear From Me“ bittet er seinen Vater auf die Bühne, einen distinguierten grau melierten Mann mit freundlichem Lächeln, mit dem er im Duett singt. Und als sei seine Energie unbegrenzt, gibt Williams junior zum Finale noch mal richtig Gas. Mit Bombast huldigt er der Stadt der Städte, in dem er auf Alicia Keys’ „Empire State Of Mind“ Frank Sinatras „New York, New York“ folgen lässt.

Mit einem großen Medley seiner Hits von „Come Undone“ bis „Old Before I Die“ lädt Robbie zur gediegenen Swing-Party, bei der er sich in eine Deutschlandflagge hüllt, die ihm ein Fan gereicht hat. Nicht fehlen darf natürlich seine ultimative Gänsehaut-Ballade „Angels“, die die Menge beseelt mitsingt. Der tosende Jubel im Anschluss rührt Robbie sichtlich. Nur zur Piano-Begleitung stimmt er „My Way“ an, um dann ins Rund zu rufen: „Es war eine nahezu spirituelle Erfahrung heute Abend“. Mit dem schmissigen „Sensational“ entlässt dieses Bühnentier seine Anhänger schließlich in die sommerliche Nacht. Die Gesichter: glücklich. Jeder einzelne: Teil von etwas Größerem. Namens Robbie Williams.